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Kultur: Ohne Skrupel

KUNST „Dies ist mein Leib", sagte der Menschensohn, als er beim Abendmahl das Brot brach. „Nehmet und esset".

KUNST

„Dies ist mein Leib", sagte der Menschensohn, als er beim Abendmahl das Brot brach. „Nehmet und esset". Hat er sich auch in dieser Schrippe transsubstanzialisiert, deren angebissene Ecke sich blutrot färbte und zur klaffenden Seitenwunde wurde? Aufrecht montiert und hinter Glas zur Schau gestellt vereint der verletzte Brotlaib die Ikonographie des Gekreuzigten mit einem generellen Vorwurf der gequälten Kreatur: Warum zerfleischt ihr uns? Doch Halt! Es ist ja nur eine Ostberliner Schrippe mit ein bisschen Farbe, wahrscheinlich nicht mal das: eher Himbeermarmelade, nehmet und esset, kein Abendmahl, eine Einladung zum Frühstück. Lustvoll lockt die Künstlerin und Kunsthistorikerin Käthe Wenzel den Betrachter auf falsche Fährten. So auch mit dem Titel ihrer Ausstellung „Zuckerpuppen" in der Galerie Kurt im Hirsch (bis 6.10. Katanienallee 12, 2. Quergebäude, Fr-So 18 bis 20 Uhr) denn süß sind ihre Objekte aus Zucker, Brot, Wachs, Haaren oder Knochen nicht. Zu nah am Körperlichen und dessen Verstümmelung sind sie: Das Büschel Frauenhaar, das im trüben Wasser einer bauchigen Flasche mit der passenden Bezeichnung „Fiasko" schwimmt, ist keine Reliquie einer gemarterten Jungfrau mit Erlösungsgarantie, sondern ein Skalp: „Orphelia-Trophäe" heißt das Werk. Aber nicht alle Objekte sind so bösartig. An eine handliche Reproduktion der Venus von Milo aus zarten, glitzernden Zuckerkristallen sind die Arme von Michelangelos David aus leuchtend rotem Wachs montiert. Sie passen erstaunlich gut an den schlanken Körper. Bindfäden fixieren sie am starren Leib und bändigen zugleich ihre zupackende Kraft, die die „Zuckerpuppe" zu zersprengen droht. Der Docht zerschmilzt den Zucker und das Wachs der Schönheiten aus Antike und Renaissance zu einem Energiebündel - die ideale Skulptur für die grauen Tage am Herbstanfang. Uta Kornmeier

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