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Kultur: Nüscht zu sagen

Forum: Thomas Heises Dokufilm „Mein Bruder“

Ein Mann, Mitte fünfzig, bekommt am Herzen sechs Bypässe gelegt. Die Ärzte sagen: Du hast noch ein Jahr. Zum Sterben fährt der Mann nach Südfrankreich, zu seinem besten Freund, der ihn einst als IM für die Stasi ausgehorcht hat. Der sterbende Mann ist aus der DDR, und sein Freund, der Spitzel, verdient inzwischen als internationaler Spezialist für Herzschrittmacher gutes Geld. Davon zahlt er das schöne Haus in Südfrankreich, die Frau, die Kinder. In jenem Haus wird der Mann wie durch ein Wunder wieder gesund, er arbeitet als Koch und beginnt eine Liaison dangereuse mit der kinderreichen Ehefrau des Dorfschmieds. Das Leben des einstigen Spitzels scheint parallel dazu auseinander zufallen, er windet sich unter Scham und Schuld, seine Ehe ist kaputt.

Nun sitzen die beiden Freunde also in Frankreich, und irgendwie sitzt auch die DDR in Frankreich. Wegen der DDR saufen sie sich jetzt gemeinsam zu Tode.

Was für ein Stoff. Der sterbende Mann heißt Andreas, Bruder des Dokumentarfilmers Thomas Heise. „Mein Bruder. We’ll meet again“ zeigt besonders viele Stillleben – Landschaften, Sonnenuntergänge, Interieurs. Die Männer trinken viel Bier und Wein dazu, rauchen, sprechen Sätze wie: „Ick wollte dem Sozialismus zum Sieje verhelfen“ oder „Dazu ist nüscht weiter zu sagen“ oder auch „Scheiß druff.“ Die Geschichte steckt ihnen in den Körpern wie eine Krankheit, die erst der Tod heilt. Ein Film mit mehr Distanz wäre besser gewesen, ein Film, der mehr Fragen stellt, ein Film, der sie weniger schont.

Ein Bruder kann das wohl nicht. Aber als Zuschauer geht man hungrig aus dem Kino hinaus. Wer genau geht hier eigentlich an genau was zugrunde? Die DDR-Melancholie ist die Krankheit, als deren Therapie sie sich ausgibt. mrt

Heute, 19.30 Uhr (Babylon); morgen, 14 Uhr (Delphi); 17. 2., 18 Uhr (Arsenal); 20.2., 17 Uhr (CineStar 8)

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