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Kultur: Nurmi-Oper: Nur Finnen können fliegen

Den Älteren in aller Welt ist Nurmi, "der fliegende Finne", der zwischen 1920 und 1928 sechs olympische Goldmedaillen errang, noch ein Begriff. In Finnland kennt ihn selbst die junge Nokia-Handy-Generation, zumindest seine Skulptur vor dem alten Olympiastadion.

Den Älteren in aller Welt ist Nurmi, "der fliegende Finne", der zwischen 1920 und 1928 sechs olympische Goldmedaillen errang, noch ein Begriff. In Finnland kennt ihn selbst die junge Nokia-Handy-Generation, zumindest seine Skulptur vor dem alten Olympiastadion. Denn so viele namhafte Helden besitzt das kleine Land nicht, das erst 1917 seine Unabhängigkeit erklärte.

Die Finnen aber erinnern sich auch an Nurmis Tragik. Viele Länder wollten ihn seinerzeit auf ihren Aschenbahnen sehen. Angeblich ließ er sich das bezahlen, war sozusagen der erste gesponserte Sportler der Moderne. Deswegen schloss man ihn von der Teilnahme an der Olympiade 1932 in Los Angeles aus. 1940 sollte er in Helsinki, nun als Marathon-Mann, wieder am olympischen Wettkampf teilnehmen.

Doch der Krieg machte einen Strich durch diese Rechnung. Erst 1952 fand in Helsinki die (vertagte) Olympiade statt. Nurmi, nun bereits im Alter von 55 Jahren, trug bei der Eröffnungszeremonie die olympische Fackel: Balsam für einen Fanatiker, der in seinem Leben alles dem Laufen untergeordnet hatte. Im alten Olympiastadion von Helsinki wird am 11. und 12. August nun die Sportoper "Paavo der Große, ein großer Lauf, ein großer Traum" uraufgeführt - vor 60 000 Zuschauern.

Finnlands Altmeister Paavo Haavikko (der keine Interviews gibt und den Premieren seiner Stücke niemals beiwohnt) hat das Libretto für diese Oper geschrieben, der 30-jährige Tuomas Kantelinen, der sich bislang vor allem als Filmkomponist einen Namen machte, nahm sich der Musik an. Zunächst, so räumt Kantilenen freimütig ein, habe er die Offerte, die neue Nurmi-Oper zu vertonen, abgelehnt. "Doch dann habe ich das Textbuch gelesen, und das hat mich überzeugt." Nurmi, so viel verrät Kantelinen, erkennt darin zuletzt, dass es im Leben wichtigere Dinge als das Laufen gibt.

Tuomas Kantelinen ist einer von rund 130 Komponisten, die im kleinen Finnland leben und arbeiten. "Die Finnen brauchen viel Musik, im Winter ist es hier ja so dunkel," lautet seine schlichte Erklärung für dieses Phänomen. Im Übrigen erhalten die finnischen Künstler viel staatliche Förderung. Wohl nicht zuletzt deshalb sind sie oft so umwerfend jung.

Studiert hat Kantelinen auf der SibeliusAkademie. "Ich hatte hier sieben Jahre einen sehr guten Lehrer," so sagt er. Neben Jean Sibelius, an dem wohl kein Finne vorbeikommt, nennt Kantelinen Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven sowie den Filmmusiker John Williams aus Hollywood als seine wichtigsten Inspiratoren. Und wie klappt die Zusammenarbeit mit dem als sonderlich und schwierig geltenden Librettisten Haavikko? "Den habe ich noch nie gesehen," antwortet Kantelinen prompt. Uns stockt fast der Atem, doch der junge Mann ist guten Mutes, dass die beiden Aufführungen ein Erfolg werden.

Direktor Kalle Holmberg jedenfalls gehört zu den bedeutendsten finnischen Theater- und Opernregisseuren und hat schon mehrere Uraufführungen von Paavo Haavikko für die Opernfestspiele in Savonlinna inszeniert. Der Dirigent Markus Lehtinen debütierte 1993 an der Hamburger Oper, war danach auch in Frankreich, Italien, München und Berlin zu hören.

Die Uraufführung von "Paavo der Große, ein großer Lauf, ein großer Traum" bedeutet in der Praxis einen wahren Kraftakt: Mehr als tausend Personen - 64 Orchestermitglieder plus Militärkapelle plus großer Chor nebst einem Heer von Komparsen - sind zu koordinieren. Und gegen diese Phalanx müssen sich die drei Hauptakteure musikalisch und schauspielerisch durchsetzen: der Bariton Gabriel Suovanen, der die Titelpartie übernimmt (und selbst übrigens ein aktiver Sportler ist!), die junge Sopranistin Johanna Rusanen - die jüngst an der Deutschen Oper Berlin in Humperdincks "Hänsel und Gretel" debütierte - als Nurmis Ehefrau Sylvi sowie Seppo Ruohonen, einer der international bekanntesten finnischen Tenöre. Er leiht dem damaligen Sportminister (und späteren Ministerpräsidenten und Präsidenten Finnlands) Urho Kekkonen Gestus und Stimme.

In diesem Jahr feiert Helsinki seinen 450. Geburtstag - und gehört gleichzeitig in die Reihe der neun europäischen Kulturstädte. Unterstützung für die Nurmi-Oper kommt von Georg Dolivo, dem Leiter des Projekts Kulturstadt 2000, als früherer Manager der Helsinki-Festspiele landesweit bekannt. Er sorgt dafür, dass zahlreiche Firmen und unzählige Freiwillige mithelfen, dieses Riesenspektakel auf die Beine zu stellen. Selbst Ministerien konnte er dazu bewegen, sich zu engagieren. Nun sorgen Hubschrauber der Armee für den Transport von Baumaterial und betätigen sich Soldaten als Statisten. Das Umweltministerium stellt 300 Fahrräder für die Besucher zur Verfügung.

Doch zurück zu Tuomas Kantelinen. Hat er, seinem Alter entsprechend, die Nurmi-Story modern vertont? Ein Neutöner sei er nicht, versichert der junge Mann. Als Filmmusiker habe er vielmehr gelernt, "melodiös zu sein". So hält er es denn auch als Opernkomponist. Einige seiner Songs, so hofft er, wird wohl das Publikum später singen. Ob aber dem Open-Air-Ereignis später weitere Aufführungen - vielleicht in abgespeckter Version in einem festen Haus - folgen, steht bislang noch in den Sternen.

Ursula Wiegand

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