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Die Ausnahme von der Regel. Im Oktober 2014 radelte der italienische Pianist Davide Martello mit seinem Flügel über den Potsdamer Platz, um dort unter freiem Himmel zu spielen.

© dpa

Öffentliches Piano-Spielen: Ein Klavier, ein Klavier!

Straßenklaviere erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, in Frankreich und Amsterdam, diesen Sommer sogar im litauischen Kaunas. Nur in Berlin sucht man weitgehend vergeblich nach frei bespielbaren Tasteninstrumenten. Skandal! Eine Glosse

Jetzt mal schwarz auf weiß, und schießen Sie bloß nicht auf den Pianisten: Es darf auch mal der Flohwalzer sein beim Klavierspielen in aller Öffentlichkeit, wie es sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Wobei so ein hingetupfter Mozart, ein perlender Chopin, ein wohltemperierter Bach oder ein cooler Fats Waller sicherlich mehr Liebhaber finden. Überall in der Welt setzen sich unerschrockene Passanten an solche mechanischen oder elektronischen, frei zugänglich platzierten Tasteninstrumente: am Flughafen in Paris, in französischen Bahnhofshallen, im Eingangsbereich der Amsterdamer Stadtbibliothek, vor dem Kaufhaus in Dortmund, in New York, Melbourne, Zypern ...
"Play me, I’m yours." Die vor Jahren in England gestartete Initiative, die mittlerweile Straßenklavier-Aktionen in 46 Städten verzeichnet – ab 8. August wird Stockholm bespielt –, erfreut sich stetiger Fortsetzung, nicht selten mit popkünstlerisch wertvoll bemalten Pianos. Meist sind sie halbwegs überdacht, denn so ein Stimmstock ist schnell mal verschnupft. Das litauische Kaunas stellt diesen Sommer sogar in Eigenregie ein Instrument samt Wetterschutz mitten in der Stadt zur Verfügung, um Einheimische wie Besucher zum Musizieren zu motivieren. Womit wir bei Berlin wären.

Im Berliner Bergmann-Kiez hievt "Klavierhelmut" sein Instrument aufs Rollbrett

Nein, nicht wegen des viel zu früh verstorbenen Wahl-Berliners Johannes Bobrowski, dem Autor des schönen kleinen Reiseromans „Litauische Claviere“. Sondern weil der Deckel in Berlin unten bleibt. Skandal!
Wer in der Hauptstadt nach öffentlichen Klavieren fahndet, wird gerade mal auf den Klavierraum in der Amerika-Gedenk-Bibliothek zum freien Üben verwiesen (vorher anmelden, zwei Stunden maximal). Auch im Weddinger Pianosalon Christophori mit seinen tollen Werkstatt-Konzerten wird man nicht fündig, dürfen die dortigen historischen Hammerflügel doch nur von Profis bespielt werden. Wenigstens treibt sich im Bergmann-Kiez seit über 20 Jahren der gute alte "Klavierhelmut" herum, der sein Instrument nach Lust und Laune aufs Rollbrett hievt und den Himmel über Kreuzberg mit Tastenmusik beglückt. Aber ob er auch andere ranlässt?
Von wegen Berlin, offene Stadt. Seit dem „Piano City“-Festival 2010 müssen Spontan-Spieler ausgerechnet in der Musikmetropole auf Kneipen ausweichen (anderweitige Hinweise nimmt die Redaktion gerne entgegen). Kein Straßenklavier an der Spree? Klarer Fall für den Regierenden Kultursenator. Frei nach dem legendären Loriot-Sketch über die Ankunft von Muttis Klavier aus Massachusetts könnten seine Wähler dann rufen: „Ein Klavier, ein Klavier, Müller, wir danken dir!“

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