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Oper: Kopf hoch, Caballero

Katharina Wagner gelingt auf Gran Canaria ein eindringlicher "Tannhäuser".

Wenn Katharina Wagner heute früh in Bayreuth ankommt, um sich auf den Weg zur Tarifverhandlung für die Festspiele zu machen, hat sie Ungewohntes hinter sich: Nach der Premiere ihres „Tannhäuser“ auf Gran Canaria gab es für sie viel Applaus und nur ein paar zaghafte Pfiffe. Das ist die Regisseurin eigentlich nicht gewohnt. Ist da also was schief gelaufen im Teatro Peréz Galdós von Las Palmas?

Abgesehen von schwierigen Probenbedingungen, die sich am Sonnabend nur in einem unfreiwilligen Umbau auf offener Bühne zeigten, ist aus einer gewaltigen Kraftanstrengung aller Beteiligten in nur drei Wochen eine sehr ordentliche Produktion geworden. Was die Regie betrifft, ist es sogar die beste Arbeit Katharina Wagners bisher.

Die Grundidee erinnert an den Film „Matrix“ von 1999. Die Wachowski-Brüder schufen dafür virtuelle Zwischenwelten, in denen hinter Türen zu immer neuen Scheinrealitäten schließlich die Aufgabe steckte: „Erkenne dich selbst!“ Diese zentrale Botschaft haben Wagner und ihr Dramaturg Carsten Jenß auch aus dem „Tannhäuser“ herausgelesen.

Indem sie die Künstlerfabel zum Menschheitsproblem weiten, bleibt allerdings die Erotik des Venusberges auf der Strecke: Venus wird zur Göttin a. D. und grübelt in der Eröffnungsszene gemeinsam mit Tannhäuser über einem Müllberg der Geistes- und Politikgeschichte. Bilder von Marx bis Spaniens General Franco hängen rußgeschwärzt in diesem Archiv, DDR-Staatswappen und Staatsfahnen krönen den Schrotthaufen der gescheiterten Weltentwürfe. Selbst das Christentum hat Venus schon entsorgt. Tannhäuser wagt dennoch einen letzten Versuch – sein Heil ruht an dieser Stelle laut Libretto bekanntlich in Maria.

Tannhäusers Weg scheint zunächst direkt zu Parsifal zu führen (Bühne: Tilo Steffens): Beim ersten Pilgerchor hängt ein Schwan am Kreuz, daneben schwingt der heilige Gral wie das Räucherfass in der Pilgerkirche von Santiago de Compostela. Doch bald leitet ein origineller Hirte – die verwitterte Marianne der französischen Revolution – den Titelhelden weiter (Maite Robaina singt weit frischer, als ihre Totenkopfmaske nahelegt). In der Wartburg-Welt zeigt sich das Thüringen des Landgrafen Herrmann als Diktatur: Wer hier nicht spurt, wird gemaßregelt. Katharina Wagner fällt mit der Tür ins Haus, wenn sie zeigen will, wer Außenseiterin in diesem edlen Kreise ist: Hermanns gar nicht brave Tochter Elisabeth schlägt ihre teure Halle kurz und klein, wird daraufhin im Schrank versteckt. Als Preis für den Sängerwettstreit kommt diese Göre nicht infrage: Sie wird kurzerhand durch eine blonde Modepuppe ersetzt. Am Ende des Akts wird nicht allein Tannhäuser verbannt, mit ihm müssen auch die anderen beiden Unangepassten fliehen, Elisabeth und Wolfram.

In „Rom“, der türenbewehrten „Matrix“-Zwischenwelt, fleht jeder von ihnen an, was ihm als Hoffnung noch bleibt: Wolfram besingt den Abendstern, Elisabeth die allmächtige Jungfrau, beide vergebens. Tür auf, Tür zu: Tannhäuser erscheint, vervielfacht durch Statisten, in unterschiedlichsten Verkleidungen und selbst am Ende im Babuschka-Zwiebeloutfit aller ausprobierten Existenzen (Kostüme: Thomas Kaiser), bald in buddhistischem Orange, bald gar als Papst höchstpersönlich.

Doch die letzte Ausfahrt Christentum bleibt ihm versagt. Tannhäuser muss den Weg der Selbsterkenntnis beschreiten: Ein zu Beginn blinder Spiegel zeigt ihm nun endlich den Blick auf sein desillusioniertes Selbst: ein starkes Schlussbild dieser sehr konzentrierten, trotz der Vielzahl angerissener Ideen doch stringenten Inszenierung.

Dirigent Pedro Halffter gelingt mit dem Philharmonischen Orchester von Gran Canaria und dem Slowakischen Philharmonischen Chor eine handfeste musikalische Umsetzung auf dem Niveau eines ambitionieren mittleren Stadttheaters. Bei den Hauptpartien hat man mit Erfolg auf große Namen gesetzt: Stephen Gould dürfte als Tannhäuser derzeit kaum ernstzunehmende Konkurrenz haben, kommt ausgeglichen und mit markanten Höhen konditionsstark durch den Abend. Schade, dass Evelyn Herlitzius in der hier gespielten Dresdener Fassung ihren aufregenden Power-Sopran so wenig zur Geltung bringen kann. Ricarda Merbeths Elisabeth hat an Durchschlagskraft gewonnen, ohne in den lyrischen Momenten ihrer Partie Kompromisse eingehen zu müssen. Reinhard Hagen ist ein edel singender Landgraf, Markus Eiche ein feinnerviger Wolfram.

Das übliche Buh- und Bravogewitter zu ihren „Meistersingern“ bei den Bayreuther Festspielen wird Katharina Wagner ab dem 26. Juli sicherlich schnell auf den Boden der Realitäten zurückholen – und zur ihrer nächsten Regiearbeit, Puccinis „Madame Butterfly“ am Mainzer Staatstheater, können ihre Fans und Feinde wieder bequem anreisen. Der starke „Tannhäuser“ von Las Palmas wird indes nach nur drei Aufführungen und ohne Aufzeichnung entsorgt werden – schade.

Claus Ambrosius

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