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Nicht ohne unseren Speer. Fricka, Wotan und Loge in München. Foto: Drama

© Predieri/drama-berlin.de

Opernkritik: Der Minne Ohnmacht

Ein Fall für die Feuerpolizei: Andreas Kriegenburg startet in München seinen „Ring des Nibelungen“.

Nette Leute, denkt man, wenn im Münchner Nationaltheater die Türen aufgehen und vorne auf der Bühne eine Viertelstunde vor Beginn des „Rheingolds“ vielleicht 80 Menschen im Alter von zwanzigirgendwas herzlich zwanglos miteinander umgehen: Man geht und steht und plaudert und isst Äpfel, als ob demnächst Hofmannsthal („also spielen wir Theater…“) auf dem Plan stünde: Alles in hippieskem Freizeitleinenweiß und von einem Hauch unschuldiger Utopie umgeben. Musiklose Minuten. Viel Zeit. Und fast alles wäre möglich. Sogar Alberich gesellt sich am Rande dazu. Sehr einladend, dieses Vorspiel auf dem Theater.

Solche – wie soll man sagen? – menschlichen Momente liegen dem Regisseur Andreas Kriegenburg. Man kann das in München trefflich auf der anderen Seite der Maximilianstraße in den Kammerspielen verfolgen, wo Kriegenburg einen Abend voller toller Gefühle hinimprovisiert hat. „Alles nur der Liebe wegen“ ist ein philosophisch- poetisches Potpourri, in dem die Schauspieler manchmal unter der Decke zu schweben scheinen, weil ihre Figuren so unbeschwert sind: schöne Hirngespinste und Herzenshalluzinationen.

Im „Ring des Nibelungen“ aber liegen die Dinge anders: Verquer geschichtet, musikalisch leitmotivisch verschlüsselt und ideologisch mitunter schwer zugänglich präsentiert sich da eine seltsame Mischung aus Götter- und Menschenwelt, mit Leichtigkeit alleine ist es nicht getan. Kriegenburg hat das geahnt und bis zuletzt trotzig darauf beharrt, dass der „Ring“, den ihm der hartnäckige Münchner Operndirektor Nikolaus Bachler da zugeschustert hat, eigentlich nicht „sein Stück“ sei. Und genau so schaut es aus: nach einem faulen Kompromiss.

Kaum nämlich ist Wagners Es-Dur Vorspiel (von Kent Nagano vollkommen geheimnislos dirigiert, als ginge das hier alles auf eins los) in Gang gekommen, sind das auf der Bühne zwar noch die netten Leute von eben, nur haben sie sich entschlossen – nunmehr in fleischfarbener Unterwäsche und ein bisschen blauem Actionpainting auf der Haut – in gruppendynamische Prozesse einzutreten. Wir sind im Fluss, und alles fließt. Kriegenburgs Unschuldsgruppensex hat dann aber leider auch etwas sehr Turnfestsportives, ja fast Riefenstahlmäßiges. Zwischen den Leibern, extrem unbeholfen, die Rheintöchter in mintgrünen Ballkleidern, und, noch unbeholfener, ein Alberich (in der zweiten Vorstellung Wolfgang Koch) mit wehendem Brust- und fettigem Haupthaar: Meat Loaf und Hermes Phettberg zugleich, vor der Verschlankung. Na, jedenfalls ist das Mirakelhafte des Anfangs erst mal weg und kommt so schnell auch nicht wieder.

Den Rest erledigt Kriegenburg nicht gerade gelangweilt, aber für seine Verhältnisse doch fast gequält. Die tendenziell sehr blonde Göttersippe agiert dabei im nahezu leeren Großraum, den Harald B. Thor als überdimensionale Holzschachtel gebaut hat. Man kann sie drehen, wenden und aufklappen, wie man will, sie ist quadratisch und praktisch, aber ob sie wirklich gut ist, lässt sich wohl erst nach der „Götterdämmerung“ im Rahmen der sommerlichen Opernfestspiele beurteilen. Dabei soll die Kiste offenbar bleiben. Mag sich dann aber darin was tun?

Vorläufig neigt die Regie dazu, alle großen Einfälle klein zu inszenieren. Etwa den Auftritt der Riesen (Thorsten Grümbel und Philipp Ens, als Fafner eine verlässliche Wucht): Die werden im Blaumann hereingeschoben auf einem Quader aus ebenfalls blauen Stoffballen. Denkt man. Sekunden später dämmert es einem, was da zusammengepresst wurde: Menschenleiber. Aus siedend heiß macht Kriegenburg allenfalls lauwarm, wenn er Fasolt und Fafner umständlich Monturen anlegen lässt – Riesenhandschuhe und Riesenstiefel an Riesenbeinen, Die Retro-Chéreau-Show. Und alle Monstrosität ist hin.

Ansonsten viel übliches, abgetanes, ranzig gewordenes Regieflicktheater: Wotan (schon jetzt vokal und physiognomisch leicht erschöpft: Johan Reuter) als Fuchtler mit Speer im Abendanzug; Fricka (ein wenig schrill: Sophie Koch) als Fuchtlerin ohne Speer, aber händeringend, im Abendkleid; Loge (ein bisschen zu outriert: Stefan Margita) mit Dandystöckchen. Alberichs Zwerge sind Minenarbeiter im flackernden Zwielicht, wie überhaupt der Abend vor allem von Nibelheim aus gesehen zumindest unter feuerpolizeilichen Gesichtspunkten ein Ereignis darstellt. Immerzu steigen Flammen auf, weht Nebel herein und verpufft irgendwas. Was man aber gerne hätte, wäre Klarheit. Was möchte uns Kriegenburg bieten? Mythoserzählung? Menschenbinnendramen? Marktanalyse?

Einmal, da schöpft man schon fast wieder Hoffnung, lässt er eins der von ihm so gerne beschäftigten Mädchen in Weiß (auch in anderen Arbeiten) eine kleine weiße Blume am langen Stengel durch die Gegend tragen – ein schönes Bild. Und was macht Fasolt, der rasend in Freia Verliebte: alles kaputt! Wie banal.

Auch Kent Naganos Leitung des Bayerischen Staatsorchesters hat – auf zunächst regelrecht kammermusikalischer Grundlage – etwas Fahriges, Überrobustes und dann wieder erzwungen Impressionistisches, zudem häufen sich beim Bayerischen Staatsorchester einsatztechnische Unsauberkeiten. Am Schluss dann wieder jede Menge Leiber im Fluss. Nur nach dem Strudel, der einen in diesen lauthals angekündigten „Ring“ hineinzöge, sucht man im „Rheingold“ noch vergeblich.

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