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Kultur: Öl ist ein ganz besonderer Saft

Der Irak und Amerikas Krieg: Was sind die wahren Ziele der Bush-Regierung? / Von Jeremy Rifkin

Wenn man verstehen möchte, wie groß die Kluft zwischen Europa und Amerika geworden ist, muss man sich nur anhören, wie über den drohenden Angriff auf den Irak diskutiert wird: In den USA glauben die meisten ihrem Präsidenten, wenn er von der moralischen Pflicht spricht, die Welt vor Saddam Husseins pathologischem Eifer zu schützen, mit dem er angeblich Massenvernichtungswaffen bauen und einsetzen möchte.

In Europa dagegen nimmt man an, dass hinter dem Invasionsplan der Amerikaner die Sicherung ihrer Ölinteressen steht – schließlich verfügt der Irak nach SaudiArabien über die zweitgrößten Ölreserven der Welt. Wären die USA in der Lage, dieses Öl zu kontrollieren, so die Lesart der Europäer, könnten sie den saudi-arabischen Einfluss in der Region zurückdrängen und die Bedingungen formulieren, nach denen der Rest der Welt Zugriff auf das Öl erhält. Schon heute beziehen die USA 28 Prozent ihrer Ölimporte aus dem Mittleren Osten: eine Abhängigkeit, die in den nächsten Jahren dramatisch zunehmen wird.

Masterplan des Weißen Hauses

Während die meisten Amerikaner also denken, wir planten einen Angriff auf den Irak, um die Welt von einem Verrückten zu befreien, denken die meisten Europäer, dass Präsident Bush der Verrückte ist, der den gefährlichen Plan verfolgt, im ölreichen Mittleren Osten eine Basis zu errichten, um das amerikanische Imperium zu vergrößern. Dabei haben die Europäer durchaus Gründe, den Motiven der USA im Mittleren Osten zu misstrauen. In ihren Augen verfolgt die BushRegierung eigennützig nationale Interessen – genau wie bei der Weigerung des Weißen Hauses, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen oder den Empfehlungen des Johannisburger Gipfels zur Nachhaltigkeit zu folgen. In beiden Fällen werfen die Europäern den USA vor, auf plumpe Weise zu versuchen, die eigenen Wirtschaftsinteressen zu verfolgen statt ihren kollektiven Verpflichtungen nachzukommen und Öl zu sparen. Die Europäer sehen den Krieg gegen Irak als Teil eines Masterplans des Weißen Hauses, seine wirtschaftliche und militärische Vorrangstellung zu festigen.

Noch immer erschüttert von den Folgen des 11. September, glaubt die Mehrheit der Amerikaner hingegen ihrem Präsidenten, wenn er vor der Bedrohung der Bevölkerung von Seiten des Irak warnt. Die Amerikaner fühlen sich wehrlos und fürchten sich vor weiteren terroristischen Angriffen auf eigenem Boden. Viele haben sich von der Idee des Präventivschlags überzeugen lassen, wie sie das Weiße Haus propagiert. Mehr noch, in Amerika herrscht Unverständnis darüber, dass die Europäer die globale terroristische Bedrohung nicht ernster nehmen. Man fragt sich, warum unsere Allierten so unwillig sind, fest an der Seite der USA zu stehen, wenn es darum geht, Saddam Hussein zu entmachten.

Und doch wundere ich mich über die fast völlige Ausblendung der Öl-Connection durch die Politiker und großen Medien in Amerika. Kann es sein, dass die hiesigen Politiker und Reporter, Leitartikler, Redakteure und Produzenten in den elektronischen und den Printmedien so naiv sind zu glauben, es gäbe keine andere Agenda für den Mittleren Osten als jene, die das Weiße Haus und Präsident Bush offiziell präsentieren? Glauben sie wirklich, dass das Öl bei den strategischen Überlegungen des inneren Führungskreises keine Rolle spielt?

Besonders die politischen Kolumnisten haben sich geradezu verbogen, um die Darstellung des Weißen Hauses zu bekräftigen. Wegen der Sicherheitsbedrohungen durch Saddam Hussein, so argumentieren sie, käme man kaum oder gar nicht dazu, sich mit der Öl-Frage zu beschäftigen. Und wenn die Politiker und Medien sich einmal auf das Ölthema einlassen, dann fragen sie lediglich, welche Auswirkungen ein Irak-Angriff auf den Ölpreis haben könnte oder welche Länder und Firmen von einem Regimewechsel im Irak profitieren würden. Aber ob der Plan der Bush-Regierung, im Irak einzumarschieren, in irgendeiner Weise mit dem Bedürfnis zusammenhängt, die Ölfelder zu kontrollieren – dazu äußern sich die Politiker beider Parteien und die Medien nicht.

Die Öl-Männer Bush und Cheney

Das nationale Schweigen dröhnt um so lauter, wenn wir uns die Schlüsselfiguren dieses Fortsetzungsdramas anschauen: Präsident Bush und Vizepräsident Dick Cheney sind Öl-Männer. Sie kommen aus der Öl-Industrie. Ihre Karieren sind geformt von Öl-Interessen. Ihren politischen Aufstieg verdanken sie der Öl-Lobby. Präsident Bush begann seine Karriere in der freien Wirtschaft in den achtziger Jahren, als er in Texas eine Ölbohrfirma mit dem Namen Arbusto gründete. Diese Firma schloss sich 1984 mit einem anderen Ölunternehmen zusammen, Bush wurde Chef der fusionierten Firma Spektrum 7. Zwei Jahre später verkaufte er das Unternehmen an die Harken Energy Company, für die er als Berater arbeitete. Harken verfolgte damals Geschäftsinteressen im Mittleren Osten.

Vizepräsident Cheney war Präsident und Vorstandsvorsitzender der Halliburton Company, bevor er sein Amt im Weißen Haus antrat. Halliburton ist weltweit einer der größten Versorger der Petroleum- und Energieindustrie und in über 100 Ländern tätig. Kein Wunder, dass Kandidat Bush im Wahlkampf 2000 vorzugsweise Spenden aus der Ölindustrie enthielt: 1,8 Millionen Dollar – mehr hat kein anderer Kandidat für ein Bundesamt in den letzten zehn Jahren erhalten. Sofort nach seinem Amtsantritt tagte Cheney mit Vertretern der Ölindustrie hinter verschlossenen Türen und plante die Zukunft der amerikanischen Energieversorgung. Dass er sich danach weigerte, die Protokolle dieser Gespräche oder die Namen und Firmenzugehörigkeiten der Teilnehmer preiszugeben, obwohl Kongressabgeordnete immer wieder danach gefragt hatten, sollte wenigstens den Journalisten merkwürdig vorkommen.

Das soll nicht heißen, dass diese Gespräche unmittelbar mit den amerikanischen Sicherheitsinteressen im Irak und Mittleren Osten zusammenhängen. Vielmehr zeigen sie, dass die Interessen der Ölfirmen bei Bush oder Cheney immer Gehör finden. Angesichts dieser langen und engen Beziehung mit der Ölindustrie – enger als die irgendeines anderen Präsidenten in der Geschichte der USA – ist es unglaublich, dass sich kaum jemand in der amerikanischen Öffentlichkeit mit dieser Frage beschäftigt: Spielt der Wunsch, die zweitgrößten Ölfelder der Welt zu kontrollieren, irgendeine strategische Rolle im Denken des Weißen Hauses?

Natürlich wollen weder die Politiker noch die Medien unpatriotisch erscheinen. Dennoch gibt es Indizien für ein „zweites Motiv“ hinter einem Krieg mit dem Irak. Und zweifellos würde sich die öffentliche Debatte angesichts eines solchen „zweiten Motivs“ dramatisch ändern. Etliche Amerikaner haben mittlerweile Zweifel am Ausmaß der irakischen Bedrohung und an der Notwendigkeit, Truppen zu mobilisieren und junge Soldaten zu gefährden. Diese Bürger würden es kaum begrüßen, wenn all das auch nur teilweise geschähe, um die Interessen gigantischer Energieunternehmen zu sichern. Ja ich bin mir sicher, dass das amerikanische Volk einen Krieg gegen den Irak oder gegen ein anderes Landes im Persischen Golf niemals gutheißen würde, wenn es bloß Ölfelder zu erobern gälte. Schließlich haben wir den letzten Golfkrieg geführt, um den Irak davon abzuhalten, Ölfelder in Kuweit zu erobern.

Möglicherweise sind viele Amerikaner dennoch nicht misstrauisch, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, dass Öl eine Rolle in den strategischen Überlegungen des Weißen Hauses spielt. Europäern mag das schleierhaft sein: Aber die meisten US-Bürger sind davon überzeugt, dass ihre Regierung niemals bloß deshalb ein anderes Land angreifen würde, um Beute zu machen oder geopolitische Interessen durchzusetzen. Wie manche europäischen Mächte auch haben US-Regierungen in der Vergangenheit tatsächlich von Zeit zu Zeit militärische Einsätze durchgeführt, um sich wirtschaftliche oder politische Vorteile zu verschaffen. Dennoch glauben die meisten US-Bürger, dass wir unsere militärische Macht bislang nur eingesetzt haben, um Angriffe abzuwehren und um Menschenrechte und Freiheit zu verteidigen. Aber in der Geschichte der Vereinigten Staaten, vor allem bei unseren Unternehmungen in Mittel- und Südamerika und in der Karibik, standen immer wieder niedere Motive hinter unseren Militärschlägen.

Vielleicht sind Europa und der Rest der Welt ja auf dem falschen Dampfer, was Amerikas wahre Intentionen im Irak angeht. Dennoch ist es seltsam, dass es in den USA so gut wie keine öffentliche Diskussion darüber gibt, was hinter dem Vorhaben steckt, Saddam Hussein absetzen zu wollen. Alleine das gibt mir das Gefühl, dass es mehr Gründe für die Irak-Obsession des Weißen Hauses gibt, als uns gesagt wird.

Jeremy Rifkin ist Politikberater und Leiter der Foundation on Economic Trends in Washington. Zuletzt erschien von ihm „Die H2-Revolution“ (Campus Verlag, 240 Seiten, 25,50 € ) A.d.Amerikanischen von Moritz Schuller.

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