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Kultur: Ohne Fernsehen keine Zukunft

"Etwas stimmt nicht hier in Europa, wenn unsere Filmtalente nach Hollywood gehen und dort in vorauseilendem Gehorsam erfolgreiche Amerikaner werden." Volker Schlöndorff, der Ehrengast des Straßburger Forums des europäischen Films, liebt den provokanten Denkanstoß.

"Etwas stimmt nicht hier in Europa, wenn unsere Filmtalente nach Hollywood gehen und dort in vorauseilendem Gehorsam erfolgreiche Amerikaner werden." Volker Schlöndorff, der Ehrengast des Straßburger Forums des europäischen Films, liebt den provokanten Denkanstoß.Doch seine Frage trifft bei den anwesenden Parlamentariern auf eben jene eher ratlose Haltung der Politik gegenüber Filmkultur und Filmwirtschaft, die die Runde eigentlich überwinden will.Vor zwei Jahren rief Pierre-Henri Delheau, bis vor kurzem Chef der Quinzaine des réalisateurs in Cannes, eben jenes Forum ins Leben - und seitdem treffen sich alljährlich Filmleute aus ganz Europa in Straßburg, um die Defizite in der Filmpolitik zu benennen und die Politiker für die Filmgemeinde zu gewinnen.

Das Hauptproblem: Europäer gucken im Kino zu wenig europäische Filme.Statistisch erleben die europäischen Produktionen im jeweiligen Ursprungsland zwar eine Renaissance; und zwischen 1996 und 1997 haben sich die "nichtnationalen" Zuschauerzahlen für europäische Filme sogar verdoppelt.Doch die 54 Millionen Zuschauer machen nicht einmal acht Prozent der rund 700 Millionen EU-Kinobesuche aus.

Woran liegt es, daß die meisten europäischen Produktionen in den Kinos außerhalb ihres Ursprungslands kaum eine Chance haben? Die Filmfachleute bemühen den Volksmund: Was der Bauer nicht kennt, frißt er nicht.Zudem würden in den Kinos der EU-Mitgliedsländer europäische Filme eher zufällig angeboten.Das Publikum habe daher zu wenig Gelegenheit, die Kinematografie der Nachbarn schätzen zu lernen.

Abhilfe biete da, so die Forums-Teilnehmer, nur ein Quantensprung bei der Promotion - und der Blick auf Absatzmärkte außerhalb Europas.So solle die europäische Filmförder-Institution MEDIA mehr Geld etwa für die in Hamburg ansässige "European Film Promotion" zur Verfügung stellen.Diese Institution hat soeben auf dem Festival in Toronto 85 europäische Filme vorgestellt und will Ende September den asiatischen Märkten den europäischen Film schmackhaft machen - auf dem Festival im südkoreanischen Pusan.

Bessere Werbung verspricht sich Pierre-Henri Delheau auch vom Europäischen Filmpreis, den die in Berlin beheimatete Europäische Filmakademie vergibt.Schon nächstes Jahr soll an einem "Tag des europäischen Films" in allen Kinos, die einen europäischen Film zeigen, ein stark reduzierter Eintrittspreis gelten.Auch die TV-Sender sollten am selben Tag einen europäischen, nichtnationalen Film ausstrahlen.

Soviele Vorschläge kosten Geld.Geht es nach dem Willen der Politiker und Filmleute, so wird der Etat der EU-Filmwirtschaftshilfe MEDIA von bislang jährlich 62 Millionen ECU verdoppelt.Diese Forderung renne in Brüssel offene Türen ein, bekräftigten Spyros Pappas, Chef der Generaldirektorin X der EU, und Jean-Michel Baer, Direktor für die audiovisuelle Politik des gleichen Brüsseler Büros.Zudem nimmt sich das Engagement der EU für die Filmwirtschaft bisher sehr bescheiden aus: Eben 0,06 Prozent des EU-Haushalts kommt über MEDIA der audiovisuellen Wirtschaft zugute (die Tabakindustrie bekommt zehnmal mehr).Sollte der neue Geldsegen die politischen Hürden nehmen, ist freilich noch offen, wofür das zusätzliche Geld eingesetzt werden soll.Begierig sind alle: Die Verleiher wollen mehr Verleihförderung, die Archive weisen zu Recht auf den desolaten Zustand vieler filmhistorisch bedeutender Werke hin.

Die Zukunft des europäischen Films hängt in wachsendem Maß auch vom Fernsehen ab.Die britische Europaparlamentarierin Carole Tongue forderte eine Politik, die die Privatsender in die Pflicht nimmt und das digitale Fernsehen als Plattform für europäische Produktionen nutzt.In Anspielung auf den von Rupert Murdoch geführten Privatsender BSkyB, der den englischen Fußballklub Manchester United kaufen will, erklärte sie: "Private Sender können es sich leisten, in die europäische Filmproduktion zu investieren, doch sind sie immer weniger bereit, Risiken einzugehen.Wir Politiker müssen sie zu Investitionen in Europa verpflichten."

Ob solch dringende Anliegen an die Politik in der EU mehrheitsfähig sein werden, bleibt jedoch fraglich.Schon die Direktive "Fernsehen ohne Grenzen", die den Fernsehanstalten eine Quote an europäischen Produktionen vorschreibt, fand nur eine dünne Mehrheit - und das unter Zähneknirschen.

ROBERT RICHTER

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