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Sportsfreunde. Kennedy, Brandt und Adenauer am Checkpoint Charlie – im Jahr von Brandts Olympiavorstoß, 1963.

© AFP

Olympia in der geteilten Stadt: Als Willy Brandt die Spiele nach Berlin holen wollte

Ist Berlin bereit für Olympia? Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt wollte die Spiele 1968 nach Berlin holen – zusammen mit der DDR.

Im Sommer 1963 musste sich das Bundeskabinett in Bonn mit einer Initiative befassen, die der Regierung aus Union und FDP überhaupt nicht behagte. Es ging um die Olympischen Spiele 1968. Die Bewerbung dafür kam aus Berlin.

Die Initiative von 1963 – Berlin war eine geteilte Stadt, die Mauer stand nicht mal zwei Jahre – ging vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt und dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) Willi Daume aus. Die beiden beabsichtigten, die Sommerspiele 1968 in beiden Teilen Berlins austragen zu lassen. Damals eine mutige Vorstellung, standen sich an der Berliner Sektorengrenze doch die Kontrahenten des Kalten Krieges, die USA und die Sowjetunion, waffenstrotzend gegenüber.

Brandt war im Interesse seiner Stadt an einem schnellen Ausgleich zwischen Ost und West interessiert, mittels der Olympiade. Dafür brauchte er jedoch die Bundesregierung. Die wusste sehr wohl, dass die Alliierten von dieser (ihre Rechte in Berlin ignorierenden) Initiative nicht sehr angetan sein würden. Deshalb reichte das Kabinett den Vorgang an die Unterabteilung des zuständigen Fach-Ministeriums weiter. Man hatte in Bonn offenbar das Gefühl, dass der Berliner Widersacher des CDU-Kanzlers Adenauer diesem ein faules Ei ins Nest legen wollte. Deshalb wollte man die Angelegenheit aussitzen. Die Bewerbungsfrist lief sowieso bald ab, dann hatte Berlin keine Chance mehr.

In Bonn läuteten die Alarmglocken

Doch Willy Brandt wandte sich drei Tage vor Ablauf der Frist an das IOC und lud – ohne die Zustimmung aus Bonn abzuwarten – schon mal keck zur Feier der XIX. Olympischen Spiele im Sommer 1968 nach Berlin ein. Diesen spektakulären Schritt hatte er nicht ohne die Rückendeckung von Willi Daume tun können. Der Präsident des NOK/West stand in Kontakt mit dem NOK/Ost. Und überraschenderweise kam von dessen Präsidenten Schöbel ein ermutigendes Signal. Dabei verhielt sich Ost-Berlin aus Angst davor, die UdSSR zu verärgern, solchen Initiativen gegenüber sonst eher eisig.

Es gab neuerdings eine starke Gruppe in der DDR-Führung, die eine gemeinsame Ausrichtung der Olympischen Spiele in Berlin begrüßte. An der Spitze dieser Olympia-Enthusiasten stand Willi Stoph, seit 1953 Polit- Büro-Mitglied (dafür, dass er als Innenminister die Volkspolizei erfolgreich gegen die Aufständischen des 17. Juni eingesetzt hatte), ehemaliger Minister für Nationale Verteidigung und Armeegeneral, seit kurzem stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates. Natürlich waren die Leute um den etwas steifen Stoph nicht nur vom Sport beseelt: Man sah in der Olympia-Kooperation eine Möglichkeit, den Senat wieder stärker in den Dialog mit dem Osten zu ziehen.

So traf sich NOK-Ost-Präsident Schöbel also mit dem IOC-Präsidenten Avery Brundage, um diesem die Bereitschaft der DDR für die Teilnahme an einer Berliner Bewerbung zu signalisieren. Für das IOC war eine gesamtdeutsche Bewerbung nicht verwunderlich, traten doch beide deutsche Mannschaften damals noch gemeinsam auf. Das sollte sich erst mit den Spielen 1972 in München ändern. In Ost-Berlin ging man davon aus, dass Moskau seine Athleten lieber in eine ummauerte Stadt schicken würde als in das unübersichtliche Mexiko-City, das sich ebenfalls als Austragungsort für 1968 beworben hatte.

In Bonn läuteten die Alarmglocken. Auf keinen Fall wollte man, dass der Regierende Bürgermeister sich über die Bedenken der West-Alliierten hinwegsetzte. Eigentlich wollte man überhaupt nicht, dass Brandt mit der DDR die Spiele nach Berlin holte. Er war als Kanzlerkandidat der SPD der Herausforderer des greisen Adenauers, deshalb gönnte die Union dem Regierenden Bürgermeister diese Publicity nicht. Im Übrigen galt jede Art von Kooperation mit der DDR als Stärkung des verhassten Walter Ulbricht. Doch die Spitzenbeamten des Bonner Außenamtes und des zuständigen Innenministeriums konnten sich auf keine Maßnahme einigen. Wenn sie Brandt offen in den Rücken gefallen wären, wäre das bei der Berlin-Begeisterung in der Bevölkerung nicht gut angekommen.

Als „Schnapsidee“ hat der Sporthistoriker Christopher Young in seinem Buch „München 1972: Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschland“ (Wallstein Verlag, 2012) die Berlin-Initiative von 1963 bezeichnet. Immerhin führte diese „Schnapsidee“ dazu, dass als Entschädigung für die geplatzte Berlin-Bewerbung (die Spiele 1968 gingen dann doch an Mexico-City) München seine Chance bekam. Wie aber kam es, dass der Plan, der an der Nahtstelle des Kalten Krieges ein Tauwetter hätte auslösen können, durchkreuzt wurde?

Auch wenn der Sporthistoriker Young den Grund für das Scheitern der deutsch-deutschen Bewerbung in der Skepsis des Westens und der Willfährigkeit der Adenauer-Regierung sah, es gab ein weiteres Störfeuer. Und das war damals weit mächtiger als die unentschlossen agierenden Bonner.

Die Gegenbewegung begann damit, dass Walter Ulbricht sich höchstpersönlich im „Neuen Deutschland“ zu Wort meldete: Ihn befremde die Initiative, erklärte der Staatsratsvorsitzende. Denn obwohl es sich bei der Olympiade um eine internationale Angelegenheit handelte, sei er nicht gefragt worden. Für die Bonner kam diese unerwartete Störung aus dem Pankower Machtzentrum gelegen: Wenn Ost-Berlin der Bewerbung von sich aus ein Ende machte, musste man nicht selbst einschreiten und gegen Berlin votieren. Deswegen meldete sich Bundesinnenminister Hermann Höcherl (CSU) auch schon mal beim Berliner Senator für Jugend und Sport und fragte vorsorglich an, wo denn angesichts der Enge in der Stadt das Olympische Dorf geplant sei. Gleichzeitig gaben Bedenkenträger aus dem Regierungslager zu verstehen, niemand könne wollen, dass Ulbricht aus den Spielen 1968 einen ähnlichen politischen Nutzen ziehe wie Hitler im Jahr 1936.

Olympia führt zur Massenflucht, warnte Mielke

Damit war der Reizpunkt angesprochen: Wie würden Olympische Spiele aussehen, die in einer geteilten Stadt stattfanden, unter der maßgeblichen Beteiligung eines Staates, der seine Bürger einmauerte? Selbst die Sowjets zweifelten daran, dass diese Spiele einen politischen Vorteil bringen könnten. So sagte ein hoher sowjetischer Diplomat: „Es war leichter, Berlin militärisch zu erobern, als die Berliner (…) zu einer Politik der friedlichen Koexistenz zu bringen.“

Den letzten und entscheidenden Schritt tat der, der in Ost-Berlin fürs Grobe zuständig war und der sich weniger als alle anderen Sorgen darum machte, mit welchem Imageverlust er aus der Angelegenheit herausgehen würde. Dem DDR-Minister für Staatssicherheit Erich Mielke unterstand alles, was die Mauer anging. Und er meldete sich im entscheidenden Moment zu Wort – nämlich im Juni 1963, genau dann, als sich Gegner und Befürworter der Berliner Bewerbung gegenseitig zu blockieren schienen.

Mielke erklärte mit der bestechenden Logik der Staatssicherheit, wenn die Olympischen Spiele in Berlin stattfänden, müssten die Zuschauer ebenso wie die Sportler zwischen den Spielstätten hin- und herwechseln. Das hieße, dass man die Mauer öffnen müsse. Damit aber sei für die DDR-Bürger die Möglichkeit der Flucht in den Westen gegeben. Angesichts des Drucks, der durch den Bau der Mauer und der Abriegelung der Sektoren entstanden sei, müsse man damit rechnen, dass es zu einer Massenflucht käme. Dem konnte auch Willi Stoph, der zeitweilige Vorgesetzte Mielkes, nicht widersprechen. Damit war die gemeinsame Bewerbung Berlins gestorben.

NOK-Präsident Willi Daume reiste nach Berlin und bekniete Brandt, auf eine Fortsetzung seiner Bewerbungsbemühungen auch langfristig zu verzichten und damit für die übernächsten Spiele wenigstens einer anderen Stadt in Deutschland die Chance zu geben, die Spiele zu holen. So bekam München im April 1966 den Zuschlag für die Olympischen Spiele 1972. Nicht zuletzt deshalb, weil Brandt seine Ambitionen für Berlin aufgab.

Die Ironie der Geschichte wollte es, dass derselbe Willi Stoph, der den Regierenden Bürgermeister ohne die nötige Rückendeckung in die Initiative gelockt hatte, sieben Jahre später als Ministerratsvorsitzender und stellvertretender Staatsratsvorsitzender mit dem Kanzler Brandt in Erfurt und Kassel das Zeitalter der Entspannung einläutete.

Wolfgang Brenner

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