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Kultur: Olaf Nicolai: Die Tränen des Künstlers

Wendet sich ein Künstler einmal direkt mit einem Statement an die Öffentlichkeit, dann ist das ein bisschen so als ob der Bundeskanzler seine Weihnachtsansprache hält: Das Licht wird gedämmt, der Ton schwillt an, die Inhalte versiegen. In diesem Moment sind nicht neue Ideen gefragt, sondern die öffentliche Beschwörung von Szenen und Bildern, an denen man sich gemeinsam festhalten kann: Urszenen des gesellschaftlichen Lebens.

Wendet sich ein Künstler einmal direkt mit einem Statement an die Öffentlichkeit, dann ist das ein bisschen so als ob der Bundeskanzler seine Weihnachtsansprache hält: Das Licht wird gedämmt, der Ton schwillt an, die Inhalte versiegen. In diesem Moment sind nicht neue Ideen gefragt, sondern die öffentliche Beschwörung von Szenen und Bildern, an denen man sich gemeinsam festhalten kann: Urszenen des gesellschaftlichen Lebens. "Bei Fragen von einschneidender Bedeutung ist der Stil, nicht die Ehrlichkeit ausschlaggegebend" (James Joyce). Beides, das Joyce-Zitat aus "A Portrait of the Artist as a young Man", und die Weihnachtsansprache, sind die milden Gaben, die Olaf Nicolai seiner aktuellen Ausstellung bei Eigen + Art beigegeben hat. Die Ansprache kommt, legerer als beim Kanzler, per Fax als Pressemitteilung ins Haus. Beendet und eingerahmt wird es von dem Joyce-Zitat, dem Nicolai auch den Titel für seine aktuelle Show entlehnt: "A Portrait of the Artist as a Weeping Narcissus."

Gemäß ihrem literarischen Titel besteht die neue Arbeit Nicolais aus nichts anderem als einem Narziss, dem die Tränen aus den Augen kullern. Nicolai hat ein Double seiner Person angefertigt, einen zeitgemäßen Narziss, der mit modischen Turnschuhen und Schlag in der Jeans auf allen vieren über einer Pfütze kniet. Die Pfütze - die wiederum auf einer kleinen Insel steht - wird gefüllt von seinen eigenen Tränen. Warum weint Olaf Nicolai? Über einen Misserfolg? Trauert er um den Verlust seiner Unschuld? Geht es um die Kunst oder den Künstler? Oder um beides? Eine so merkwürdige Arbeit hat man von Nicolai - einem erklärten Liebling des Berliner Kunstbetriebes - noch nie gesehen. Nicolai, der es mit seinen intelligenten Versteckspiel um das Verhältnis von Natur und Kultur auch auf die letzte documenta geschafft hat und mit seiner eigen-ethnologische Kunst seither um den Globus tourt, hat noch nie ein Statement - geschweige denn ein Bekenntnis - zur eigenen Person abgegeben. Nie wusste man, wie es um den Seelenhaushalt dieses Künstlers bestellt war. Und plötzlich sieht man ihn vor sich, auf allen vieren kniend, die Tränen fließen. Erklärungsbedarf scheint gegeben, eine Ansprache von Nicolai ans Künstlervolk war dringend vonnöten, um die drohenden Missverständnisse auszuräumen. Lieber Olaf, was willst Du uns damit sagen? Hast Du zum Ursprung der Kunst zurückgefunden? Und ist alles wirklich zum Heulen?

Olaf Nicolai hält sich in seinem Statement genauso bedeckt wie der Bundeskanzler vor der Presse. Er wiederholt, was wir ohnehin schon wissen, er beweihräuchert, statt zu antworten. Er redet davon, wie problematisch es doch ist, heute ein Künstler zu sein, berichtet vom wohlwollenden Desinteresse von Partygästen, die lieber start-up-stories als Künstlerprobleme teilen wollen. Und beobachtet, dass der narzistische Charakter des Künstlers im heutigen Kunstbetrieb eher ein Produktmerkmal als eine Eigenschaft darstellt. Damit ist Nicolai im Zentrum seines Problems. Allein die Rezeption seiner Arbeit demonstriert das Phänomen, mit dem Nicolai als romantischer Künstler in der modernen Zeit zu kämpfen hat: Der Künstler muss empfinden, um Kunst zu machen; doch die Kunst macht etwas anderes aus seinen Tränen, das mit seiner ursprünglichen Empfindung nichts mehr zu tun hat: ein Produkt, einen Wert, eine Corporate Identity. Deswegen weint Nicolai in die Pfütze seines Kunstwerks - in der er sich aber nicht wiedererkennt. Denn dieselben Tränen, die er weint, zerstören das Spiegelbild, in dem er sich als Weinenden sehen könnte. So bleibt ihm am Schluss die melancholische Erkenntnis, dass es als Künstler unmöglich ist, gleichzeitig zu weinen und sich zu erkennen, dass man nicht gleichzeitig Kunst machen und sich darin wiederfinden kann. Wie die Pfütze vor Nicolais Knien ist die Kunst ein Zerrspiegel, in dem verschwimmt, was man in ihn hineintut. Und so beendet Nicolai sein Kabinettstündchen mit Einblick in eine Urszene der Kunst so galant und herzlich wie der Bundeskanzler seinen trübsinnigen Weihnachtsreigen mit den Worten: "Bei Fragen von einschneidender Bedeutung ist der Stil, nicht die Ehrlichkeit ausschlaggegebend" (120 000 Mark).

Knut Ebeling

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