zum Hauptinhalt

Kultur: Opulenz des Verfalls

Filmfestivals, besonders solche, die einen klar umrissenen Bezugsort aufweisen, verlocken zu Generalisierungen.Was ist der Stand der Dinge?

Filmfestivals, besonders solche, die einen klar umrissenen Bezugsort aufweisen, verlocken zu Generalisierungen.Was ist der Stand der Dinge? Was treibt die Menschen um? Und wie lassen sich die Erfahrungen umsetzen? Natürlich fließt die Realität nicht ungefiltert auf die Leinwand.Es ist die Perspektive der Filmschaffenden, die unsere Blicke richtet.Die Interessen und ästhetischen Vorlieben der Auswahlkommission bilden einen weiteren Filter.Und überhaupt: läßt sich eine Region, die einen halben Kontinent umfaßt, sinnvoll auf einen Nenner bringen? Ist die gemeinsame sozialistische Vergangenheit nicht nur abstrakte Negativfolie, die historisch unvergleichliche Erfahrungen eher verschleiert als entdeckt? Was hat Estland mit Mazedonien gemeinsam, Prager Szenekids mit kirgisischen Bauernlümmeln?

Viel und sehr wenig.Wer sich so freien Sinns durch die Wettbewerbs- und Informationsprogramme beim diesjährigen "Festival des jungen osteuropäischen Films" in Cottbus treiben ließ, konnte gut und gerne beide Diagnosen ablesen.Auseinanderfallen in Disparates.Und doch auch erstaunliche Parallelen, ein gemeinsamer Erfahrungsschatz, der seine Spur selbst durch scheinbar Gegensätzliches zieht.Dazu muß man den Filmen keine interpretatorische Gewalt antun.Da ist etwa Petr Zelenkas "Die Knöpfler" (ORB-Preis), eine bunte Episodenkomödie, die mit tschechischem Humor skurrile Alltagsgeschichten durch die Macht des Zufalls und eine spiralförmige Zeitstruktur miteinander verknüpft.Auch "Machs gut, 20.Jahrhundert" aus Mazedonien (Aleksandar Popovski, Darko Mitrevski) schickt uns auf eine Zeitreise, diesmal allerdings durch apokalyptisch-archaische Zukunftswelten, wo Kriegerpriester das Kommando führen in ein Heute, das in einer blutigen Orgie effektvoll kollabiert.

Zufall und Apokalypse.Auch Zelenka schlägt in einer Art Rahmenhandlung, die die Piloten des Little-Boy-Bombers als fluchende Star-War-GIs präsentiert, den Bogen von Hiroshima bis ins nächste Jahrtausend.Doch während "Knöpfler" mit ironischem Seitenblick mediale Präsentation und die Tücken japanisch-amerikanischer Verständigung mitinszeniert, geht es in Mazedonien symbolisch zur Sache.Wenn es der Held, Typ großer Langhaar-Lederhosen-Söldner, in einer Badewanne sehr heftig mit einer sehr fatalen Frau treibt, sind drumherum, im pittoresken Kellergelaß, Lagerfeuer und Fernseher zur Kulisse aufgebaut."The future is as fucked up as the past".

Letztes Jahr war es die Figur des Killers, die in den Cottbusser Filmen zu Ehren kam.Auch jetzt sind wieder einige Mafiageschichten dabei: "Mama, heul nicht" von Maxime Peshemskij aus Rußland ist fast schon eine Parodie, die allerdings an Sprachbarrieren scheitert.Eindringlicher der kasachische "Killer" (Dareshan Omirbajew), der in karger Filmsprache die alte Geschichte vom kleinen Mann erzählt, den es im Sog ökonomischer Gewaltverhältnisse unaufhaltsam nach unten zieht.Ein Auffahrunfall reicht aus, um ein Leben aus dem Lot zu bringen.Solche schlichten Geschichten waren in Cottbus rar.Läßt sich nicht mehr erzählen, was zu sagen wäre, oder steckt die Orientierungslosigkeit auch die Filmemacher an? War der letzte Jahrgang Cottbus geprägt von Gewalt, so scheint die Lieblingsmetapher dieses Jahres die der geschlossenen Gesellschaft, die Lieblingsanordnung nicht das "Und-Dann" der Narration, sondern das "Und-Dort" des Kuriositäten-Kabinetts.Mal kommt das realistisch daher, wie in "Zum Geburts-Tag" (Larissa Sadilowa, FIPRESCI-Preis), der in dokumentarischem Ton eine russische Geburtsstation beschreibt.Öfter aber als klaustrophobische Konstellation.Ein surreales Panorama folgt aufs andere.Inventar: Vegetarier und Huren, Schachspieler und Verrückte.

Das solches Nicht-Erzählen Tradition hat, war zu sehen in den Filmen des Länderprogramms, das diesmal den Cinematographien des Baltikums gewidmet war.Hier trifft sich aktuelle Ratlosigkeit mit einer Schule elegischer Rätselhaftigkeit.Auch in Sarunas Bartas neuem Film "Das Haus" herrscht Stillstand.Auch hier Opulenz des Verfalls, für die Bartas, ein Meister der Inszenierung, allerdings Bilder findet, die bleiben.Eine verstaubte Bücherstube, in der mit Glitzertand geschmückte Tauben flattern.

Zurück: Auch der bulgarische Regisseur Andrej Slabakow wählt in "Wagner" ein Haus als zentrale Metapher, eine halb verfallene Wohnmaschine, die seine Heldin auf der Suche nach einem Stückchen Brot durchstreift.Auch "Wagner" besticht durch formale Brillanz, eine Ausstattung, die Filmgeschichte von Lang bis Fellini assoziieren läßt.Auch dieser Regisseur, der sich auf Kafka bis Monthy Python beruft, will die Materialisierung der Welt denunzieren.Seine Alice, eine Fabrikarbeiterin, ist eine der ganz raren Heldinnen dieses Festivals.Denn ausgerechnet die Geschlechterverhältnisse sind in fast allen Filmen noch klar geregelt.Die Jungs tun, die Frauen sind für die höhere Bedeutung zuständig und dürfen, langhaarig und hyperfeminin, die Bluse öffnen.Das Ur-Weibliche, im Westen zumindest hinterfragt, hier dient es als Projektionsfolie für Orientierungsverluste und verschwindendes Handlungspotential.Kein Wunder, daß auch die Impotenz, ganz konkret wie als Metapher, inflationiert.Offensichtlich ist die Krise der osteuropäischen Gesellschaft vor allem eine der Männlichkeit.

In einer Szene des kirgisischen Films "Der Adoptivsohn" ("Beschkempir") buddeln sich ein paar halbwüchsige Jungs eine sehr plastische Frauenfigur aus dem Lehmboden.Bevor sie zur Tat schreiten können, werden sie von Kühen vertrieben."Beschkempier", Regie Aktan Abdikalikow mit seiner minutiösen, humorvollen Schilderung von Jungensglück und -nöten beglückender Außenseiter dieses Festivals, wurde zu Recht mit dem Hauptpreis ausgezeichnet.Der französische Co-Produzent des Films Marc Baschet zeichnete auch für einen anderen Film verantwortlich, der - außer Konkurrenz - den Publikumspreis gewann: "Train de vie" von Radu Mihaileanu, ein folkloristisches Märchen-Musical als Flucht vor dem Holocaust.Ob das geht? Ja.Ob Benigni hier abgekupfert hat? Wenn ja, umso besser, sagt Mihaileanu.Nicht unbedingt zum Besseren.Aber das ist eine andere Geschichte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false