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Trio Infernal. Tara Erraught, Lars Woldt und Kate Royal (v.l.) in Richard Jones’ Inszenierung von „Rosenkavalier“.

© Bill Cooper

Opernfestival in Glyndebourne: Ab auf die Wiese!

Baron Ochs, Fasanenbrust und das Blöken der Schafe: Das Opernfestival von Glyndebourne eröffnet mit Richard Strauss "Rosenkavalier".

Splitternackt steht die Fürstin Werdenberg unter der Dusche, wenn sich der Vorhang nach den orgiastischen Hornstößen der Ouvertüre öffnet. Ihr Liebhaber Octavian schaut eher distanziert zu, wie sie die Spuren der Nacht abwäscht. Eine sehr sachliche Affäre zeigt der Regisseur Richard Jones zur Eröffnung des Opernfestivals von Glyndebourne, für Melancholie und Sehnsucht ist kein Platz in diesem „Rosenkavalier“. Die Stimmung ist trotz besten Picknickwetters etwas gedämpft zu Beginn des 80. Festivaljahrgangs. Denn vor kurzem ist Sir George verstorben, der Familienpatriarch, der vor zwanzig Jahren für den Neubau des modernen Opernhauses sorgte und das Renommee dieses wohl exklusivsten Opernfestivals halten und mehren konnte. In einer kurzen Rede würdigte Sohn Gus Christie die Verdienste seines Vaters und wies darauf hin, dass ihm die Eröffnungspremiere wohl gefallen hätte. Ob sich das auf die Nacktheit der Marschallin oder auf den betont unsentimentalen Zugriff des Regisseurs bezog, ließ er offen.

Das Bühnenbild von Paul Steinberg setzt ganz auf Pop-Art-Anklänge, nur in den Kostümen von Nicky Gillibrand spiegelt sich noch ein Hauch Wiener Rokoko. Gerade die wunderbare irische Sängerin Tara Erraught steckt als Rosenkavalier allerdings in derart unvorteilhaften Kostümen, dass sich viele englische Kritiker in sehr sexistischem Tonfall über ihre Unglaubwürdigkeit ausließen. Dabei wurde völlig übersehen, dass weder ihr zu Beginn noch bedenklich flackerndes Vibrato noch ihre weiblichen Formen das Problem des Abends waren, sondern die Unentschlossenheit des Regisseurs. Was die Marschallin in die Melancholie treibt, was Octavian an der Sophie der stimmlich ansprechenden Teodora Gheorghiu attraktiver findet oder weshalb die unverhohlene Direktheit des Barons Ochs auf alle abstoßend wirkt, wo doch keiner von ihnen uneigennützig handelt – das will oder kann Jones nicht erklären.

Dazu passt, dass Kate Royal eine eigenschaftslose Pauschal-Marschallin singt. Ihre hübschen Töne werden kaum mit Wortsinn aufgeladen, sie läuft eher staunend durch die Handlung, als dass sie kraft ihrer stimmlichen Autorität Einfluss nähme. Ganz anders hingegen Lars Woldt als kraftstrotzender Baron Ochs. Der Bariton nimmt Richard Strauss und seinen Librettisten Hugo von Hofmannsthal ernst, indem er den unreflektiert- selbstverliebten Landadeligen virtuos in der Schwebe zwischen Komik und Ekel hält. Dieser Ochs hält tatsächlich noch ein erotisches Versprechen parat, wenn er seine Potenz anpreist, gleichzeitig ist er durch seine gesellschaftliche Stellung bedrohlich und bringt alle Umstehenden durch eklatant mangelnde Sozialkompetenz in die Bredouille. Weil Lars Woldt gesangstechnisch virtuos auch die Feinheiten des Textes deutlich macht, wird der häufig quälende Monolog des Ochs zum Höhepunkt des Abends, nachdem er diesmal von Octavian mit der Rose in den Allerwertesten gestochen wurde. Dann ist endlich Zeit für das berühmte Picknick im ausgedehnten Park.

Decken werden ausgebreitet, der Champagner fließt, die Fasanenbrust kommt aus der Kühltasche. Kleinere und mittelgroße Gesellschaften finden sich zusammen und genießen gemeinsam, was sie von zu Hause angeschleppt oder beim Picknickservice des Festivals bestellt haben. In den letzten Jahren hat sich die Lage wieder etwas entspannt, nachdem die Festspielleitung einigen neureichen Gästen bedeutet hat, dass Butler und Silberkandelaber nicht gerne auf dem Rasen gesehen werden. Im Zuge der Ökologisierung wurde auch der Helikopterlandeplatz für gestresste Banker aus der Londoner City abgeschafft und stattdessen eine Windkraftanlage errichtet. Vom „Opernhaus, das zufälligerweise neben meinem Elternhaus steht“, spricht das jetzige Familienoberhaupt Gus Christie gerne, und ein Hauch des Unwirklichen durchzieht die gesamte Veranstaltung. Doch schnell findet auch der Besucher vom Kontinent die sprichwörtliche britische Exzentrik gar nicht mehr bemerkenswert, sondern erfreut sich am vollkommen anderen Zugang zum Vergnügen an der Kunstform Oper, das dem Vergnügen am Picknick wohl gleichrangig sein dürfte.

Ticciati lässt der Musik die unverzichtbare Restsüße

Trio Infernal. Tara Erraught, Lars Woldt und Kate Royal (v.l.) in Richard Jones’ Inszenierung von „Rosenkavalier“.
Trio Infernal. Tara Erraught, Lars Woldt und Kate Royal (v.l.) in Richard Jones’ Inszenierung von „Rosenkavalier“.

© Bill Cooper

Nach anderthalb Stunden Pause kehren die Besucher spürbar enthusiasmiert, weil alkoholisiert zurück und lachen an Stellen, die dem Muttersprachler nur bedingt komisch vorkommen, weil auch hier Text und Bühnenaktion immer wieder weit auseinanderklaffen. Die Pantomime gerät langatmig und ist zu betulich, um als „eine Farce und weiter nix“ durchzugehen. Allerdings hält der englische Dirigent Robin Ticciati die Komödie im Beisl mit dem hinreißend spielenden London Philharmonic Orchestra ebenso elegant im Fluss wie er schon die ersten beiden Akte kühl zum Klingen brachte. Auch aus dem Graben kommen keine Schleifer und Sentimentalitäten, vielmehr zeigt der frisch angetretene Musikdirektor des Festivals mit seinem Wunschstück genau, wie Strauss seine Effekte erzielt – und vollbringt dabei das Kunststück, der Musik die unverzichtbare Restsüße zu lassen.

Zum Eröffnungswochenende in Glyndebourne gehörte auch die Wiederaufnahme von Graham Vicks legendärer „Eugen Onegin“-Inszenierung, mit der vor 20 Jahren das neue 1200-Plätze-Theater eingeweiht wurde. Tatjanas Namenstag ist klar und fein choreografiert in der sozialen Abgrenzung zwischen den Personen, dem einfachen Landleben wird das prunkvolle St. Petersburger Hofzeremoniell klug gegenübergestellt. Die Solisten sind aber eher durchschnittlich besetzt, Ekaterina Scherbachenko und Andrei Bondarenko als Tatjana und Onegin wären nach der letzten Szene wahrscheinlich heilfroh, keinen Ton mehr singen zu müssen. Auffallend ist auch beim „Onegin“ das Fehlen jeglicher Melancholie und Sehnsucht, sowohl auf der Bühne als auch im Graben, wo diesmal der aufstrebende Omer Meir Wellber das London Philharmonic Orchestra leitet. Beim Verlassen des Opernhauses trägt der frische Abendwind das Blöken der Schafe von den Weiden der South Downs herüber, einige Festivalbesucher setzen sich mit Kerzenbeleuchtung noch mal auf die Wiese und runden den Abend mit Dessert und Schlummertrunk ab. Doch unerbittlich mahnt eine freundliche Stimme, der letzte Zug zurück nach London fahre in Kürze ab. Auch hier bleibt kein Raum für Sentimentalitäten.

Das Festival läuft bis 24. August, www.glyndebourne.com

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