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Kultur: Nur wer die Liebe hat, darf hart urteilen

Zum 100. Geburtstag des Kritikers Walther Karsch

Kaum einer erreicht dieses Alter wirklich, weshalb die Erinnerung daran, dass jemand vor 100 Jahren geboren wurde, vor allem dessen Rang geschuldet ist - und der Nachdenklichkeit, die der Blick auf eine solche Zeitspanne auslöst. Walther Karsch, dessen 100. Geburtstag sich heute jährt, war im September 1945 der jüngste der drei Gründer des Tagesspiegels, den er bis zu seinem Tode 1975 mitherausgab. Der gebürtige Dresdner, der in Berlin aufgewachsen war, brachte als Mitgift die Herkunft vom linken Flügel der Weimarer Republik in das neue Blatt ein, vor allem aber einen Charakter, wie er in diesen Zeiten selten war. Bis 1933 Redakteur der „Weltbühne“ an der Seite Carl von Ossietzkys, war er im „Dritten Reich“ – wie Heinz Ohff einmal unnachahmlich formuliert hat – „einer der wenigen Vollblutliteraten, denen das Kunststück gelang, nicht eine einzige Zeile veröffentlicht“ zu haben.

Im legendäre Nachkriegskulturleben Berlins hat er eine bedeutende Rolle gespielt. Er war derjenige Herausgeber, dessen Interesse in erster Linie dem Feuilleton galt, vor allem aber war er der Theaterkritiker des Blattes. Für Jahrzehnte gab es keine Berliner Premiere ohne ihn, und alle die Schauspieler, Regisseure und Aufführungen, die damals Berlin bewegten, finden sich bei ihm beschrieben. Neben Friedrich Luft war er der andere große Kritiker dieser Ära, anders aber auch nach Temperament und Stil. „Dass Kritik helfen will, dass Theaterkritiker nur sein kann, wer die Liebe zum Theater hat, dürfte sich von selbst verstehen. Und nur wer diese Liebe hat, darf scharf, hart, bitter sein, darf Ärgernis erregen“, lautete seine grundpositive Überzeugung.

Und er muss, nach dem Zeugnis derer, die mit ihm zusammengearbeitet haben, eine ungemein humane Natur gewesen sein. Nochmals Ohff: „Er konnte eines: ermuntern ... Er besaß eine unter Erzliteraten seltene Eigenschaft, die ihn auch als Kritiker auszeichnete: Herzensgüte.“ Die Achtung, die ihm entgegengebracht wurde, bezeugen auch die vielen Aufgaben, die ihm Öffentlichkeit und Berufskollegen zu seiner Zeit anvertrauten – vom Vorsitz des Verbands deutscher Kritiker bis zur Mitgliedschaft im PEN-Club. Rdh.

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