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Spiegel an der Decke: Installation von Cai Guo-Qiang im Puschkin-Museum.

©  Imago

Oktoberrevolution in Moskaus Museen: Hundert Jahre Putin

Schießpulver und Schlägertrupps: Wie die Moskauer Kunstszene auf das Jubiläum der Oktoberrevolution reagiert. Kritische Positionen sind nicht mehr erwünscht.

Revolutionen neigen zum Absturz, werden schnell zur Geisterbahn. Das kann man im Moskauer Puschkin-Museum besichtigen. Ein Video vom Roten Platz. Blauer Himmel, weißes Licht. Da tauchen am Himmel Kasimir Malewitschs berühmte Werke „Schwarzes Kreuz“, „Schwarzes Quadrat“, „Schwarzer Kreis“ als Triptychon auf, Ikonen moderner Kunst, erstmals 1917 in einer Petrograder Galerie ausgestellt. Ein roter Stern zieht am Himmel auf, weitere rote Sterne kommen dazu, verdichten sich zu einer roten Wand – eine Mauer aus Blut. Plötzlich ist alles fort. Nach ein paar Minuten beginnt der Spuk von Neuem.

Das altehrwürdige Puschkin-Museum begrüßt seine Besucher mit dieser raumgreifenden Installation von Cai Guo-Qiang. Der Beijinger Künstler bespielt das gesamte Haus mit Videos, segelgroßen Bannern und „gunpowder paintings“ – Bildern, die durch feuerwerksähnliche Explosionen mit Schießpulver entstehen. Feuer und Revolution, das passt. Cai Guo-Qiang verfolgt die Metapher bis in die letzte Konsequenz. „Kein Gott, kein Zar, kein Held“ – die Passage aus der „Internationalen“ brennt sich in ein riesiges Seidentuch ein, schwarz und löchrig. Wie ein Blitz ist die Revolution in Moskaus bedeutendstes Museum hineingefahren. „Es ist eine ganz spezielle Deutung der Russischen Revolution“, erklärt die Museumsdirektorin. Schließlich habe Cai Guo-Qiang als Chinese eigene Erfahrungen mit einer kommunistischen Revolution gemacht. Deshalb habe man ihm eines der größten Museen Moskaus anvertraut.

Der Griff des Kreml wird härter

Wie steht Russland zu seiner Revolution, die am heutigen 7. November genau vor 100 Jahren endete? Eine schwierige Frage, vor allem für die Russen. Wer heute in Moskau darüber sprechen will, erlebt, wie sich die Gesprächspartner winden. Nur keine klare Antwort. 1917, das bedeutet für viele erst mal die Spaltung des Landes, der Beginn einer Utopie und zugleich deren Zerstörung. Soll man das feiern? „Das Ereignis ist zu wichtig, um es zu ignorieren“, sagt eine Galeristin, die nicht genannt werden will und sich heftig über die Einschränkungen der künstlerischen Freiheit in den letzten Jahren beklagt. Das Klima ist sei rauer geworden, der Griff des Kreml härter, seitdem Künstler wie Pussy Riot und Pjotr Pawlenski das Land verlassen haben, und der kritische Regisseur Kirill Serebrennikow immer noch unter Hausarrest sitzt.

Also Scheinwerfer auf St. Petersburg? Kaum jemand scheint daran Interesse zu haben. Die Regierung Putin hat längst kalte Füße bekommen. Welcher Mächtige findet es schon sexy, von einer Revolution zu reden, wenn man selbst Opfer der nächsten werden könnte? Von den Gegenwartskünstlern kommen kaum Antworten. Für 17 öffentliche Ausstellungen hat der Staat 7500 000 Euro bereitgestellt. Doch die sind sachlich-historisch orientiert und zeigen vor allem Archivmaterial, eine wirkliche Auseinandersetzung mit 1917 und den Folgen findet kaum statt. Dafür reizt es manche, sich in die alte Größe des Sowjetreichs zurückzuträumen. „Back to the USSR“ scheint das Motto des Künstlers Alexey Belyaev-Gintovt zu sein. Der malt sich in seinen propagandistischen Bildern Siegesparaden aus, die er in die Zukunft verlegt. Auf giftig grünem Grund marschieren Scharen roter, kahlköpfiger Krieger im Stechschritt, die Kalaschnikow im Anschlag. Eine Mischung aus Comic, Heldenepos und faschistischer Ideologie. So soll sich nach dem Willen des Künstlers Geschichte vollenden.

Die Kirche wird zum Richter und Zensor

Das im September neu aufgestellte Denkmal von Mikhail Kalaschnikow.
Das im September neu aufgestellte Denkmal von Mikhail Kalaschnikow.

© AFP

Männlichkeitsverklärung, Militarismus und Größenwahn sind die Ingredienzien der Formensprache von Alexey Gintovt, der sich an der Propaganda der sowjetischen Revolutionskünstler zwischen 1917 und 1932 orientiert. Und natürlich an Leni Riefenstahl. Damit scheint der schillernde, gern als Heilsbringer in Lederjacke auftretende Künstler den Nerv des Kreml zu treffen. Er betont, Russland brauche nur den richtigen „Führer“ und malt Putin in einem futuristischen Porträt ganz in rot. Ein bedrohliches Gesicht. Gintovts nächstes Projekt: 100 Porträts von Putin. Eines für jedes Jahr seit der Revolution.

Wir treffen ihn in der schicken Galerie RuArt, einer der angesehensten Moskaus. Dort stellt er seine Vision der Antike aus, die Sammlung aus gemalten Statuen und Tempeln nennt er „Ordnung“. Die Schau ist Teil des Rahmenprogramms der Moskau Biennale, die Stimmung ist angespannt. „Ich bin nervös“, sagt die künstlerische Leiterin der Galerie, Catherine Borrissoff – nicht nur wegen Gintovts protofaschistischer Kunst, sondern auch wegen eines hageren Männchens, das wie ein Rumpelstilzchen durch die Räume stapft.

Der Mann trägt einen schwarzen Rock und bleibt mit mürrischem Blick vor den Kunstwerken stehen. Ein orthodoxer Priester, der das richtende Auge Gottes spielt. Ein gespenstischer Auftritt. Er sortiert streng zwischen gut und böse, schmutzig und patriotisch, erlaubt und verboten. Er checkt die Kunstwerke auf ihre Konformität zu Kirche, Staat und Moral. Ohne göttlichen Segen geht kaum noch etwas in Russlands Kunstszene – hundert Jahre nach der Oktoberrevolution, in deren Folge 300 000 Priester getötet worden sein sollen, sind die Geistlichen zurück, als Richter und Zensoren. „Gottes Wille“ nennt sich ein Schlägertrupp, der unter der Führung des orthodoxen Aktivisten Dmitri Zorionow Moskauer Museen und Galerien heimsucht.

Der Kulturminister weiht lieber ein Kalaschnikow-Denkmal ein

Der russische Kulturminister interessiert sich dafür nicht. An der Eröffnung der Moskau-Biennale, dem wichtigsten Event für zeitgenössische Kunst, nahm Wladimir Medinski nicht teil, weil er ein acht Meter hohes Standbild von Mikhail Kalaschnikow einweihte. Der Erfinder des gleichnamigen Sturmgewehrs habe ein „kulturelles Wahrzeichen“ geschaffen, die Kalaschnikow sei eine Marke, die „die besten Eigenschaften eines Russen symbolisiert.“ Die Statue war von der Russischen Gesellschaft für Militärgeschichte in Auftrag gegeben worden. Deren Präsident ist Medinski selbst.

Von der Biennale würde man Auskunft erwarten, zur Gegenwart Russlands und zum Erbe der Revolution. Doch gleich zur Eröffnung hat Direktorin Zelfira Tregulova erklärt: „Dies ist keine Plattform für Politik oder für soziale Botschaften. Es geht ausschließlich um Kunst.“ Kritische Positionen sind 2017 nicht mehr erwünscht. Dafür ist gleich am Eingang der Biennale Dashi Namdakov platziert, Putins Lieblingskünstler. Der Mann vom Baikalsee hat eine kitschige weiße Baumattrappe aufgepflanzt mit einem Geweih in den Ästen. Mit der Cyber-Brille betrachtet weitet sich die Installation zu einem Totempfahl. Der Ethno-Kitsch beeindruckt immerhin die russische Regierung. Putin und diverse Minister sollen Werke des Künstlers besitzen. Namdakovs Amazonen, Tiger, goldene Drachen, Löwen und Adler überschwemmen den Markt.

Gerade auf der Biennale hätte man im Jubiläumsjahr mehr erwartet. Wie gut das geht, hat Cai Guo-Qiang im Puschkin Museum schon mal gezeigt. Er unterlegt Tschaikowskys sanfte, elegische Musik „Oktober“ mit Granatdonner und Gewehrsalven, einem Rhythmus, der auf- und wieder abebbt. Der Klang der Revolution.

Werner Bloch

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