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Kultur: On the Road

Diedrich Diederichsen geht mit der Volksbühne auf Tour Das Stück heißt nach der Gegend, durch die der Reisebus rollt, mit Technikern und Dramaturgen und mit der sechsköpfigen Band, die es jeden Abend spielt: Endstation Amerika. Die Erben von Tenessee Williams, erzählt Frank Castorf der kanadischen Presse, hatten für die freie Bearbeitung der Volksbühne, bei der Kowalski u.

Diedrich Diederichsen geht mit der Volksbühne auf Tour

Das Stück heißt nach der Gegend, durch die der Reisebus rollt, mit Technikern und Dramaturgen und mit der sechsköpfigen Band, die es jeden Abend spielt: Endstation Amerika. Die Erben von Tenessee Williams, erzählt Frank Castorf der kanadischen Presse, hatten für die freie Bearbeitung der Volksbühne, bei der Kowalski u.a. eine Solidarnosc-Vergangenheit hat, die Rechte nur unter der Bedingung freigegeben, dass der Titel geändert würde und dass die Inszenierung nie im englischen Sprachraum zu sehen sein würde. Daher geht es jetzt immer haarscharf an der englischen Sprachgrenze durch das frankophone Kanada.

In Montreal waren die Leute begeistert. Die Stadt, die in den letzten Jahren vor allem als eine der frischesten Metropolen in der Welt der elektronischen Pop-Musik aufgefallen war (zur Information vielleicht den Sampler „Montreal Smoked Meat“ auf Mille Plateaux ausprobieren!) und auch regelmäßig tout Berlin zum Auflegen einlädt, ist theatermäßig ausgehungert, bis zur Blödheit gelangweilt von nordamerikanischen Konventionen. Bei der 6-Personen-Show über „Endstation Sehnsucht“ reiben sie sich nun die Augen, und ihnen fallen unvergessliche Theaterabende von etwa 1942 wieder ein. So gut war das. Und jeder im Publikum hatte selber schon einmal irgendwann in Schule oder Uni dieses Stück gespielt. Jede Kanadierin war einmal Blanche.

Im Bus durch das sogenannte weite Land widme ich mich einem der wenigen großen Kanadier, der mir jetzt neben Leonard Cohen, David Cronenberg und Marshall McLuhan einfällt: Neil Young. Seine Landsleute nennen ihn „Shaky“, einer seiner alten Alter Egos und Spitzn und auch der Titel einer voluminösen Biografie, die im ganzen englischsprachigen Raum ein Bestseller geworden ist und auch hier im französischen überall herumliegt. Doch dank Dramaturg Hegemann darf ich ein anderes Neil-Young-Buch lesen: Er hat die Fahnen von Navid Kermanis „Das Buch der von Neil Young Getöteten“ (Ammann) dabei. Sofort gefesselt von der eigentümlichen Neil-Young-Philologie Kermanis und der rührenden Geschichte seiner von Blähungen geplagten Baby-Tochter, halte ich die Fahnen gegen den Horizont (die man ja im Englischen Gallows nennt, was wiederum auch Galgen heißt, die Galgenfrist des Autors, die fliegenden Fahnen, mit denen man untergeht). Da ist dann die sogenannte endlose Weite und sorgt für ihre wohlbekannten Kontraste.

Kermani, der ansonsten einen mir grausigen Musikgeschmack hat (neben Neil Young ist ausgerechnet „Dark Side Of The Moon“ für ihn unantastbar, die Platte, gegen die Punkrock erfunden wurde), ist von klein auf vertraut mit Youngs Liedern, das ist der eine Vorteil. Sie sind nahezu seine einzige Musik und das seit früher Jugend. Zum anderen schaut er jetzt auf ihre Gestalt und Wirkung unter der heuristisch einmaligen Vorgabe, herausfinden zu müssen, welche von ihnen und aus welchen Gründen seine geplagte Tochter zu beruhigen vermögen. Außerdem ist er in der Zwischenzeit Geisteswissenschaftler geworden. Dieser fremde, fast behaviouristische Blick auf das ansonsten enorm Vertraute, die ständige Verschlingung von Geisteswissenschaft (hier eine um das Spezialgebiet persische Lyrik und Mystik erweiterte Literaturwissenschaft) und den intimen, viszeralen Nöten eines Kleinkinds und seiner Familie ergibt diese ganz besondere intellektuelle Beschreibungsschönheit.

Am Abend dann wieder dieser uglaublich böse entspannte Anfang von „Endstation Amerika“, bei dem alle Dialogsätze zur Melodie eines endlos gedehnten „Perfect Day“ von Lou Reed gesungen werden. Dieser mindestens vierfach partikulare, nämlich polnisch-ostdeutsch-südstaatenhaft-schwule Blick auf einen natürlich trotzdem extrem vertrauten, ja vielleicht den universalistischsten (wenn man das steigern kann ...) Song von Lou Reed - näher sind Menschen der Einigung über einen allgemein akzeptablen Begriff von Glück selten gekommen (being someone else, someone new) - wirkt ähnlich wahr wie Kermanis Kommentare zu Neil Young, an diesem Abend in Quebec. Castorf und Neil Young haben je starke Gründe, nur gebrochen auf diesen Glücksbegriff referieren zu können, der selber schon so gebrochen ist, dass er jemand Neues sein zu können, zum Maximum erklärt (aber eben auch erhoffen zu können). Trotzdem nicht aufgeben. Später mit Hegemann und den Darstellern Fabian Hinrichs und Bernard Schütz zum Billard in eine Punkkneipe mit sehr stylish ausgewählter Musik. Heute, das Gesamtwerk von The Dead Boys, kennt die noch jemand? Stiv Bators ist schon eine Weile selber tot, aber der Mann mit dem schönen Punknamen Cheetah Chrome müsste noch irgendwo sein Unwesen treiben.

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