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Hölderlin

© dpa

Oper: Alles auf Ende

Uraufführung als Hindernislauf: Peter Ruzickas „Hölderlin“ an der Berliner Lindenoper.

Im schönen Mittelfranken dürfte das Kulturradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg schlecht zu empfangen sein, jedenfalls nicht über UKW. Wie hat Peter Mussbach – der geschasste Intendant der Berliner Staatsoper und Librettist auch der zweiten Oper von Peter Ruzicka – also bei sich zuhause den Sonntagabend verbracht? Ein leckeres Schlückchen zur Linken, ausreichend Rauchwerk zur Rechten, die Füße hoch und genüsslich der rbb-Liveübertragung von Ruzickas „Hölderlin“ am Laptop gelauscht, dem sanft kakophonisch gründelndem Wagner-Mahler-Berg-Mix aus dem Orchestergraben, dem schütteren Applaus am Ende, den notorischen Buhs für die Regie?

Weit gefehlt. Zum einen liegt Mussbach alles Gelassene und Gemütliche von Haus aus fern. Zum anderen kann man ihm angesichts des nun zu besichtigenden Ergebnisses den Furor nicht verdenken, mit dem er bis zuletzt versucht hatte, diese Uraufführung, nun ja, zu ramponieren. Zur Erinnerung: Als Mussbach vor einem halben Jahr sein Intendantenbüro Unter den Linden räumte, trat er notgedrungen auch von der „Hölderlin“-Regie zurück. Torsten Fischer sprang ein, ehedem Direktor des Kölner Schauspiels, und machte sich seine eigenen kreativen Gedanken über den schwäbischen Dichter Hölderlin und dessen Griechenträumen, über den deutschen Idealismus und was uns in unserer verkorksten, verhetzten, vernetzten Zeit überhaupt noch metaphysische oder wenigstens spirituelle Autorität sein mag.

13 Götter in Gestalt von 13 Schauspielern (zusätzlich zu den 13 Sängerinnen und Sängern, darunter bewährte Kräfte wie Stephan Rügamer, Simone Nold oder Carola Höhn) resultierten aus diesen Überlegungen sowie vier weitere Hölderlin-Zitate nebst minimalen Kürzungen im Text. Mussbach schäumte, zog schließlich seinen Namen zurück und will nun auf „Verletzung des Urheberrechts“ klagen. Die Lindenoper scheint dies nur mäßig zu beeindrucken. Sowohl die Leuchtschrift an der Fassade des Knobelsdorffbaus als auch das Libretto im Programmheft nennen Mussbach nach wie vor. Der schmallippige Rest beschränkt sich auf den Hinweis, dass die „Berliner Fassung“ des Werks vom Librettisten Mussbach so „nicht autorisiert“ sei. Ob das reicht, rechtlich, haben andere auszumachen als die beiden studierten Juristen und ehemaligen Busenfreunde Peter R. und Peter M..

Müßig, darüber zu spekulieren, ob der Abend unter Mussbachs eigener Regie womöglich ein glücklicherer geworden wäre. Sein wie auch immer endender Protest ist – nur zu verständlich – persönlichen Verletzungen geschuldet: Daniel Barenboim, der mit den Achseln zuckte, als Wowereit seinen Intendantenvertrag nicht verlängerte; und, schlimmer noch, Ruzicka, der ihm die Treue brach, als er eben nicht mit auszog in die Wüste, sondern ehrgeizig auf seiner Uraufführung beharrte. Hart ist die Kunst.

Die an- und herbeigerufenen 13 Götter indes vermochten Torsten Fischer nicht recht beizustehen. Wie das schlechte Gewissen der deutschen Romantik höchstselbst wandeln sie zu Beginn in Frack und Zylinder durchs Geschehen respektive knöcheltief durchs Wasser (was Bühnenbildner Herbert Schäfer dazu wohl gedrängt haben mag?), mal erwecken sie Tote zum Leben, mal verknäueln sie sich mit diesen zu einem Laokoon verdächtigen Haufen an der Rampe oder radeln in Rollstühlen umher. Überhaupt dominiert an diesem Abend, als wär’s mehr eine Messe, ein oratorisches Ritual, das kollektive Schreiten: von hinten nach vorne, von links nach rechts. Ermüdend.

Die behauptete Verortung des Ganzen im Hier und Jetzt begreift man frühestens im zweiten Akt, wenn sich die seitlichen Prospekte eines Plattenbaus samt Wäscheständern und Satellitenschüsseln mehr in die Mitte schieben. Und wer hier was von wem will, die Menschen von den Göttern, die Götter von den Menschen, Hölderlin (mit angestrengter Inbrunst: Dietrich Henschel) von seinem Empedokles (Markus Gertken), Empedokles von Hölderlin, wir alle von der Oper des 21. Jahrhunderts, die(se) Oper von uns, das begreift man zwei pausenlose Stunden lang überhaupt nicht. Eine „Expedition“ – so der Untertitel – ins wattige weiße Rauschen eines gewiss nicht mager dotierten Auftragswerks.

Ein Regisseur Mussbach hätte zweifellos mehr auf die Szenen abgehoben, die der Librettist Mussbach gleichsam wie versiegelte Kokons des Handgreiflich- Realen in den Hölderlinschen Hallraum implantiert hat. Szenen, die, nun ja, im Swingerclub spielen oder im Mediamarkt, vor der Glotze, im Großraumbüro, im Bus, im Pflegeheim. Oft grässlich banal in ihrem Sprachduktus wie vor allem im Versuch, einer neuerlichen Sprachfindung beizuwohnen („FARC. DHKP. RCD. UDA. LURD. KLO. ANO ...“), manchmal aber auch witzig. Dramaturgisch mag der Text oft wirr sein, ja unzurechnungsfähig: Eine szenische Umsetzung wie die von Torsten Fischer, in der alles über den gleichen raunenden Kunstleisten geschlagen wird und in der niemals klar wird, wer wann singt und wer es wann warum gerade nicht tut, hat er in all seiner Hybris nicht verdient.

„Hölderlin“ spielt, so erklärt es die Inhaltsangabe, „an einem Unort ... nach einer zerstörerischen Katastrophe“. Munter läuft die Zeit rückwärts, um dann plötzlich doch wieder vorwärts zu preschen, die Menschen verjüngen sich und altern und fragen, was wäre, wenn sie ihr Leben noch einmal leben könnten. Ähnliches muss auch den 60-jährigen Komponisten Peter Ruzicka umgetrieben haben, der sich nach einer „Celan“-Oper 2001 in Dresden (ebenfalls auf ein Mussbach-Libretto) nun mit „Hölderlin“ dem zweiten „Fixierungspunkt“ seines künstlerischen Denkens nähert.

Die ästhetische Wegstrecke vom einen Werk zum anderen (in der der Auch-Dirigent, Auch-Musikmanager Ruzicka hauptsächlich mit der Leitung der Salzburger Festspiele befasst war) ist flugs zurückgelegt. „Celan“ verstand sich als Oper über den Holocaust und kam ohne ein einziges Wort Celans aus. In „Hölderlin“ hingegen wird sehr wohl auch Hölderlin vertont (aus dem „Tod des Empedokles“, aus „Hyperion“, aus „In lieblicher Bläue“): Weil der eine Dichter mehr Raum für Musik lässt als der andere, weil es leichter ist, die „Vaterländischen Gesänge“ zum Klingen zu bringen als eine „Todesfuge“, weil das Fragmentarische, das Prozesshafte bei Hölderlin nichts anderes abbildet als ein musikalisches Prinzip selbst?

Mutmaßungen, denen Ruzickas Musik wenig Kerniges entgegenzusetzen hat. Der Stoff scheint mehr in einen symphonischen Malstrom eingebettet, als dass er dramatische Gestalt annähme. Hier ächzt es wie im „Wozzeck“, dort klimpern Schlagwerk und Klavier fast pfingstwunderlich, da singen schülerdünne Geigen Empedokles den Trauermarsch. Jenseits aller rhythmischen Erregungszustände und jeden summenden, sphärischen Schweigens aber hat Ruzicka es auf ekstatische Leidausstülpung abgesehen. Das Streicher-Unisono im höchsten Diskant samt nachfolgendem, harmonisch ausgereiztem Tutti, das kann in den besten Momenten eine Art ozeanisches Grauen erzeugen. Oft ist es freilich auch nur Filmmusik, nur Querschnitt durchs Material der Moderne. Die chorischen Verdichtungen wiederum überzeugen auf Anhieb, ebenso die Staatskapelle (unter Leitung des Komponisten) mit ihrer Präzision und Lust. Am eindücklichsten gewiss: der Schluss, jenes irrwitzig lange Decrescendo-Flirren, das keine Musik mehr ist. Mussbachs letztes Wort, auch dazu? „Schöne Einsamkeit.“

Wieder am 16., 25., 29. November.

Christine Lemke-Matwey

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