zum Hauptinhalt
Ich bin total durcheinander. Susanna (Susanne Ellen Kirchesch) und der Figaro (Giulio Mastrototaro).

© HL Böhme

Oper: Andreas Dresen: Oper ohne Schmu

Sich waschen und nicht nass werden: Andreas Dresen inszeniert Mozarts „Figaro“ in Potsdam als Beziehungskiste.

Eigentlich eine gute Wahl: Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“, seit der Uraufführung 1786 vom Publikum geliebt, sollte einem Filmregisseur wie Andreas Dresen, der gar nicht von der Oper und noch nicht einmal vom Notenlesen kommt, locker von der Hand gehen. Immerhin kann sich Dresen („Sommer vorm Balkon“) auf ein Wunderwerk an Musik stützen. Und das Verwechslungsgeschehen und die Liebessitten von Herr und Gescherr bedeuten fast stets ein Heimspiel, erst recht in den schnuckeligen Opernhallen des Potsdamer Neuen Palais, das an diesem Premierenabend ausverkauft und bis unter die blattgoldbeschlagene Decke besetzt ist. Einigermaßen rätselhaft also, warum die Rechnung nicht aufgeht.

An den Musikern im Graben liegt es nicht. Unter Sergio Azzolinis Leitung spielt das Winz-Orchester der Kammerakademie so mitreißend wie nur denkbar bei einer so trockenen Akustik und einer so kleinen Besetzung. Azzolini dirigiert von vorn und vom Fagott aus, was manchmal ein bisschen lustig aussieht, weil man ihm die Sicht von den Unterstimmen aus anmerkt. Pock-pock-pock klingt es also bei walking-bass-Stellen, und dazu wedelt Azzolini wild mit Instrument und freiem Arm. Das Orchester also spielt erstklassig. Und auch Rita Herzog am Hammerflügel, den man auf die untertassengroße Fläche vor dem Orchestergräbchen gestellt hat, nimmt durch einen Ideenreichtum ein, der auch nach drei Stunden Rezitativbegleitspiel nicht versiegt.

An den Sängerinnen und Sängern liegt es aber auch nicht, dass diese Koproduktion von Kammerakademie Potsdam und Hans Otto Theater ihre Längen hat, auch nicht am Neuen Kammerchor Potsdam (Einstudierung: Ud Joffe), der seine Auftritte zurückhaltend absolviert. Christian Senn als Graf mit einem Bariton, über den Schatten ziehen können, legt eine kunstvolle Schmierigkeit an den Tag, Jutta Maria Böhnert als Gräfin besticht durch die traurigen Pianissimi in ihrer Kavatine „Dove sono“ und damit durch einen der raren Augenblicke, an denen das Konzept dieser Inszenierung aufgeht – ein „Drama von uneingelösten Sehnsüchten, Wehmut und Schmerz“ nennt Dresen den „Figaro“.

Susanne Ellen Kirchesch als Susanna dagegen wirkt trotz ihres Knabensopranglanzes blass und vanillekipferlig, eine ungünstige Strategie bei der Omnipräsenz ihrer Figur. Und Giulio Mastrototaro als ihr Zukünftiger dürfte dem gut sitzenden Kern seiner Stimme gern noch ein wenig Fülle zufügen. Das Publikum liebt Cherubino (Olivia Vermeulen), und wir lieben die Marcellina von Maria Husmann, weil sie so klug spielt und so schön schabrackig in Zitronengelb gekleidet ist, außerdem den Bartolo (Pior Nowacki), weil der so zufrieden aus seinem Rollstuhl späht.

Überhaupt, Kostüme und Bühnenbild. Da ist man der Sache schon eher auf der Spur. Sabine Greunig (Kostüme) und Mathias Fischer-Dieskau (Bühne) ziehen nämlich blank. Für Opernerstlinge, die etwas haben gegen Kulisse, Glitzer und den ganzen Schmu, ist das super. Greunig stapelt tief, und Fischer-Dieskau stellt nur sechs Türen und als höchstes der Gefühle einen Sessel auf die Bühne. Thomas Schellenberger und Reinhard Otto an der Beleuchtung müssen fast schon zaubern, damit visuell etwas daraus werden kann.

Das meiste aber wird Andreas Dresen getan haben, um diesen „Figaro“ nach nichts aussehen zu lassen. Vor allem während der Rezitative kühlt die Inszenierung, Dresens zweite nach seinem „Don Giovanni“ in Basel 2006, regelrecht aus. Es ist ein Phänomen, wie stark die äußere Reduktion der Musik den Atem nimmt, ihren Klang und ihr Leben. Fast schon sinnfällig, dass der Figaro seine ersten Bett- Vermessungs-Worte mit dem Rücken zum Publikum singt und dass Cherubinos wunderbare, hier sehr bedächtig genommene Canzone „Voi che sapete“ sich zieht. Erst in den großen Ensembleszenen, unter der Übermacht des Klangs, kann die Inszenierung an Fahrt aufnehmen.

Doch wer sich opernmäßig waschen und nicht nass werden will, das zeigt dieser „Figaro“, wer aus dem Standeshoch und Standestief und dem Generationending ein Beziehungsgespräch macht („Scheißkerl“, „Mist gebaut“ und „Ich bin total durcheinander“), wer der Gräfin ein Kind anhängt, damit sie später mit Kind und Koffer abmarschbereit steht wie eine Mutti vom Prenzlauer Berg – der lässt sich nicht nur eine Menge Lustigkeit entgehen, sondern im Grunde auch die Hoffnung fahren, dass das, was Oper eigen macht, nämlich Leben, Schmu und Kunstgesang, sich selbst unter perfekten Bedingungen vergegenwärtigen lässt.

Weitere Aufführungen am 11., 12. und 26. November, 19 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false