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Kultur: Nur sonntags um vier

König der Pianisten: Heute vor 100 Jahren wurde Vladimir Horowitz geboren

Der alte Mann ist einfach charmant. Immer picobello mit Fliege und tadellos sitzendem Anzug und zugleich sprühend vor Anekdoten und Witz. Und dann wieder, so ganz auf eins, zwei, drei am Flügel in hinreißend klangschöne Träumereien oder skurril funkelnde Miniaturen versunken. Der wunderbare Dokumentarfilm, der in den frühen Achtzigerjahren, zu Beginn der letzten Phase seiner Künstlerlaufbahn über Vladimir Horowitz entstand (und der jetzt zusammen mit einer Doppel-CD bei Universal auf DVD erschienen ist), fängt tatsächlich etwas von jener magischen Aura ein, die Horowitz bis heute zum Inbegriff der Klavierkunst gemacht hat. Nicht bloß zu einem großen, geehrten Musiker wie seine im gleichen Jahr geborenen Konkurrenten Claudio Arrau und Rudolf Serkin, sondern zur Verkörperung des Pianisten an sich – ähnlich wie die Callas für den Operngesang und der Name Karajan für das Dirigieren schlechthin stehen.

Wie diese beiden umgab den heute vor 100 Jahren in Kiew geborenen Horowitz schon bald nach dem Beginn seiner triumphalen Karriere ein ganzer Kranz von Legenden: Vom pianistischen Ritterschlag, den der Teenager noch durch den Klaviervisionär Aleksandr Skrjabin erhielt, über den ersten Auftritt in Hamburg, der 1925 das Publikum zu bislang unerhörten Beifallsstürmen hinriss, bis hin zu den Schaukämpfen mit dem Erzkonkurrenten Artur Rubinstein, wer von beiden die perfektere Aufnahme von Tschaikowskys berüchtigt schwerem ersten Klavierkonzert abliefern würde. Über die jahrelange Podiumsabstinenz des psychisch labilen Künstlers bis hin zu den liebenswerten Altersmarotten des Stars: Dass er nur sonntagnachmittags um vier spielte, dass er auf Reisen immer seinen eigenen Koch dabei hatte, und dass auch der über 80-Jährige gern noch eine kesse Sohle in der New Yorker Edeldisco „Studio 54“ hinlegte.

Erhellend sind diese biografischen Details, weil sie sich nicht von der durch Akribie und Extravaganz geprägten Künstlerpersönlichkeit Horowitz trennen lassen. Denn die berüchtigte Empfindlichkeit, die ihn Konzerte einfach deswegen absagen ließ, weil sich auf Grund von Regen die Luftfeuchtigkeit und damit die Konsistenz des Filzes im Flügel verändert hatte, war zugleich Beweis einer bis ins Extrem gesteigerten Klangkultur. Die extreme innere Gespanntheit war in gleichem Maß notwendige Voraussetzung, tief in die Seelenabgründe der romantischen Klavierliteratur einzudrigen.

Vor allem hier, in den Werken Chopins, Liszts, Schumanns und Rachmaninows, feierte Horowitz seine größten Triumphe. Seine Aufnahmen, von denen ein Gutteil anlässlich des 100. Geburtstags wieder erscheint, belegen jedoch auch die Wandlung, die er in fast acht Jahrzehnten Bühnenlaufbahn bis zu seinem Tod 1989 durchmachte: Vom Virtuosen, der mit beispielloser Anschlagskraft das elegante Klavierspiel der Vorkriegszeit hinwegfegte, bis zum „letzten Romantiker“, der mit seiner verspielten Poesie zum Gegenbild all jener Kraftmeier wurde, die der von ihm gesetzten Entwicklungsperspektive des Klavierspiels folgten.

Dass Horowitz bei diesen Gratwanderungen zwischen Ekstase, Melancholie und Brillanz auch die manierierte Zuspitzung nicht scheute, belegt ein bislang unveröffentlichtes Carnegie-Hall-Recital (BMG) auf fesselnde Weise – wiederum mit romantischem Repertoire. Verständlich auch, dass sich dieser kompromisslose Klavierstil zur Weitergabe an Schüler nicht eignete. Denn Persönlichkeit kann man nicht nachahmen.

Jörg Königsdorf

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