zum Hauptinhalt

Kultur: Ode ans Leben

Spielzeit Europa: Eröffnung mit „Young @ Heart“

Noch einmal der Versuch, das große Haus der Berliner Festspiele groß zu denken: Brigitte Fürle, die neue Leiterin der „Spielzeit Europa“, eine Wienerin, setzt gleich einmal auf große Namen. Und das geht hier auch nicht anders. Stéphane Braunschweig, Robert Lepage, Robert Wilson und Isabelle Huppert – im Januar dann Pina Bausch. Innovatives, Performatives, Dekonstruktives leidet in Berlin keinen Platzmangel. Es hätte auch gar keinen Sinn, wenn Fürle mit dem Hebbel am Ufer, dem Radialsystem oder den Sophiensälen, die heute Abend mit einer großen Party ihr Zehnjähriges feiern, konkurrieren wollte. Für kleinere Produktionen haben die Festspiele ja dennoch ihre Seitenbühne.

„Alles wird gut“. Die lettische Künstlerin Monika Pormale, Bühnenbildnerin von Alvis Hermanis, hat die Fassade des Festspielhauses in eine Galerie verwandelt; Menschen umarmen, halten sich fest auf den riesenformatigen Bildern des Fotografen Burkhard Peter. Kunst und Promotion liegen so dicht beieinander. Die Fotos sollen werben für menschliche Wärme. Das tun auch die Senioren von „Young @ Heart“ aus Northampton/Massachusetts – nur viel heftiger und schöner. Ein Chor, dessen Mitglieder zwischen 71 und 93 Jahre alt sind. „Road to Nowhere“ heißt ihr Programm, das nicht ganz neu ist, doch der „Spielzeit Europa“ mit dieser amerikanischen Eröffnung so herzlichen Jubel bescherte wie schon lange nicht mehr im Festspielhaus.

Menschen sitzen, singen, erzählen etwas, wirken ein wenig verloren und haben scheinbar alle Zeit der Welt. Sieht aus wie ein Marthaler-Abend, nur eben nicht so zwanghaft kunstvoll. Die Alten kapern eine Musik, die nie die Ihre war. Beatles („A Day in the Life“), Bruce Springsteen („Dancing in the Dark“), Willie Nelson („On the Road Again“), Talking Heads: Nicht nur, dass sich die Originalhelden des Pop selbst allesamt auf die Siebzig zubewegen. Jetzt klingen die alten Fanfaren der Jugend wie altersweise Werke. What a drag it is getting old: Mick Jagger bringt heute diese Zeile nicht mehr live. Mit welcher Inbrunst und Prägnanz die senior citizens Rock-Klassiker schmettern! Man fühlt sich irgendwie auch beklaut und betrogen um deren „revolutionäres“ Pathos! Eileen im Rollstuhl singt leise „Ruby Tuesday“. Die Tränen lösen sich im Parkett. Sie fließen heiß bei Dylans „Forever Young“, dem Schlusschor.

Rüdiger Schaper

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false