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Kultur: Offene Zweierbeziehung statt Ehe durch dick und dünn

Die alte Schaubühne ist endgültig zu den Akten gelegt: das Ensemble wird aufgelöst, die Vollversammlungen sind abgeschafft.Es lebe die neue SchaubühneVON MANUEL BRUGDer Vorgang an sich ist vielleicht gar nicht so spektakulär, die Auswirkungen, vor allem die Signalfunktion dieser Maßnahme bleibt freilich nicht zu unterschätzen.

Die alte Schaubühne ist endgültig zu den Akten gelegt: das Ensemble wird aufgelöst, die Vollversammlungen sind abgeschafft.Es lebe die neue SchaubühneVON MANUEL BRUGDer Vorgang an sich ist vielleicht gar nicht so spektakulär, die Auswirkungen, vor allem die Signalfunktion dieser Maßnahme bleibt freilich nicht zu unterschätzen.Wie die Leitung der Berliner Schaubühne in einem am Montagmorgen versandten Fax mitteilte, wird sie ihr Schauspielerensemble, welches sich das später berühmte Theater nach seiner Gründung 1962 erst 1970 zugelegt hatte, nach und nach auflösen und künftig auf der Basis von Jahres- oder Stückverträgen mit einzelnen Akteuren zusammenarbeiten.Von den 19 bisher festangestellten Schauspielern (zu denen noch etwa 15 Gäste wie Jutta Lampe, Edith Clever, Bruno Ganz, Udo Samel und Gerd Wameling kommen) sind etwa die Hälfte noch bis Ende der Spielzeit 1997/98 verpflichtet, die Laufzeit der anderen Verträge reicht bis in den Sommer 1999.Ab dann soll jeweils neu verhandelt werden.Finanziell soll sich durch diese Befreiungstat weder am Gagengefüge noch am Etat etwas ändern. Die Schaubühne bestätigte damit andauernde Gerüchte über eine Strukturwandlung des Hauses, die sich am Wochenende konkretisiert hatten (siehe Tagesspiegel vom Sonntag).Den internen Diskussionen ist deshalb die für Dezember geplante "Danton"-Inszenierung von Andrea Breth zum Opfer gefallen, da einzelne Protagonisten ihre Rollen aufgrund anderweitiger Verpflichtungen vor allem bei Film und Fernsehen kurzfristig zurückgegeben hatten - wozu sie das alte Mitbestimmungsmodell der Schaubühne formal berechtigte.Gleichwohl will Andrea Breth noch dieses Jahr eine andere, wahrscheinlich kleiner dimensionierte Neuinszenierung herausbringen. Wie es in der langen, an Deutlichkeit zwischen den Zeilen nichts offen lassenden, durch und durch im Tonfall enttäuschter basisdemokratischer Erfahrungen gehaltenen Mitteilung heißt, haben die letzten Jahre gezeigt, "daß sich immer weniger Schauspieler zu einer ausschließlichen und damit einem Haus dienenden Ensemblearbeit verstehen können.Die Monatsgagen eines Theaters (Anmerkung der Redaktion: an der Schaubühne bewegen die sich zwischen 2900 Mark für Anfänger im ersten Jahr bis zu - wenigen - Höchstgehältern von 12 000 Mark) im Vergleich zu den Tagesgagen für Film- und Fernseharbeiten stehen in keinem Verhältnis mehr.Die letzten Jahre haben ebenfalls gezeigt, daß es auch am Theater - spiegelbildlich zur Gesellschaft - zunehmend um individuelle Ansprüche, um das Einfordern von Rechten zu Lasten von Pflichten ging, die man mit einer festen Bindung an ein Haus eingeht.Der seit langem zu beobachtende Erosionsprozeß der Ensembles hat sich zunehmend auch auf die Arbeit der Schaubühne ausgewirkt". Wie Schaubühnen-Geschäftsführer Jürgen Schitthelm gegenüber dem Tagesspiegel sagt, "sind wir mit diesem Schritt vielleicht zwei, drei Jahre zu spät dran, weil wir einfach an unserer alten Arbeitsweise festhalten wollten".Das fast schon legendäre Mitbestimmungsmodell der Schaubühne sieht vor, daß das Ensemble gemeinsam über jedes Stück und jeden Regisseur mit einfacher Mehrheit befinden muß.Schitthelm begreift die jetzt getroffene Entscheidung als "Schritt nach vorn.Wir sind jetzt flexibler, können weitreichender planen, uns besser miteinander verabreden.Auch Regisseure, die hier bisher nicht möglich waren, können in unsere Überlegungen miteinbezogen werden". Jürgen Schitthelm betont ausdrücklich, daß man sich in der Direktion im Festhalten am überkommenen Mitbestimmungsmodell einig gewesen sei, nur neuerliche Denkprozesse in Teilen des Ensembles hätten diese Grundsätze jetzt unmöglich gemacht.Das neue Modell, einer Art offene Zweierbeziehung statt einer Ehe durch dick und dünn, "läßt längerfristige Engagements zu, wann immer sich Schauspieler auf eine Abfolge von Stücken einlassen, sie sichern aber vor allem den Regisseuren die für die künstlerische Arbeit erforderliche Ruhe und Konzentration".Über die angekündigten Premieren von Yoshi Oida und Klaus Michael Grüber ("Iphigenie auf Tauris") hinaus ist man inzwischen auch mit Luc Bondy über eine Koproduktion mit den Wiener Festwochen, wo er ab 1998 für die Schauspielaktivitäten verantwortlich zeichnet, im Gespräch. Auch wenn die Schaubühne sicherlich mit ihrem konzentrierten Spielplan, ihren baulichen Gegebenheiten und ihrem kleinen Ensemble unter Bedingungen arbeitet, die nur schwerlich auf andere Theater zu übertragen sind, so wird sich dieser jüngste Schritt vor allem auf das Selbstverständnis junger Schauspieler auswirken.Jetzt, wo selbst das große Vorbild die Segel gestrichen hat und endgültig Abschied nehmen muß von Gestern, wird sich ein - guter und gefragter - Schauspieler künftig seine Zeit sehr genau zwischen Theater, Film und Fernsehen einteilen.In einer Zeit, in der die elektronischen Medien mehr Beschäftigung verheißen als je den Hochzeiten von Ufa oder dem Film der fünfziger Jahre, wird der genuine Bühnendarsteller immer mehr zum Anachronismus.Mit den meisten jungen Schauspielern kommt man heute "nur noch über Manager ins Gespräch" (Schitthelm), Arbeitsmethoden aus dem Fernsehbereich werden übernommen, die Sprache steht längst nicht mehr im Mittelpunkt.Und jetzt gibt es auch keine, von Peter Steins Dialektik- und Diskussionskultur geprägten Ensemblevollversammlungen mehr.Eigentlich schade drum.

MANUEL BRUG

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