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Kultur: Nudelschütteln als Langzeitstudie - 34 Installationen von Thomas Haake-Brandt in der Museumsakademie Berlin

"Geustermor" nennt Torsten Haake-Brandt sein Mammutprojekt. Was für den einen nach norddeutschem Dialekt klingt, ist seine eigene Begriffserfindung: die Zusammenziehung von gestern, heute, morgen.

"Geustermor" nennt Torsten Haake-Brandt sein Mammutprojekt. Was für den einen nach norddeutschem Dialekt klingt, ist seine eigene Begriffserfindung: die Zusammenziehung von gestern, heute, morgen. "Die Zeit steht still - es ist immer und immer 10 nach 10 Uhr", lautet ein Schlüsselsatz der Schau, zu deren zentralen Themen Zeit, Arbeit und die Langeweile zählen. Seit über einem Jahr führt der Künstler Langzeitstudien für "Geustermor" durch, Ende offen. Von sich selbst sagt er: "Im Tagesschnitt arbeite ich acht Stunden - eigentlich fünf Tage die Woche - und ab und zu einen sechsten oder siebenten Tag, um die Stundenzahl zu erreichen". Man muss ihn beim Wort nehmen. Mit geradezu manischer Besessenheit führt er selbst verordnete künstlerische ABM-Maßnahmen aus. Was er eigentlich tut? Haake-Brandt rührt Wasser, zählt die Pickel von Raufasertapeten oder tätowiert ein tiefgefrorenes Suppenhuhn mit einem Kugelschreiber. Er bewacht tagsüber die Straßenlampe vor seinem Studiofenster. Zu seinen wie am Fließband ausgeführten Tätigkeiten gehört auch das Schütteln von Nudeln oder das Herumkauen auf allen möglichen Gegenständen. Videofilme dokumentieren diese Kunstaktionen (720 Mark). Die greifbaren End- und Restprodukte von Kringelkritzeln oder Kerzenkokeln dienen als Ausgangsstoff für nicht weniger als 33 Installationskojen (ab 610 bis 7200 Mark) sowie eine große Rauminstallation (72 000 Mark). In überbordender Materialfülle bedeckt Haake-Brandt Wände und Boden der Museumsakademie, füllt Vitrinen und Aktenordner. Von diesem ausufernden Gesamtkunstwerk fühlt man sich wie erschlagen, obschon sich im Grunde alles um Nichts, um die Leere und im Kreis dreht.

Überall Löcher, Nullen. Haake-Brandt malt und kritzelt, locht, klebt, fotografiert sie und zelebriert das Loch an sich. Alles was rund ist oder eine kreisförmige Öffnung hat, eignet er sich für Collagen und Assemblagen an. In der Folge "I love..." zitiert und persifliert Haake-Brandt Künstler wie Marcel Duchamp, Georg Herold, Thomas Hirschhorn oder Daniele Buetti. Vorbildern und solchen, die sich wie Richard Long besonders mit Kreisen beschäftigt haben, widmet er seine ironischen Hommagen, wobei ihn besonders die Buchstaben "o" und "ö" reizen. Sind sie im Namen nicht zu finden, baut er sie einfach ein: "I love Döchamp" oder "I love Kippenbörger".

Was Haake-Brandt tut, nennt man üblicherweise "Zeit totschlagen". Wie er es anpackt, gehört dagegen eindeutig in die Kategorie Arbeit. Satirisch und scherzhaft reagiert er darauf, dass "Kunst machen" allgemein nicht als ernstzunehmende Arbeit gilt. Mit Sinn für intellektuellen Unsinn definiert er die Rolle des Künstlers im gesellschaftlichen Arbeitsprozess neu und führt eines vor Augen - auch wenn ein Künstler erwerbslos ist, er wird niemals arbeitslos.Museumsakademie Berlin, Rosenthaler Str. 39, bis 15. Januar; Dienstag bis Sonnabend 14-19 Uhr.

Elfi Kreis

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