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Kultur: Nürnberger Reichsparteitagsgelände: Ein Pfahl im Stein

Hans Hesselmann ist ein eher ruhiger, bedächtiger Mann. Aber wenn er über die Menschenrechte redet, richtet sich sein Oberkörper merklich auf, und die rechte Hand ballt sich zur Faust.

Hans Hesselmann ist ein eher ruhiger, bedächtiger Mann. Aber wenn er über die Menschenrechte redet, richtet sich sein Oberkörper merklich auf, und die rechte Hand ballt sich zur Faust. Energisch berichtet der 58-Jährige dann von den vielfältigen Aktivitäten seiner Heimatstadt Nürnberg: über den internationalen Menschenrechtspreis. Über die Straße der Menschenrechte von Dani Karavan mit ihren 30 Säulen an der Front des Germanischen Nationalmuseums. Und über die Arbeit des 1997 gegründeten Menschenrechts-Büro, das er leitet.

Der ehemalige Lehrer spricht auch darüber, dass Nürnberg mit all diesen Anstrengungen seiner besonderen historischen Verantwortung Rechnung trägt "Dem heutigen Rassismus und der Unterdrückung entgegenzuwirken", sagt Hesselmann, "das ist unser hoher moralischer Anspruch." Ein Anspruch, der der braunen Vergangenheit geschuldet ist. Denn die Dürer-Stadt war während des Dritten Reiches Führer-Stadt.

Ein sehr schweres Erbe. An der historischen Verantwortung kommt keiner der 500 000 Nürnberger und der jährlich 20 Millionen Tagestouristen vorbei. Sie ist nämlich unübersehbar, riesig, gigantisch, nein: monströs. Schon der Name ist sperrig: Reichsparteitagsgelände. Rund 24 Quadratkilometer misst das Areal. Nürnbergs Altstadt könnte bequem darin Platz finden. Breite Straßen, Felder, Teiche. Und zwei steinerne Zeugen der Vergangenheit: die marode Zeppelin-Tribüne und die monumentale Kongresshalle. Beide "Worte aus Stein" (Hitler) errichtet speziell für die Parteitage der Nazis, die zwischen 1933 und 1938 alljährlich im September stattfanden. Anders als das Tausendjährige hat Albert Speers Architektur Bestand bis heute. Vor allem das Kongresszentrum, gedacht als Versammlungsort für 50 000 Jubeler, trotzt den Zeiten.

Shoppen oder sprengen?

Jahrelang fragten sich die Stadtoberen, was man mit dieser unerwünschten Hinterlassenschaft anfangen sollte. Kein Vorschlag für eine Nutzung war abwegig genug, um nicht gemacht zu werden. Selbst über ein Einkaufszentrum, eine Shopping-Mall, wurde nachgedacht. Natürlich gab es auch die Überlegung, das steinerne Hufeisen einfach mit einer großen Ladung Sprengstoff aus der Welt zu schaffen. Doch wie soll man einen gut dreißig Meter hohen Bau mit 1,50 Meter starken Mauern aus Granit und Ziegelstein in die Luft jagen, ein Gebäude, das zwar wegen des Kriegsbeginns nicht fertig gestellt wurde, aber immer noch einen zwei Fußballfelder großen Durchmesser hat?

Also blieb Nürnbergs Kolosseum mit seinen zahllosen Räumen stehen. 1973 wurde es unter Denkmalschutz gestellt und beherbergt seitdem ganz pragmatisch zum Beispiel das Depot des Technischen Hilfswerks und Lagerräume des Versandhauses Quelle.

Doch nach dem 4. November werden andere Nutzer hinzu kommen: Schüler, Studenten und Touristen. An diesem Tag wird Bundespräsident Johannes Rau im Nordteil der Kongresshalle das "Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände" feierlich eröffnen - sieben Jahre nachdem diese Idee erstmals Gestalt angenommen hatte.

Kein langer Zeitraum, wenn man bedenkt, dass hier architektonisch und konzeptionell wirklich Großes gelungen ist. Nach dem Entwurf von Günther Domenig durchbohrt ein mehr als hundert Meter langer Gang aus Stahl und Glas diagonal das Gebäude, durchbricht somit die rechtwinklige, steinerne Machtdemonstration der Herrenmenschen. Franz Sonnenberger, Direktor der Museen der Stadt Nürnberg, nennt ihn treffend "einen Pfahl im Fleisch der Nazis". Man sei auf diese Art dem Bau "zu Leibe gerückt". Überhaupt ist der oberste Museumsmann mit dem künftigen Bau und seiner neuen Nutzung sehr zufrieden. Das kann er auch. 3 000 Quadratmeter stehen für das Dokumentationszentrum zur Verfügung - Platz für mehrere Ausstellungsräume mit allem, was Museumstechnik heute zu bieten hat.

Keine Frage, ein besonderes "Dokumentationzentrum", nicht nur architektonisch. Auch der Zugang zum Thema Nationalsozialismus unterscheidet sich erfreulicherweise von den anderen Gedenkstätten im Lande und macht die Frage nach dem "Warum noch eine?" überflüssig. Die Kongresshalle ist nämlich nicht allein ein Ort der Opfer oder der Täter, sondern in erster Linie einer der Claqeure, der Mitläufer, der Zuschauer. Hier geht es darum zu zeigen, welche Faszination vom Regime und seinem Führer ausging. Der fraglos vorhandenen Popularität des Dritten Reiches soll nachgegangen werden. Man will zudem zeigen, dass Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" auch ein perfekt in Szene gesetzes Blendwerk war. Dass Nürnberg bei einer Million Gästen im September eine Stadt im Ausnahmezustand war, dass die Parteigenossen auch "wie die Schweine gehaust haben".

Aber nicht nur das Konzept des Dokumentationszentrums ist eine positive Überraschung. Das Zustandekommen und die Umsetzung des ehrgeizigen Projektes sind es auch. Egal, wer von den vielen Beteiligten Auskunft gibt, der Tenor ist immer der gleiche: Das Ganze sei ohne große Querelen und langwierige Debatten über die städtische Bühne gegangen. Einmütig habe man das Vorhaben vorangetrieben, zumindest als es beschlossene Sache war.

Kein Streit, wenn es um die Auseinandersetzung mit der dunklen deutschen Vergangenheit geht? Berliner Ohren werden bei so viel bekundeter Harmonie immer größer. Unisono Zustimmung? Das gibt es doch gar nicht. Auch in Franken gab es jahrzehntelanges Verdrängen, Zögern und Desinteresse. Erst Mitte der achtziger Jahre begannen ein paar Leute, sich ernsthaft Gedanken zu machen. Seitdem gibt es die kleine Ausstellung "Faszination und Gewalt" in der Zeppelintribüne. Die Schau wird künftig ein Bestandteil des neuen Dokumentationszentrums sein und ebenso über die Nürnberger Rassegesetze Auskunft geben wie über die Nürnberger Prozesse gegen die Kriegsverbrecher. Dass nur ein Würstchenverkäufer die Fragen der wissensdurstigen Touristen zum Reichsparteitagsgelände beantwortete, war der Stadt dann doch etwas zu wenig. Heute, im Mai 2001, sprechen Verantwortliche wie CSU-Oberbürgermeister Ludwig Scholz sogar von einem nationalen Anliegen.

Große Worte. Aber es geht ja auch um ein großes Vorhaben. Knapp 20 Millionen Mark teuer ist Dokumentationszentrum. Zu viel, als dass eine Stadt wie Nürnberg das aus eigener Kasse bestreiten könnte. Doch dem Kuratorium um den Ex-Bauminister und unentbehrlichen Strippenzieher Oscar Schneider gelang es, den Bund und den Freistaat von dieser nationalen Aufgabe zu überzeugen. Jetzt wird sich Nürnberg die Investitionskosten mit der Bundesrepublik und Bayern teilen.

Ob es nocheinmal so gut läuft, wenn es um den Umgang mit dem großen Rest des Reichsparteitagsgeländes geht? Noch bis Anfang August läuft in Nürnberg ein städtebaulicher Wettbewerb. Die Stadt verspricht sich davon zumindest Anregungen, wie das Gelände genutzt werden könnte. Auf dem Märzfeld, riesiges Aufmarschgelände der Nazis, gibt es bereits seit Ende der 50er Jahre den Stadteil Langwasser. Das übrige Areal wirkt wie Niemandsland. Es gibt Inline-Skater, Grillplätze, Wohnwagen und Tretboote auf dem Dutzendteich. Die Nürnberger haben damit einen Teil der weitläufigen Fläche wieder zu dem gemacht, was sie vor den Nazis schon einmal war: eine Art Naherholungsgebiet Vielleicht sollte man es einfach dabei belassen.

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