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Alle meine Frauen. Eröffnungsszene aus „Don Giovanni“ im Kreuzfahrerpalast von Akko. 

©  Yossi Zwecker

Oper in Israel: Mozart und der Muezzin

Israel ist für vieles bekannt, nicht unbedingt für Oper. Aber auch die gibt es hier, allerdings muss sie immer wieder hart errungen werden. Eine Reise ans Tote Meer und nach Akko.

Der Berg hat einen Brustkorb. Weißlich-blau schimmern die Rippen auf dem Felsgestein von Masada, gespenstisch, kränkelnd, meilenweit sichtbar. Leuchtende Metapher für die Tuberkulose, an der Violetta Valery, die „Traviata“, erkrankt ist. Und Mahnung: So rasch kann es ausgehaucht sein, das Leben. Hier im Nahen Osten besonders schnell.

Mitte Juni ist die Israeli Opera aus Tel Aviv mit einem Tross aus mehreren hundert Technikern, Musikern und Sängern nach Masada in der Judäischen Wüste gezogen, um Verdis „La traviata“ zu spielen. In extremer Umgebung, bei über 40 Grad am Tag und kaum weniger in der Nacht, am tiefsten Punkt der Erde, wo Wasser nicht abfließt. Es sammelt sich seit Jahrmillionen und bildet das Tote Meer. Hier also entsteht, für wenige Wochen im Jahr, eine fragile Insel der Technik, der Zivilisation, der Kunst. Schon zum vierten Mal, nach „Nabucco“, „Aida“ und „Carmen“. Der Aufwand: biblisch. Strom muss generiert, eine kolossale Tribüne aufgebaut werden. Sie fasst 8000 Besucher, die mit Bussen und Pkw anreisen. Der Probentag beginnt erst um 14 Uhr, vorher ist es zu heiß. Die Kostüme müssen weit genug geschnitten sein, um Wasserflaschen zu verstecken. Das Budget: rund 26 Millionen Schekel, über fünf Millionen Euro.

Warum das Ganze? Weil Oper im europäischen Sinne für Israelis eine im Grunde fremde Kunstform ist. Nur ein dünner Faden im buntscheckigen kulturellen Webteppich des Nahen Ostens. Und das, obwohl Musik hier eigentlich in der Luft liegt. Zu jeder Bar Mizwa tanzen Familien fröhlich mit Trommeln und Trompeten durch die Altstadt von Jerusalem. So viele, dass sich Staus bilden. Die jüdische Kultur hat viele große Dirigenten und Solisten hervorgebracht – aber keine richtige Musiktheatertradition. Ab 1982 war die Tel Aviver Oper aus Geldmangel sogar zehn Jahre geschlossen. „Es könnte mit der Religion zu tun haben“, versucht Hanna Munitz, Direktorin der Israeli Opera, eine Erklärung. „Darstellungen auf der Bühne sind dem Jüdischen eher fremd. Viele Israelis denken, das hat nichts mit ihnen zu tun. Wir müssen es ihnen nahebringen.“

Besucher sollen sehen: Es gibt ein Israel jenseits der Religion

Das Festival in Masada ist nur das prominenteste Projekt der Israeli Opera, daneben unterhält sie Bildungsprogramm im ganzen Land, lädt Einwohner ein, mitzumachen. In Tel Aviv bespielt sie ein schickes, 1994 eröffnete Opernhaus im Performing Arts Center. Aber das reicht nicht. Rausgehen heißt die Devise. Allerdings macht niemand ein Geheimnis daraus, dass natürlich auch der Tourismus angekurbelt werden soll – um so der Region ein friedlicheres Image zu verschaffen. Kulturtouristen soll sehen, dass es ein Israel jenseits der Religion gibt, dass hier nicht nur murmelnde jüdische Orthodoxe in seltsamen Gewändern vor der Klagemauer stehen, sich nicht nur Mönche um den besten Platz in der Grabeskirche kloppen. Dass die scheinbar ewige Spirale aus Anschlägen, Entführungen und Vergeltung, die sich auch jetzt wieder dreht, nur eine – wenngleich allgegenwärtige – Komponente des Lebens in Nahost ist. Besucher sollen Landschaften voller Anmut sehen, sich von der levantinischen Küche bezaubern lassen. Kein Zufall: Das Opernfestival wird vor allem vom Tourismusministerium unterstützt. Allein schon die Existenz dieses Ressorts zeigt: Der jüdische Staat betrachtet Tourismus als soft power – und als lebenswichtig.

Ein provinzieller, abgelegener Ort, nur unter Anstrengungen zu erreichen: Das ist der Festspielgedanke, und ein bisschen darf man sich in Masada auch wie in Bayreuth fühlen. Die Tribüne: erbaut in respektvollem Abstand vom Berg. Masada ist nicht irgendein Klumpen in der Wüste. Herodes, König von Gunsten der Römer, lebte in Angst vor dem eigenen Volk und baute auf dem unzugänglichen Plateau eine Festung. 70 Jahre später, der Tempel in Jerusalem war zerstört, kämpften rund 1000 jüdische Widerständler hier ihr letztes Gefecht gegen die Römer – eine Station auf dem langen Weg in die jüdische Diaspora. Dass sich die Belagerten gegenseitig umbrachten, statt zu kämpfen, ist nicht unumstritten im heutigen Israel. Nie wieder darf Masada fallen, heißt es. Die Armee lässt hier Eide schwören, es gibt eine Bar- Mizwa-Schule. Die Festung, die Fundamente der Römerlager im Tal, die Rampe, die sie aufschütteten, all das ist noch da, konserviert vom ewig trockenen Wüstenwind. Wo sonst wird die Antike dem Besucher so bestürzend anschaulich, so unmittelbar lebendig? Dirigent Daniel Oren spricht von der „Harmonie von Natur und Musik“, dem Gefühl von tiefer innerer Einheit, das er in Masada empfindet.

Auf der Tribüne empfindet man aber erst mal akuten Sauerstoffmangel. Im Freien sitzen und trotzdem keine Luft kriegen – das geht. In der Ferne schimmert das Tote Meer im Mondlicht, Israelis und Jordanier entnehmen ihm Wasser, jedes Jahr schrumpft es um einen Meter: eine Katastrophe, menschengemacht. Lässt sich nicht ausblenden, auch bei Verdi nicht. Aurelia Florian hält tapfer durch als Violetta Valery, sie heizt die Atmosphäre mit der hellen Glut ihres Soprans weiter auf. Daniel Oren hat das Israel Symphony Orchestra besser im Griff als den Chor, den er auch mit seiner expressiven Gestik nicht recht zusammenbringt.

„La Traviata“ ist bekanntlich in Paris angesiedelt. Hat nicht wirklich viel zu tun mit dem Ort dieser Aufführung. Muss es das? Dürfen die „Meistersinger“ nur in Nürnberg gezeigt werden? Natürlich nicht. Trotzdem wirken „Aida“ (Ägypten!) oder „Carmen“ (Spanien!) in Masada sinnfälliger als ein Kammerspiel à la „Traviata“. Regisseur Michal Znaniecki versucht, einen Zusammenhang herzustellen. Inspiriert vom „Planet der Affen“, lässt er die französische Hauptstadt im Sand versinken. Und betont, dass Violetta selbst in ihrer ersten großen Arie Paris als „Wüste“ bezeichnet. Am Horizont schimmert der Berg, rötlich, blendend weiß – oder eben mit Brustkorb.

In Akko treibt sich Don Giovanni im alten Kreuzfahrerpalast herum

Alle meine Frauen. Eröffnungsszene aus „Don Giovanni“ im Kreuzfahrerpalast von Akko. 
Alle meine Frauen. Eröffnungsszene aus „Don Giovanni“ im Kreuzfahrerpalast von Akko. 

©  Yossi Zwecker

Am nächsten Tag: Fahrt nach Norden. Das Jordantal ist ein Bruch zwischen zwei Erdplatten. Jericho, angeblich älteste besiedelte Stadt der Menschheit, liegt in den Autonomiegebieten, die Fahne der Palästinenser weht. Für sie war die Gründung Israels die „Nakba“, das große Unheil. Die Juden wiederum sind erstmals in ihrer Geschichte in der Position des Stärkeren, was ihnen prompt wieder vorgeworfen wird. Und sagen: 400 Jahre waren die Osmanen hier und haben absolut nichts aus dem Land gemacht. Wer hat recht? So viele Narrative, Diskurse, Zwänge, unter denen die Wahrheit begraben liegt. Oper – nur ein dünner Faden. Am Checkpoint zwischen Westbank und Israel blickt ein Soldat auf unsere Pässe, murmelt: „Germany ... Thomas Müller!“ – und winkt uns durch. In Galiläa wird die Landschaft lieblich, der See Genezareth: wie eine blaue Fata Morgana. Im Osten der Golan, wenige Tage später wird hier ein 13-Jähriger erschossen werden.

Dann Akko: alte Hafenmetropole nördlich von Haifa, letzte Bastion der Kreuzfahrer. Wellengischt peitscht gegen Mauerwerk, Jungs springen für die Touristen in die Tiefe, 30 Meter, sie wissen genau, wo die Felsen verborgen sind. Auch hier ist die Israeli Opera zu Gast, mit „Don Giovanni“. Wie Masada ist auch die Altstadt von Akko Unesco-Welterbe. Und hat eine ähnlich epische Geschichte. Nachdem die Mamelukken die Kreuzfahrer endgültig aus dem Heiligen Land vertrieben haben, schütteten sie die Straßen zu und bauten Akko neu. Der Untergrund wird nach und nach ausgegraben. Der Palast der Kreuzfahrer: ein prachtvoller, aber auch klammer Ort, klaustrophobisch, Escorial und Wolfsschanze in einem. Stein gewordener Albtraum einer Männer- und Militärgesellschaft, die in ständiger Angst gelebt haben muss. Man meint noch das Trappeln der Hufe, das Klirren der Helme zu hören. Im ehemaligen Refektorium, jetzt zur Garderobe umgebaut, probt eine Musikerin auf der Mandoline Don Giovannis Serenade „Deh, vieni alla finestra, o mio tesoro“. Statistinnen werden an an einer langen Reihe von Spiegeln geschminkt. Es sind Frauen aus Akko, die hier mitmachen. Integration ist alles. Die Einwohner konnten die Proben kostenlos besuchen.

Der Palasthof: ein logischer, genialer Ort für Musiktheater. Für sich genommen schon voller Dramatik. Auf vier Seiten geschlossen und akustisch so überzeugend, dass Mikroports weggelassen werden könnten. An der Stirnseite drei Spitzbögen,die einbezogen werden in die Inszenierung. Wie auch die flache Treppe, auf der man einst zu den Stallungen im Obergeschoss ritt. Jetzt schreitet Donna Elvira (Na’am Goldman) herab, um Giovanni die Leviten zu lesen. Dann ein Schock. Der Muezzin ruft. Direkt in den Hof. Dirigent Daniel Cohen lässt unterbrechen, wartet, bis es vorüber ist. Oper – nur ein dünner Faden. Die Unterbrechung war angekündigt, wir haben es nur nicht verstanden, alle Durchsagen sind auf Hebräisch. Mitteleuropäische Verhaltensnormen verflüchtigen sich in der Hitze schnell. Eine Dame entledigt sich ihrer Sandalen, dass ihr nackter Fuß nur Millimeter von meiner Schulter entfernt wippt, stört sie nicht. Am besten auf die Musik konzentrieren. Das Israel Chamber Orchestra, in Oper unerfahren, bewältigt die Aufgabe wacker, anders als die jungen Sänger des Opernstudios, denen man die Überforderung anhört. Dedi Baron gelingt eine betörend schöne Regiearbeit. In endloser Reihe treten die Statistinnen auf: Stumme Zeugen von Don Giovannis Liebesrausch. Zu Leporellos Registerarie fliegt Wäsche.

Warum gibt die Israeli Opera eigentlich keine zeitgenössische Arbeit in Auftrag? Die epische Geschichte des Landes gäbe doch dafür genug Stoff her? Hanna Munitz sagt Bemerkenswertes: „Die Israelis wollen in der Oper nicht auch noch mit Krieg konfrontiert werden. Eigentlich wollen wir sein wie ihr.“ Das bedeutet aber nicht, dass man, wie bei uns, demnächst Wagner in Israel zu hören bekommt.  „Wenn man damit so viele Menschen verletzt, ist es das wert?“, fragt sie. Richard Strauss allerdings, der ja , anders als Wagner, biografisch mit dem NS-Regime zu tun hatte – der geht. Wäre „Salome“ nicht ein großartiges Stück für den herodianischen Palast auf Masada? „Pssst“, flüstert Munitz, „das werden wir auch machen.“

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