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Zeitlos verranzt. Im Gasthaus Lehnunger treffen die verschiedenen Fraktionen aufeinander - von den Kartenspielern bis zu den Radikalinskis.

© Arno Declair

Ödön von Horváth an der Schaubühne: Schwache Linke, starke Rechte

Thomas Ostermeier analysiert an der Schaubühne mit Ödön von Horváths Volksstück „Italienischer Nacht“ aktuelle Konflikte.

Wer wird sich von ein paar Faschisten beim Kartenspiel stören lassen? Oder beim Feiern? In der SPD-Ortsgruppe herrscht ausnahmsweise Einigkeit: „Natürlich steigt unsere italienische Nacht heut’ Nacht!“, bestimmt der Herr Stadtrat im Wirtshaus der Josefine Lehninger. Und dann wird munter weiter tarockiert, obschon vor den Fenstern der Fackelzug der jungen Neonazis in Fußballstadionlautstärke skandiert: „Hier marschiert der nationale Widerstand!“ Was die Genossen über Bierkrug, Kartenspiel und Kreuzworträtsel doch verstimmt, ist die Entdeckung, dass die saubere Frau Wirtin ihr Lokal für den Nachmittag an die völkischen Krakeeler vermietet hat, bevor am Abend die Sozi-Sause steigt. Erst Reichskriegsflagge, dann grün-rot-weiße Girlanden – Hauptsache, der Schweinebraten und die Würstel verkaufen sich. So viel pragmatische Gleichzeitigkeit ist schwer auszuhalten.

Ödön von Horváth hat sein Volksstück „Italienische Nacht“ 1930 geschrieben. Noch während die Proben zur Uraufführung im Berliner Theater am Schiffbauer Damm liefen, wurde es von der Realität bestätigt: durch die Murnauer Saalschlacht, bei der im Februar 1931 die Nazis eine Versammlung der Sozialdemokraten im Gasthof Kirchmeir sprengten. Horváth war Zeuge der Massenschlägerei, die 26 Verletzte und über 100 kaputte Bierkrüge hinterließ. Sein Stück allerdings wurde nicht ungeteilt als Kommentar zur Zeit gelesen. Kritiker nannten es „einen Bierulk“ oder bemängelten, es genüge nicht, zu zeigen, dass „die politische Welt eine Narrenbude ist“. Immerhin soll sich Alfred Kerr amüsiert haben über die Schießbudenfiguren des Republikanischen Schutzverbandes, die in einer süddeutschen Kleinstadt ihr Spießbürgertum hinter proletarischen Parolen und erotischen Aufwallungen verschanzen.

Thomas Ostermeier, der die „Italienische Nacht“ jetzt an der Schaubühne zur Premiere gebracht hat, will mit Horváth vor allem eine Gegenwart befragen, in der das Erstarken der Rechten von der Schwäche der Linken erzählt. Nina Wetzel hat ihm dafür ein naturalistisches Gasthaus Lehninger auf die Drehbühne gebaut, das an der Rückseite offen ist und Einblicke in einen zeitlos-veralteten Schankraum bietet. Hier piepst der Spielautomat trist vor sich hin, hier hängt auch über den Genossen ein seltsamer Mehltau des Verblichenen. Die verranzten Debatten über den wahren Marx passen zur Holzvertäfelung.

Nur die Rechten sind ganz von heute. Laurenz Laufenberg gibt einen Faschisten in Fred-Perry-Shirt und New-Balance-Turnschuhen, der seinen „Ich bin kein Nazi, ich spreche nur Probleme an“-Duktus perfekt beherrscht: „Ganze Stadtteile werden nicht mehr von der Polizei, sondern von Clans kontrolliert. Eine Schande ist das. Das sind die Folgen einer hirnlosen Migrationspolitik.“ Viele Aktualisierungen brauchen Ostermeier und sein Dramaturg Florian Borchmeyer nicht, sie haben nur ein bisschen an Horváths Chronologie geschraubt und die Figuren leicht überschrieben. Wie im Falle von David Rulands Bruno Kranz, der in einer herrlich peinlichen Suff-Rede durchscheinen lässt, dass er für die Parteifreunde in der Provinz der ewige Ossi, also Genosse zweiter Klasse ist.

Horváths Figuren sind grob aber treffend gezeichnet

Die Selbstzerfleischung, Selbstgerechtigkeit und Feigheit dieses Klüngel-Verbandes sind zentrale Motive der „Italienischen Nacht“. Hans-Jochen Wagner spielt den Stadtrat Ammetsberger als politisch begrenzt engagierten Besser-Bürger, der seine Frau Adele (Marie Burchard) öffentlich demütigt. Sebastian Schwarz ist hervorragend als hemdsärmeliger Proletarier Martin, der als Radikalinski für die Bewaffnung gegen die Faschisten eintritt und sich überhaupt reichlich an seinem Klassenstolz berauscht: Nicht nur verjagt er als selbst ernannter Hüter der reinen linken Lehre einen Kameraden aus Magdeburg (Konrad Singer). Er schickt auch seine Freundin Anna (Alina Stiegler) „auf den politischen Strich“, wie es im Stück heißt – sie soll in seinem Auftrag als Spionin mit den Faschisten anbändeln. Christoph Gawenda gibt, ebenfalls hervorragend, den Künstler Karl, der seine Triebnatur zum Politikum erhebt, sich aber mit der „unpolitischen“ Leni (Veronika Bachfischer) als Krampfhansel offenbart.

Die Figuren sind bei Horváth eher mit dem groben Pinsel als dem feinen Stift gezeichnet, vor allem die Frauenrollen kommen über das Illustrative selten hinaus. Am stärksten ist noch die hartgesottene Wirtin Lehninger, die Traute Hoess mit erdiger Grantigkeit spielt. Nichtsdestotrotz balanciert Ostermeier die Figuren sämtlich an der Karikatur vorbei. Und gerade im Falle von Karl wendet er die Kritik an der Linken auch ins Selbstkritische. Etwa, wenn dieser Künstler jammert: „Ich seh, wie sich die Welt entwickelt, und dann denk ich mir, wenn ich nur ein paar Jahre jünger wär, dann könnt ich noch aktiv mittun an ihrer Verbesserung.“

„Welche Linke wollen wir?“, lautet der Titel eines Kongresses, den die Schaubühne angedockt an die Inszenierung veranstaltet (25.11., unter anderem mit Didier Eribon, Naika Foroutan und Katja Kipping). Diese Frage hängt auch über der Inszenierung. In einer der stärksten Szenen feiern die Rechten ihre Wirtshaus-Party mit brachialem, ins Mark gehendem Nazi-Rock („Deutschland erwache!“). Nur eine Hausumdrehung auf der Bühne später verwandelt sich die Band in die trübe Stimmungskapelle „Die Ricardos“ und spielt „Santa Maria“ für die italienische Nacht der Genossen. Leider wahr: Wer mitzureißen versteht, gewinnt.

Nächste Vorstellungen: 26. und 27. 11., weitere im Dezember und Januar.

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