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Netrebko

© ddp

Oper: Von Göttinnen und Gattinnen

Ein Abend mit dem halben Traumpaar der Oper: Anna Netrebko singt in der Berliner Philharmonie. Ihr etatmäßiger Partner Rolando Villazón muss seine Stimmbänder schonen.

Am Anfang steht ein echter coup de théatre: Das Programmheft kündigt die Ouvertüre zu Rossinis „Barbiere di Siviglia“ an, die konventionellste Variante aller Konzerteröffnungen – doch kaum hat das Orchester der Deutschen Oper unter Marco Armiliato die ersten Töne gespielt, betritt ein kleiner dicker Mann mit Weinflasche in der Hand die Bühne, nimmt einen kräftigen Schluck und singt „Tralalala là là là là lera“! Aus dem Hintergrund hat sich unterdessen eine dunkelhaarige Schönheit angeschlichen und an den Flügel gesetzt, wo sie auch ihre ersten Töne singt, bevor sie sich am Harmonium vorbeiquetscht und zu dem Tenor an der Rampe gesellt. Ein Wortwechsel entspinnt sich und – klatsch! – hat sich der Sänger eine Backpfeife eingefangen.

Mit dem Flirt-Duett aus Gaetano Donizettis „Elisir d’amore“ startet am Sonntag in der ausverkauften Philharmonie Anna Netrebkos Berlin-Gastspiel fulminant. Der Mann an ihrer Seite allerdings ist nicht der ursprünglich angekündigte Rolando Villazón: Den Mexikaner, mit dem zusammen die schöne Russin als „Traumpaar der Oper“ vermarktet wird, haben seine Ärzte aus dem Verkehr gezogen: akute Überanspruchung der Stimmbänder, mindestens zwei Monate Auftrittsverbot. Aus der Not hat Peter Schwenkow, der Tourneeveranstalter, der mit seiner „Deutschen Entertainment AG“ groß ins Stadion-Klassikgeschäft eingestiegen ist, die „Drei Tenöre“ neu erfunden: Am 18. August hat Netrebko zusammen mit Marcelo Alvarez vor 10 000 Zuschauern in der Kölnarena gesungen, am vergangenen Mittwoch stand sie dann mit José Cura vor 8400 Besuchern im Gerry-Weber-Stadion von Halle/Westfalen. Ramón Vargas, der auch beim letzten Konzert der Tour am Freitag in Stuttgart dabei sein wird, ist ihr Bühnenpartner in Berlin.

Vargas zeigt sich als eleganter Interpret und smarter Darsteller, dem man ansieht, dass er Spaß an seinem Job hat. Ein vollwertiger Ersatz für Villazón, den grandiosen Komiker und glutherzigen Liebhaber, den draufgängerischsten Tenor seiner Generation, ist er nicht. Vargas ist nett, und nett ist auch Netrebko, wenn sie „Quando m’en vo“ aus der „Bohème“ als 360-Grad-Arie singt, sich auch den Besuchern rechts, links und hinter dem Philharmonie-Podium zuwendet.

Wer der Sängerin nahe sein will, zahlt 338 Euro

Den Leuten gefällt das, es herrscht Open-Air-Stimmung, einige haben ihre Sektgläser mit in den Saal genommen, während der Musikdarbietungen wird fleißig geblitzt. Weil Anna Netrebko bereits 2006 in Schwenkows Waldbühne zu erleben war (mit Domingo und Villazón) absolviert sie in der Hauptstadt das einzige Indoor-Konzert ihrer diesjährigen Sommertournee. Bei „nur“ 2400 Plätzen für einen nicht subventionierten Veranstalter eine echte Luxusvariante. Dementsprechend höher sind die Preise ausfallen: Lag in Halle/Westfalen das teuerste Ticket bei 149 Euro und in Köln bei 205 Euro, geht in Berlin keine Eintrittskarte unter 120 Euro über den Tresen. Wer nur die Blumenkästen mit den weißen Lilien zwischen sich und Anna Netrebko haben will, zahlt 338 Euro.

Dennoch ist, wie gesagt, die Atmosphäre erstaunlich unglamourös. Große Abendgarderobe trägt nur das Objekt der allgemeinen Begierde: Im ersten Teil umschwingt Anna Netrebko eine metallisch glänzende Stofffülle in Graubraunschwarz, die der Laie für einen russischen Wandteppich halten mag, die Kennerin aber sofort als Grace-Kelly-Style identifiziert; nach der Pause dann steckt sie in einem Paillettenschlauch.

Vier Arien und zwei Duette singt sie im offiziellen Teil, das ist nicht gerade value for money – wäre da nicht „Casta diva“ aus Bellinis „Norma“, diese höllisch schwere Arie, die eine Künstlerin von echter, authentischer Ausdruckskraft verlangt, und die bei Netrebko zur virtuosen Seelenentäußerung wird, mit dem sie alles Anneliese-Rothenbergerhafte beiseitewischt, was ihrem oberflächenversiegelten Charme, ihrer jugendfreien Laszivität sonst oft anhaftet. Bei dieser gen Himmel gesandten Bitte, die das Gebet einer Jungfrau sein sollte und doch das Selbstgespräch einer heimlichen Gattin ist, die sich dazu noch mit dem Erzfeind eingelassen hat, bei „Casta diva“ also versenkt sich die Sopranistin ganz in ihre Rolle, beginnt verschattet, abgedunkelt, zeichnet Bellinis weite Melodiebögen formvollendet nach, beglaubigt ihre Ritardandi ganz aus dem Kontext heraus, haucht die Phrasenenden pianissimo, bleibt selbst in den Koloraturen stets das zerbrechliche Geschöpf, die leidende, liebende Frau.

Dafür gibt’s Standing Ovations und viele Bravos. Anna Netrebko strahlt – und wagt sogar einen selbstironischen Blick auf ihre Existenz als Wunderwaffe der Populärklassik und Yellow-Press- Ikone, wenn sie als Zugabe „Meine Lippen, die küssen so heiß“ aus Lehárs „Giuditta“ wählt. Den Text der Arie hat sie sich sicher vorher übersetzen lassen: „Ich weiß es selber nicht, warum man von dem Zauber spricht, dem keiner widersteht, wenn er mich sieht, wenn er an mir vorübergeht.“

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