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Gegenbilder zum Krieg. In den Arkaden leuchten die frühesten Fotografien überhaupt auf: entblößte Frauenkörper. Davor lümmeln Soldaten.

© dapd

Oper: Zu gut für diese Welt

Operngipfel: Die Salzburger Festspiele stemmen Bernd Alois Zimmermanns Meisterwerk „Die Soldaten“. Alvis Hermanis hat seine Regie Pussy Riot gewidmet. An ihrem Beispiel will er zeigen, wie zerbrechliche Frauen das Opfer einer Maschinerie werden.

Die Salzburger Felsenreitschule hat fürwahr keine liebliche Ausstrahlung. Ihre Arkadengänge, die einst Logenplätze für die sich unten abspielenden Inszenierungen von Drill und Hatz zwischen Mensch und Tier bargen, ragen trutzig aus dem grauen Gestein. Ein sinistrer Spielort, entstanden als Negativabdruck des Salzburger Doms, dessen Baumaterial hier gebrochen wurde. Alvis Hermanis, der Schauspieler, Regisseur und Bühnenbildner, steigert die Wirkung jetzt noch einmal, wenn er einen dieser Gänge auf seine Bühne kopiert, jenseits von Arkadien: Bei zitterndem elektrischen Licht werden Pferde darin umhergeführt, und Soldaten zucken in ihren Stockbetten, verfolgt von einem Gegner, der sich nicht abschütteln oder gar töten lässt. Die größte Anstrengung der Salzburger Festspiele entlädt sich in Blitzen, die zwischen den Felsen zucken, irrlichtern, blenden – und Ekstase aufs Unheilvollste mit Katastrophe verbinden.

Bernd Alois Zimmermanns epochal schwierige wie bewundernswert gradlinige Oper „Die Soldaten“ nach dem Sturm-und-Drang-Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz, 1965 in Köln uraufgeführt, könnte hier am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielen: als Vorahnung, dass bald nur noch der Reiter der Apokalypse zu Pferd reiten würde, über den reich von Toten gedüngten Boden, massenhaft gemordet durch Maschinengewehrsalven, Panzereinsatz und Giftgaswolken. Eine Momentaufnahme kurz vor dem großen europäischen Kulturbruch.

Es ist ein mit Bedacht und auch etwas bedächtig gewählter Zeitabstand, für den Hermanis und sein Team sich entscheiden, um ein Musiktheater zu entfachen, das nach Willen seines Komponisten gestern, heute und morgen spielt. Die Zeit ist für ihn eine Kugel, alles läuft gleichzeitig ab, und wir konstruieren nur mühsam ein Kontinuum, das bestenfalls zur notdürftigen Orientierung dient.

Zimmermanns auf vielen Ebenen vorschießende Musik weiß davon. Ihr Schöpfer, Jahrgang 1918, erlebte sein Trauma in Russlands Schützengräben des Zweiten Weltkriegs – es hat ihn verfolgt bis in seinen Freitod 1980. Seine „Soldaten“ sind geprägt von einem antimilitaristischen Impetus aus eigener Erfahrung, den das Salzburger Produktionsteam allzu voreilig als naiv einstuft.

Man will aufs Große zielen mit der Riesenbühne, die Geschichte von Marie (mehr als nur einer Namensverwandten von Wozzecks Geliebter) als einer Frau im Käfig erzählen. Bürgerliches Mädchen wird von rigider Moral einerseits und moralfernen Aufstiegsbestrebungen andererseits nicht gerade befriedigt und erliegt in aller Unschuld dem Dauerfeuer des die Bürgerstuben belauernden Militärs, allesamt irgendwie adlige Offiziere, die zu Lenzens Zeiten ehelos bleiben mussten. Sonst könnte ihre Mordlust leiden.

Um diese geförderte Verquickung von Sex und Gewalt zu durchbrechen, zumindest für arglose Bürgermädchen, schlug Lenz in einer Textfassung gar vom König bezahlte Amazonen vor. Die Operation am offenen Geschlecht, sie verläuft nicht immer stilsicher. Auch Alvis Hermanis, der Opernneuling, muss sich mit Onanieren und Vergewaltigung auf der Szene herumschlagen. „Er hat das alles sehr geschmackssicher gemacht“, erklärt Pereira, der Intendant, als alles vorbei ist.

Die Pferde ziehen ihre Bahn, am Zügel geführt, unbeeindruckt von den Orchestergewalten, die um sie herum toben. Ingo Metzmacher entfacht sie mit kaum vorstellbarer Kontrolle: die Schlagzeugbatterien zu beiden Seiten der gigantischen Bühne, die Celesta- und Orgelkaskaden, die Jazzcombo, die in voller Stärke und ganzer Hingabe angetretenen Wiener Philharmoniker. Alles hat sich verschworen für diese vermeintlich unaufführbare Musik mit ihren halsbrecherischen Sprüngen zwischen Sing- und Sprechstimme, die das Porträt einer dumpfen Gesellschaft in hysterischen Männergesängen zeichnen. Die Gewalt ist körperlich spürbar, die Zartheit als bedrohter Sehnsuchtsort aber auch, und es schwebt ein Bach-Choral herein ins Feldlager: „O Welt, ich muss dich lassen.“

Doch ginge es so realistisch zu wie Hermanis’ Bühne glauben machen will, die treffliche Sängerriege unter Anführung der aufopferungsvollen Laura Aikin als Marie hätte keinen ihrer fordernden Töne herausgebracht. Im Stroh, wo sich intensiv gewälzt wird, kann man nicht singen, dabei wird viel zu viel Staub aufgewirbelt. So musste Bast her, der niemanden zum Würgen bringt. Im Detail zeigt sich, dass Hermanis’ Regie überzeugender aussieht, als sie tatsächlich ist. Die Pferde ziehen ihre Bahn, und man sehnt plötzlich die stille Genauigkeit von Michael Hanekes „Das weiße Band“ herbei. „Das Schlimmste in der Oper ist immer noch schön“, sagt Hermanis. Ein Satz, der auch wehtut.

Eine Artistin überquert auf dem Hochseil in voller Länge die Bastion der Bastballen, doch für Marie gibt es kein Entkommen. Der Regisseur geht auf Nummer sicher: Wenn der gehörnte Verlobte den Oberverführer Desportes mit Rattengift ins Jenseits befördert, verschwindet das Ensemble unter Gasmasken, um deren letztlich letale Wirksamkeit jeder weiß. Das massenhafte Sterben ist auf der Bühne immer zu leicht, aber Zimmermann komponiert auf eingeschobene Lenz-Verse ein hinreißendes, kreisendes Frauentrio: „Ach, ihr Wünsche junger Jahre / Seid zu gut für diese Welt! / Unsre schönste Blüte fällt, / Unser bester Teil gesellt / Lange vor uns sich zur Bahre.“ Zeilen einer Widerstandszelle. Sie hätten mehr Aufmerksamkeit, mehr Liebe verdient, so wie sie Metzmacher der Musik schenkt, die einen triumphalen Erfolg feiert.

Stattdessen Diaschau: In den Arkaden leuchten die frühesten Fotografien überhaupt auf. Es sind – natürlich – entblößte Frauenkörper. Sie hängen dort, wie zur Eingrenzung eines Zielgebiets. Später prangen dort Porträts von Giftgasopfern. Diese Bilderflut rauscht vorbei, und so verwundert es nicht, dass Salzburger Statistiker für „Die Soldaten“ heuer mehr Beifall als für die Bohème mit Netrebko herausgehört haben wollen.

Alvis Hermanis hat seine Regie Pussy Riot gewidmet. An ihrem Beispiel zeige sich, wie zerbrechliche Frauen das Opfer einer Maschinerie werden. Während das Premierenpublikum hinausdrängt, erscheint auf der Übertitelanzeige ganz klein der Hinweis auf die zu Lagerhaft verurteilten Musikerinnen. „Schau mal, da!“, sagt einer – „A geh“, der andere. Premierenfeierbuffetduft weht herüber. Wenn „Die Soldaten“ abgespielt sind, wird getanzt, hier in der Felsenreitschule, so wie einst bei den legendären Festen von Max Reinhardt auf Schloss Leopoldskron. Mit dem Erlös seines neuen Balls (mit Billetts bis zu 750 Euro) will Pereira eine Reihe von Opernuraufführungen finanzieren. Die Kompositionsaufträge bis 2016 hat er schon vergeben: an György Kurtag, Marc-André Dalbavie, Thomas Adés und Jörg Widmann. Zimmermanns „ Soldaten“ geben das Vorspiel für „Opera today“ in Salzburg – und sie hängen die Messlatte extrem hoch.

Ausstrahlung der Inszenierung am 26.8. um 21.55 Uhr auf 3sat.

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