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Oper: Ausverkauf in der Euro-Zone

Deutsch-griechisches Freundschaftstreffen: Die Neuköllner Oper gastiert mit ihrem Stück „Yasou Aida“ in Thessaloniki. Eine Reise ins Herz der Krise.

Was für eine Sauerei. Da lümmeln sie auf der Bühne herum und lassen sich mit fetten Schecks der Europäischen Union füttern: das korrupte griechische Krankenkassen-Schwein, das faule BildungsSchwein, das aufgeblasene VerwaltungsSchwein und – natürlich – das subventionierte Kultur-Schwein. Wird Zeit, dass mal jemand diesen Augias-Stall ausmistet. Zum Glück ist der deutsche Sparkommissar Rainer Mess zur Stelle, der weiß, was die Stunde gebietet: tiefe Einschnitte in den Staatshaushalt!

Der Mann greift, zum Wohl der Griechen!, selbst zur Schere. Und stutzt, schnippschnapp, die Ferkel- und Vetternwirtschaft ordentlich zusammen. Leider übertreibt er ein wenig – und hinterlässt den Ruin: „Ich wollte ein neuer Otto Rehhagel werden“, klagt der gescheiterte Retter. „Aber ich bin nicht einmal Alefantos.“

Das Publikum in Thessaloniki quittiert die Anspielung auf den berühmt-berüchtigten griechischen Fußballcoach mit Gelächter. Überhaupt ist die Stimmung bestens unter den rund 400 Zuschauern in der Konzerthalle Megaron an der Hafenpromenade. Die Neuköllner Oper gastiert hier mit ihrer Produktion „Yasou Aida“ mit dem Untertitel „Ein deutschgriechisches Freundschaftstreffen“. Premiere war im Januar in Berlin.

Das Künstlertrio aus Regisseur Alexandros Efklidis, Komponist Kharálampos Goyós und Librettist Dimitris Dimopoulos hat Verdis opulente Pharaonenoper auf eine ökonomische musikalische Besetzung mit Harmonium, Klavier, Flöten und Celli reduziert und die Handlung in die Europäische Zentralbank verlegt. Erzählt wird nun nicht mehr von der Sklaverei in Ägypten, sondern vom Ausverkauf in der Euro-Zone. Die ehrgeizige junge Aida alias Elpida (Sopranistin Lydia Zervanos) hat einen Job als Trainee in der Frankfurter EZB-Zentrale ergattert, wo sie ausgerechnet mit dem Kahlschlagsbeauftragten Rainer Mess (Tenor Alexander Nicolic) ein Techtelmechtel beginnt. Aber Liebe ist bekanntlich eine weiche Währung. Und wo es ums persönliche Fortkommen geht, droht schnell der emotionale Offenbarungseid.

Die Planungen für dieses hellsichtige Verdi-Projekt begannen bereits im Frühjahr 2010, als in Athen Molotowcocktails in Banken flogen und Menschen ums Leben kamen. „Eine neokoloniale futuristische Tragödie“ sollte die Kammeroper ursprünglich werden, aber die Wirklichkeit war schneller als jede Zukunftsmusik. Regisseur Alexandros Efklidis sitzt in einem Café in Thessaloniki und sagt: „Es ist ein historisches Stück, das in der Realität wurzelt.“ Vom Staatsbankrott über den Schuldenschnitt bis zum Sparkommissar haben die Künstler so ziemlich alles vorweggenommen, was später Schlagzeilen machte. Und wenn in „Yasou Aida“ von der zwölften Aufstockung des Rettungsschirms die Rede ist, lachen die Zuschauer zwar. Aber es klingt abgeklärt, nicht nach Wahnwitz.

Wie diese deutsch-griechische Gemeinschaftsproduktion in Thessaloniki ankommen würde, das war gleich in mehrfacher Hinsicht eine spannende Frage. Zum einen, weil die Zuschauer hier kaum an musikalische Avantgarde gewöhnt sind, anders als in Athen, wo Kharálampos Goyós die Offbühne „Beggar’s Opera“ betreibt. Unter Oper, so erzählt es das „Aida“-Team, verstehen die Griechen meist angestaubte Gastspiele der Mailänder Scala. Oder Übertragungen der New Yorker Met, die man sich für 25 Euro auch im Megaron ansehen kann. Zum anderen war fraglich, ob das Publikum sich für das Spiel mit deutsch-griechischen Stereotypen würde erwärmen können, das beide Seiten gleichermaßen hochnimmt.

Texter Dimitris Dimopoulos, ein in Griechenland bekannter Stand-up-Comedian, sitzt deshalb leicht nervös in der Thessaloniki-Premiere und bangt, ob man ihn für satirische Zeilen à la „Sie ist so fleißig, dabei ist sie eine Griechin!“ womöglich davonjagt. Dabei hat er bereits die Erfahrung gemacht, dass jeder aus dem Stück herausliest, was ihm passt. Linksliberale nehmen den Aufruf „Freiheit für die Sklaven des Kapitals“ gern für bare Protestmünze, während FDP-Mitglieder nach einer Berliner Vorstellung sich ob der vermeintlich präzisen Beschreibung der herrschenden Verhältnisse begeisterten. Dimopoulos’ Sorge ist jedenfalls unbegründet: Die Besucher im Megaron haben Sinn für den mehrdeutigen Humor, die Reaktionen sind begeistert. Seine Landsleute, sagt Goyós, besäßen eine lange Tradition der Selbstironie. Kürzlich sei er auf ein Gedicht des 1919 verstorbenen Satirikers Giorgos Souris gestoßen, der den modernen Griechen bespöttelte, „als sei es gestern geschrieben worden“.

Allerdings hat es bei „Yasou Aida“ auch schon böse Missverständnisse gegeben. So zitierte die Elpida-Sängerin Zervanos in einem Interview mit der BBC einen Satz, den im Stück ihre deutsche Chefin und Liebes-Nebenbuhlerin Anna Riche sagt: „Wie griechisch von dir, zu nehmen, was nicht deins ist.“ Aus dem Zusammenhang gerissen, klang das in der Reportage, als sei es ihre persönliche Meinung. Ein griechischer Blogger sprang darauf an, die Künstlerin wurde in der Folge wüst beschimpft.

Das Klima ist gereizt. In Thessaloniki ist es zwar noch nicht zu Ausschreitungen gekommen, aber seit kurzem parken zwei Polizeibusse vor dem deutschen Generalkonsulat. Grigorios Tekos schämt sich dafür. Der in Nürnberg geborene Unternehmer, der seit 1989 in der Heimat seiner Eltern lebt, hat einen Verein für sogenannte „Deutsch-Griechen“ gegründet, landesweit mit rund 3000 Mitgliedern. In letzter Zeit ist die Zahl dieser Remigranten aber stark rückläufig. Eher verlassen die Jungen das Land.

Vor dem Gespräch hat Tekos sich Notizen gemacht, er ist wütend über die wachsenden Ressentiments, die beiderseits von den Medien befeuert werden: Pleitegriechen gegen Finanz-Nazis. Das Bild vom Steuergelder fressenden Faulenzer verletzt ihn. „Man muss zwischen privatem und öffentlichem Bereich unterscheiden.“ Die Mehrheit, das seien hart arbeitende Menschen, die mittlerweile kaum mehr als 700 Euro im Monat verdienen. Das ist die Realität jenseits der Bühne.

Auch die Kultur muss in Thessaloniki sparen. Ihr steht bloß noch ein Drittel der Subventionen von 2010 zur Verfügung. Allerdings ist das, im Gegensatz zu den zahlreichen Geschäftsschließungen, noch nicht sichtbar. Spyros Pengas ist als parteiloser Vizebürgermeister verantwortlich für Kultur, Tourismus und Weiterbildung, ein junger Mann, der in Freiburg und München Politikwissenschaft studiert hat. Ihm bleibt ein Kulturbudget von 800 000 Euro im Jahr, weniger als die Neuköllner Oper in Berlin zur Verfügung hat. Davon wird unter anderem das Stadttheater Aneton bestritten, das große City-Fest Dimitrias, Sinfonie-Orchester und Bibliotheken. Und das renommierte freie Theater Piramatiki hat Spyros Pengas auch noch vor dem Bankrott gerettet – wie alle anderen freien Gruppen wird es seit 2011 nicht mehr vom Staat gefördert. Was nur funktionierte, weil Pengas ein großes Talent darin besitzt, private Sponsoren zu akquirieren. Von Kulturniedergang kann also vorerst keine Rede sein. Pengas beobachtet bloß, dass etwa im staatlichen Nationaltheater Nordgriechenlands sentimentale Heimatstücke aus den 30er Jahre eine Renaissance erleben. Die Nostalgie behagt ihm nicht.

Kürzlich wurde berichtet, das Nationaltheater akzeptiere nun Lebensmittel anstelle von Eintrittsgeld. Alexandros Efklidis, Kharálampos Goyós und Dimitris Dimopoulos heulen auf, wenn man sie darauf anspricht. Das ist dann doch zu viel der Satire. Eine Sonderveranstaltung sei das gewesen, erzählen sie, von Schauspielern im Foyer eingerichtet, und ja, man konnte Lebensmittel mitbringen, die an wohltätige Organisationen gespendet wurden. Sicher, die Situation für Künstler in Griechenland sei nicht rosig. Oft warten sie bis zu einem Jahr auf ihr Geld, manchmal vergeblich. Aber sie arbeiten nicht für Essensmarken. „Wir sind immer noch ein westliches Land“, ruft Goyós, „ob’s euch gefällt oder nicht.“

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