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Der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow wurde 2015 zu 20 Jahren Lagerhaft verurteilt. Er hungert seit 14. Mai.

© dpa

Oleg Senzow und WM-Russland: Keine Gnade für Oleg Senzow

45 Tage Hungerstreik: Wird der Filmemacher und politische Gefangene Oleg Senzow die Fußball-WM überleben?

Was wäre, wenn Oleg Senzow stirbt? Mitten in diesem Fußballfest, dem sich Russland gerade so leidenschaftlich hingibt. Was wäre ein Tod, mitten in dieser fröhlichen, lockeren Stimmung, die das Land ausstrahlt und die auch von der Niederlage gegen Uruguay nicht zerstört wird.

Sterben kann Oleg Senzow, der international preisgekrönte ukrainische Filmemacher, jeden Augenblick. Er befindet sich seit bald sieben Wochen im Hungerstreik, in einem der berüchtigten russischen Straflager am Polarkreis. Seit dem 14. Mai nimmt er nur Flüssigkeit und Vitamine zu sich. Herz, Nieren und Leber haben Schaden genommen, sagen seine Vertrauten. Der Körper baut die letzten Reserven ab, er verzehrt sich selbst.

Der ukrainische Regisseur und Maidan- Aktivist war nach der russischen Okkupation der Krim 2014 gefangengenommen und nach Russland deportiert worden. Sein Vergehen in den Augen der neuen Macht: Senzow hatte sich gegen sie aufgelehnt. Er hatte Lebensmitteltransporte für die ukrainischen Soldaten organisiert, die von den russischen Truppen in ihren Kasernen blockiert wurden, damit sie die Invasion nicht stören. Der russische Geheimdienst beschuldigte Senzow, Terroranschläge auf der Krim geplant zu haben. Als Beweis dienten die Aussagen zweier dubioser ukrainischer Zeugen, die sich damit möglicherweise Straffreiheit erkaufen konnten. Senzow bestreitet alle Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft übernahm die Beschuldigungen des Geheimdienstes, das Gericht urteilte entsprechend der Anklageschrift. Senzow bekam 20 Jahre Lagerhaft. Jetzt hungert er, will die Freilassung aller ukrainischen politischen Gefangenen in Russland erzwingen. Die Liste umfasst 70 Menschen.

Russlands Justiz ist unabhängig, sagt der Präsident mit KGB-Humor

Senzows Tod wäre so furchtbar wie sinnlos. Es ist abwegig zu glauben, ein solcher Tod würde sich als Last auf das Gewissen der Herrschenden in Russland legen. Vergleichbares hat sie bislang an sich abtropfen lassen. Die Ermordung der Journalistin Anna Politkowskaja 2006 beispielsweise. Der russische Präsident verurteilte das Verbrechen, aber dann ließ er zwei Sätze folgen, die seine tatsächliche Gemütslage erhellten. Anna Politkowskaja, sagte Putin, sei zwar bekannt, aber „nicht in der Lage gewesen, die politische Stimmung in Russland zu beeinflussen“. Das konnte man so verstehen: Der Toten werde zu viel Bedeutung beigemessen.

Nicht nur in der Ukraine, auch in Moskau wird für den zu Unrecht inhaftierten Regisseur und Maidan-Aktivisten Oleg Senzow demonstriert.
Nicht nur in der Ukraine, auch in Moskau wird für den zu Unrecht inhaftierten Regisseur und Maidan-Aktivisten Oleg Senzow demonstriert.

© dpa/Evgeny Feldman

Gleiches ließe sich auch von Oleg Senzow sagen. Putin hat sich bisher kaum zu dem Fall geäußert. Zuletzt behauptete er in trockenem KGB-Humor, Russlands Justiz sei unabhängig. Russische Künstler haben eine Petition an Putin gerichtet, in einer Sprache, die in ihrer Demut an die Untertanen des Zaren im 19. Jahrhunderts erinnert. Putin wird darin um Barmherzigkeit gebeten. Und weiter: „Wir müssen das politische Klima im Lande mildern, uns mit unseren Nachbarn aussöhnen. Begnadigen Sie, wir bitten Sie.“

Putin könnte Senzow begnadigen. Wenn er wollte

Um Gnade bitten schon seit Senzows Verhaftung und Verurteilung Künstlerkollegen aus aller Welt: Agnieszka Holland, Ken Loach, Mike Leigh, Pedro Almodóvar, Stephen King, um einige zu nennen. Thorbjörn Jagland, der Generalsekretär des Europarates, richtete in dieser Woche ein offizielles Gesuch an Putin. Präsidentensprecher Dmitri Peskow blockte alle ab. Ein Gnadengesuch könne nur der Verurteilte selbst an Putin richten, sagt der Kreml-Sprecher. Das ist gelogen. In Artikel 89 der Verfassung steht: „Der Präsident der Russländischen Föderation (...) übt das Begnadigungsrecht aus.“ Ohne jede Einschränkung. Putin könnte. Wenn er nur wollte.

Dass die Zeit drängt, glaubt die Staatsmacht offensichtlich nicht. Putins Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa erklärte Senzows Hungerstreik sarkastisch zum Heilfasten. Immerhin will sie den Gefangenen mal besuchen.

Was wäre, wenn Oleg Senzow freikäme? Mitten in diesem Fußballfest, in dieser scheinbar alle Spannungen mildernden WM-Stimmung.

Nein, das ist eine zu große Hoffnung.

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