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Kultur: Nur wer den Ausblick hat, kann in die Zukunft schauen

Seine Bauten haben das Bild der Bundesrepublik geprägt: Eine Münchner Ausstellung würdigt erstmals den Architekten Sep Ruf

Hohn und Spott erntete der „Kanzlerbungalow“ in Bonn, den sich Ludwig Erhard 1964 von dem mit ihm befreundeten Architekten Sep Ruf (1908-1982) errichten ließ. Das Ensemble aus zwei eingeschossigen, quadratischen Baukörpern, der eine für die Privatzimmer, der andere für Empfangsräume bestimmt, widersprach allen Vorstellungen von staatlicher Repräsentation. Erhards Nachfolger Kurt Georg Kiesinger, der schwäbische „König Silberzunge“, ließ den Bau 1967 unter dem Beifall der Boulevardpresse vergemütlichen. „Ich fürchte, der brennt nicht mal“, heizte zudem ausgerechnet Konrad Adenauer, der Alte von Rhöndorf, die öffentliche Kampagne gegen Ruf an: „Da kann kein Mensch drin wohnen.“ Willy Brandt zog 1969 gar nicht erst ein. Unter Helmut Schmidt kehrte Sachlichkeit ins Haus zurück, ein Jahrzehnt nach Fertigstellung, und Helmut Kohl wohnte am längsten darin, mit Aquarium und Polstersitzecken.

Der Weg der Bundesrepublik in die Moderne war steinig. Im Ausland hängte sie sich ein avantgardistisches Mäntelchen um: 1958 beispielsweise mit dem Deutschen Pavillon bei der Weltausstellung von Brüssel, der von Sep Ruf und Egon Eiermann als Antithese zu Albert Speers steinernem Koloss bei der Pariser Expo von 1937 konzipiert worden war und international enormen Beifall fand. Bedauerlich genug, dass dieser Schlüsselbau der bundesdeutschen Geschichte sang- und klanglos verschwunden ist; nicht, wie sein österreichisches, konzeptionell verwandtes Gegenstück von Karl Schwanzer, an anderem Ort wiederaufgebaut, wie es die stählerne Konstruktion erlaubt hätte. Immerhin wird derzeit der Kanzlerbungalow zum Museum originalgetreu restauriert, mit Möbeln der Herman Miller Collection, mit denen man damals seine Zugehörigkeit zum International Style unter Beweis stellte.

Das Architekturmuseum der TU München richtet Sep Ruf jetzt eine Ausstellung aus, die erste Retrospektive überhaupt. Ruf, der 1931 bei den konservativen Münchner Professoren German Bestelmeyer und Adolf Abel sein Studium absolviert hatte, war selbst kein Bannerträger der Moderne, ragte aber in Bauten wie dem Kanzlerbungalow und in seinem Meisterwerk, der pavillonartig in die Landschaft ausgestreuten Nürnberger Akademie der Bildenden Künste, über sich selbst hinaus. Er passte ins Nachkriegsmilieu seiner Münchner Vaterstadt, die am Vergangenen hing, als ob es das Zeitalter von Bürgerbräukeller und SA-Aufmärschen nie gegeben hätte. Die Renaissance-Maxburg in prominenter Stadtlage, von den Bomben weggesprengt, hielt er durch die Einbeziehung des stehen gebliebenen Turmes in den Neubau in schwebender Erinnerung, ergänzt um einen Baublock in geschwungenem Fünfziger-Jahre-Design.

Mit dem Wohnhaus an der Schwabinger Theresienstraße, übrigens in Sichtweite seiner jetzigen Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, holte Ruf Licht und Transparenz – sein Lebensthema – in die Stadt, mit geschosshoch verglasten Zimmern zur Straße und filigranen Balkonen. Das zu einer Zeit, als sich der Wiederaufbau der Stadt am liebsten an einem unbestimmt gefühligen Heimatstil orientierte, der Münchens Durchschnittsstraßen bis heute so spießig macht.

Zur Berliner „Interbau ’57“ im Hansaviertel wurde Ruf selbstverständlich hinzugebeten; er baute zwei Bungalows im Schatten der bekannten Hochhäuser. Seine konsequentesten, bis heute als zeitlos modern beeindruckenden Bauten entwarf Ruf ab 1964 für die Bayerische Vereinsbank am Rande des Englischen Gartens: gläserne Schichten von einer geradezu grafisch kühlen Schönheit.

Winfried Nerdinger, der langjährige Leiter des Münchner Architekturmuseums, hat einen Architekten dem Vergessen entrissen, der mit Hans Schwippert, Paul Baumgarten, aber auch dem unerbittlichen Hans Döllgast für die oftmals quälende Auseinandersetzung um das Verhältnis von Tradition und Erneuerung in der frühen Bundesrepublik steht. Ruf hat sich um seinen Nachruhm nicht gekümmert; bis zum jetzigen Katalog, der das Verzeichnis der Werke von 150 auf über 260 Bauten erweitert, gab es keinerlei monografische Publikation. Für die Ausstellung wurden die bestehenden Bauten neu fotografiert; auch da wird der Abstand zu den strengen Schwarz-Weiß- Ansichten der Bauzeit atmosphärisch greifbar. Der Nachlass wird von der Familie verwahrt, am Tegernsee, wo Sep Ruf sich selbst und nebenan dem befreundeten Ludwig Erhard wunderschöne Landsitze errichtet hat, fern von den Nöten der Wiederaufbaujahre.

Pinakothek der Moderne, München, Barer Str. 40, bis 5. Oktober. Katalog im Prestel Verlag, 34 €, im Buchhandel 49,90 €.

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