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Kultur: Offene Grenzen, offene Fragen

Die Wüste leuchtet strahlend weiß, ein Glanz aus nichts - und doch kein Niemandsland.An einem Fahnenmast baumelt eine Flagge in deutschen Farben, in der Mitte ein riesiges Loch, wie von einer Kanone hineingeschossen.

Die Wüste leuchtet strahlend weiß, ein Glanz aus nichts - und doch kein Niemandsland.An einem Fahnenmast baumelt eine Flagge in deutschen Farben, in der Mitte ein riesiges Loch, wie von einer Kanone hineingeschossen.Was dort fehlt, ist das Hammer-und-Sichel-Emblem.In dieser Ödnis soll sie nach dem Willen von Regisseur Günter Krämer entstehen, die sagenhafte Vergnügungsstadt Mahagonny, die Netzestadt, die den Menschen das nimmt, wofür sie so hart gearbeitet haben: ihr Geld.Die drei Stadtgründer, Witwe Begbick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses, sehen sonnenbebrillt und in schicken Fräcken ihren Gewinnen entgegen, unter den Armen Instrumentenkoffer, im Anschlag gehalten wie Gewehre.Sollen sie nur kommen, die Neureichen, die ihr Geld allein nicht zufriedenstellen kann.

Wo trifft sie heute noch, diese 1930 uraufgeführte Kapitalismuskritik von Bert Brecht und Kurt Weill, da gesellschaftliche Utopien jenseits des vereinten Binnenmarktes als Fußnote der Geschichte gelten? Wo tut das noch weh? Zur Beantwortung dieser Frage wird der Zuschauer an der Deutschen Oper auf Wiedervereinigungsterrain gelockt: Da erscheinen die Mädchen von Mahagonny als Ostmädels in Schürzenkleidchen, die sich gierig auf rote Pumps stürzen, um kurz darauf als Animierdamen die Beine zu verrenken.Natürlich verlieren sie alsbald ihr Gesicht, das durch eine Mickey-Maus-Maske einen uniformierten Ersatz erfährt.Während die Stadt, die Kurt Weill sein Sodom und Gomorrha nannte, den vernichtenden Hurrikan erwartet, senkt sich ein riesiges Schild in Schwarzrotgold vom Bühnenhimmel: Droht hier das entfesselte Du-Darfst-Land, die Bundesrepublik? Offene Grenzen - offene Fragen.

"Was ist ein Taifun an Schrecken gegen den Menschen, wenn er seinen Spaß haben will?" Die obersten Mahagonny-Regeln - Fressen, Lieben, Boxen, Saufen - läßt Krämer in bühnenwirksamen Massenszenen passieren.Ein Vergewaltigungsopfer wird rasch aus dem Orchestergraben gezerrt, an die wartenden Männer aus hygienischen Gründen die Mahnung zur Eile ausgegeben.Nach dem Verkehr wäscht man sich penibel die Genitalien.Schließlich erhofft man sich von Mahagonny: "Die Zi-zi-zi-zi-zivilis, die wird uns dort geheilt." Zivilisation ist in dieser Stadt genauso beliebt wie Syphilis, es ist eine Krankheit zum Tode.Und 300 Mickey-Maus-Ohren wippen dazu im Takt.Das rüde Treiben wird von vorbildlich gekleideten Menschen vorangetrieben, die sich auch aufs Tanzen verstehen: Letzte Reste einer bürgerlichen Welt, der das Fundament ihrer Werte zerbröêkelt ist und die jetzt Scherben lüstern zu Staub zertritt.Je genauer, je pedantischer das gezeigt wird, desto verstörender die Wirkung.Doch der Regisseur erliegt allzu oft dem Plakativen, verpaßt Picassos Friedenstauben einen Barcode und zaubert ein Fünf-Mark-Stück auf den Vorhang.In diesen Momenten teilt der Zuschauer das Schicksal der Mahagonny-Leute: Man wird satt, aber nicht glücklich - ja, man wird gar faul vor Unterforderung.

Davon kann Corinna Harfouch kein Lied singen.Die gefeierte Schauspielerin, als Jenny engagiert, entlockte mit ihrem Sangesvermögen dem Weill-Verlag Universal Edition schon vor der Premiere Schmerzenstöne.Zu Recht, denn singen kann die Harfouch wirklich nicht, auch wenn sie sich alle Mühe gibt, in den Höhen Lotte Lenya zu imitieren.Doch diese silbrigen Höhen, die noch im reifen Alter die Stimme des minderjährigen Straßenmädchens Jenny so sicher trafen, gehören der Lenya allein.Bleibt, mit darstellerischen Pfunden zu wuchern, doch mehr als ein leicht asoziales Getriebensein nimmt man dem hypermotorischen Spiel der Schauspielerin mit der Igelfrisur nicht ab.Diese schlangenartig sich windende Frau muß irgendwie durch die groben Maschen des Regiekonzepts geschlüpft sein.Dafür kassierte Corinna Harfouch am Ende Buh-Rufe, deren Adressat doch nur Günter Krämer heißen kann.Der zieht seine Fäden - trotz greller Effekte - einfach zu unentschieden, zitiert nach Kräften seine Hamburger Inszenierung von 1990 mit ihren Disney-Masken und verläßt sich weitgehend auf die Spielfreude von Götz Friedrichs Team.

Das Charlottenburger Opernhaus wartet mit einer trefflichen Besetzung auf: Robert Smith als Jim Mahoney verbindet tenorale Kraft mit fließendem Schmelz und sauberer Artikulation.Die Mahagonny-Gründer zeigen sich mit Karan Armstrong, Robert Wöhrle und Lenus Carlson komödiantisch wie gesanglich auf der Höhe.Der Chor agiert zupackend, ob vom Zuschauerraum, dem Orchestergraben oder der Bühne aus.Leichte Koordinationsprobleme fallen da kaum ins Gewicht.Lawrence Foster leitet mit Schwung durch die Partitur, das Orchester, zum Vorspiel mit seinem Graben emporgefahren (das hätte Brecht sicher gefallen), folgt engagiert.Nur der Neigung zur Süßlichkeit hätte Foster stärker entgegentreten müssen: Das klang mitunter nach hübsch dekorativer Filmmusik.Typisch Oper, hätte Brecht gesagt, so kulinarisch.Wie durch einen Schleier besehen.So blieb "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" an der Deutschen Oper insgesamt hinter einer veredelten Oberfläche zu ungenau, um als messerscharfes Lehrstück zu reüssieren, und wirkte als grausiges Trash-Musical viel zu betulich.Ein Abend der ambivalenten Gefühle, der keinem wirklich weh getan hat.

Weitere Vorstellungen am 24.und 28.Februar sowie am 4., 11.und 14.März.

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