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Kultur: Orientexpress zur Demokratie

Nach Saddam Husseins Sturz soll der Irak zum Rechtsstaat werden. Deutschland und Japan nach 1945 gelten als Vorbilder der Reeducation. Aber trägt der Vergleich? Und welchen Aufwand müssten die Amerikaner treiben?

Von Caroline Fetscher

Er brachte Jeeps und Jazz mit, Candy und Nylons. So zog der legendäre Amerikaner im Frühling 1945 als Freund in dieselben deutschen Städte ein, die er eben noch als Feind bombardiert hatte. Kinderhände streckten sich ihm entgegen, und Fräuleinblicke blieben an ihm haften. Der GI aus der reichen US-Army wurde, weit mehr als die Soldaten der ärmeren Franzosen, Briten oder Russen, zur Ikone der Hoffnung. „Im Übrigen machen die Amerikaner weder einen bösartigen noch einen hochmütigen Eindruck“, schrieb Viktor Klemperer im Mai 1945 in seinen Aufzeichnungen. „Sie sind überhaupt keine Soldaten im preußischen Sinn. Sie tragen keine Uniformen, sondern Monteuranzüge, Overalls oder overallähnliche Kombinationen aus hochreichender Hose und Bluse in graugrüner Farbe.“

In der Tasche der hatten die „Monteure“ einen gigantischen Montage-Plan für einen neuen Staat, ein historisch beispielloses Konzept zum Aufbau einer Demokratie. Militärisch war Deutschland besiegt. Moralisch und politisch noch nicht. Was sich las wie eine Kette von Abstrakta – Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Entkartellisierung, Re-Education, Re-Orientation, Democratization – das sollte konkrete Wirklichkeit werden. So schnell wie möglich muss daher Vertrauen bei der Bevölkerung entstehen.

Der Brite Philipp Wilkinson ist in der Nato Spezialist für peace support und begleitet heute, im Frühjahr 2003, britische Truppen in der Golfregion. „Wir wollen nicht“, sagte er der BBC, „dass unsere Soldaten Sonnenbrillen tragen, wenn sie mit der Bevölkerung zu tun haben. Sie sollen Blickkontakt herstellen können. Wir Briten“, erklärte Wikinson, „wollen, dass jeder einzelne Soldat soziales Bewusstsein für seine Umgebung hat. Die Amerikaner haben für diese Aufgabe nur einige Sondereinheiten für zivile Angelegenheiten.“

Die unterschiedlichen „Militärkulturen“ können sich in den kommenden Monaten als bedeutsam erweisen. Um Vertrauen zu schaffen, braucht man Kenntnis des Gegenübers. Mit ihren Plänen für Deutschland (und Japan) hatten die Amerikaner schon 1940 begonnen. Beteiligt waren Historiker und Psychiater, Militärs und Diplomaten, Soziologen, Sprachwissenschaftler, Anthropologen – die besten des Landes und die exzellentesten unter den Exilierten, darunter auch der Psychoanalytiker Erich Fromm..

Im Vorwort zu dem 1943 erschienen Bestseller des Neuropsychiater Richard Brickner „Is Germany Incurable“ (Ist Deutschland unheilbar?), den die „New York Times“ in einem Leitartikel feierte, schrieb die Kulturanthropologin Margaret Mead, „das Licht der Zivilisation könnte durch den Faschismus für Jahrhunderte erlöschen.“ Werde aber der Krieg gewonnen, „dann steht uns die Hauptaufgabe noch bevor.“ Ökonomismus allein, erklärt Brickner, genüge nicht, das Phänomen einer destruktiven Gesellschaft zu erfassen. Auch kulturelle, affektive Strukturen müsse man lesen lernen.

Brickners Studie befasste sich mit dem psychischen Zustand der deutschen Gesellschaft, ihrer Paranoia, ihrem Hang zu fanatischen, sektiererischen, am Ende mörderischen Denksystemen. Wahrscheinlich würde seine Studie das Weiße Haus von heute in Erstaunen versetzen. Vom evil des Anderen, vom Bösen, war keine Rede, wenn Brickner die Aspekte einer „German Paranoia“ ausleuchtete, klinisch und aufklärerisch. „Germany: A patient in need of therapy“ – so das Fazit des Doktors. Brickner schrieb, als profiler einer kriminell gewordenen Nation ein erstes Handbuch zum Nation-Building. Ein gesamtes symbolisches System müsse umgekrempelt werden: Führerstatuen fallen, Schulbücher neu geschrieben werden. Und die Bevölkerung müsse dabei das Gefühl haben, dass sie selbst es mache. Zuviel Schuldgefühle schaden, aber mit der Wirklichkeit – der Lager und des Unrechts – müssen die Besiegten dennoch konfrontiert werden.

Im August 1940 wurde in Washington der „Council of Democracy“ gegründet sowie die Behörde des „Koordinators für Information“, die ab 1941 Sozialwissenschaftler anwarb. Tausende von Wissenschaftlern unterbreiteten auf Konferenzen ihre Arbeiten zu Deutschland und Japan. Der Soziologe Talcott Parsons nannte als Anknüpfungspunkt für eine gesellschaftliche Genesung von Germany dessen Fragmente einer freien Marktwirtschaft.

Der Anthropologe Gregory Bateson erklärte die „symmetrischen kulturellen Grundmuster angelsächsischer Länder“ im Unterschied zu asymmetrischen wie in Deutschland. Washington förderte die Forschung zu den Aggressoren mit Millionen von Dollars. Man wollte verstehen, wer die Anderen sind. Ob die jetzige US-Administration dazu willens und fähig ist, darf man bezweifeln.

General Douglas MacArthur wurde nach der Kapitulation im September 1945 „General Shogun“ des besetzten Japan. Fünfeinhalb Jahre lang hatte er die Oberaufsicht über Wiederaufbau und Demokratisierung. Um die Japaner nicht zu kränken, ließ er den Kaiser, ein wichtiges Symbol auch des totalitären Japan, bewusst unangetastet und schützte ihn sogar vor den Tokyo-Prozessen, dem Pendant der Nürnberger Prozesse. Als MacArthur Japan verließ, so erzählte er, „säumten meilenlange Schlangen weinender und winkender Japaner die Straßen“, auf denen sein Konvoi entlang fuhr.

Es ist unwahrscheinlich, dass die gegenwärtige US-Administration ähnliche Pläne für den Irak hat wie einst für Deutschland und Japan. Bisher sind die Konzepte der Amerikaner für den Nachkriegs-Irak geheim. Diskutiert wird nur die Frage, ob und wie sich die Uno am Neuaufbau beteiligt. Nicht geheim indes sind die Planungen der Irakischen Opposition. Im Herbst 2002 trafen sich 400 Exilanten in London, Sunniten, Schiiten, Kurden und andere Gruppen. Im November 2002 legten sie knapp hundert Seiten Konzept vor, im Internet einzusehen als „Final Report on the Transition to Democracy in Iraq“ ( www.iraqfoundation.org ). In der Westpresse werden die Exilgruppen oft für ihre Machtrangeleien gescholten. Wer das Dokument liest, erhält ein anderes Bild, ein durchaus eindrucksvolles.

„Die politische Praxis im Irak ist seit 35 Jahren tot“, hält das Papier mit bitterer Nüchternheit fest. „Es gibt keine politischen Parteien außer der Baath-Partei. Abweichende Meinungen, öffentlich oder privat geäußert, gelten als Verbrechen. Kritik an Saddam Hussein ist ein Kapitalverbrechen. Obwohl das Regime international auf Ablehnung stößt, gibt es daher keine dissidenten Individuen in dem Land, die öffentliches Profil hätten. (...) Darin liegt die große Gefahr für eine künftige Zivilgesellschaft.“

Die Diagnose des politischen Exitus – das allein ist der Ausgangsort der Neuordnung. Wie in Deutschland nach 1945 müsse eine Verfassung entstehen, ein neuer Justizapparat. Ein internationales Tribunal für die Köpfe des Regimes, aber auch Wahrheits- und Versöhnungskommissionen für die zwei Millionen mehr oder minder verstrickter Mitglieder der Baath-Partei.

Empfohlen wird ein föderales System, gerechte Verteilung des Öl-Wohlstands auf alle Gruppen der Bevölkerung, gleiche Rechte für Frauen, Kontrolle der Achtung der Menschenrechte durch die Uno, amnesty und Human Rights Watch. Neue Schulbücher sind nötig, eine Reform der Universitäten und Medien. Gelernt haben die Autoren des Reports, darunter Iraks wohl wichtigster Exil-Intellektueller, Kanan Makiya, auch bei anderen Ländern, die ihr totalitäres oder rassistisches Erbe überwinden mussten. Sie zitieren Südafrika wie Rumänien, Kosovo, Ost-Timor, Japan, Chile und Ruanda.

Wichtigstes Vorbild für die „Entbaathifizierung“ des Lebens im Irak ist für die Exilanten „Post-War-Germany“. Bei aller Klarheit fehlt dem Report doch der „Brickner-Aspekt“: die sozialpsychologische Analyse dessen, wie es möglich war, dass so viele Menschen sich mit absoluter Repression und Führerkult arrangiert haben. Kanan Makiya beklagt in der aktuellen „Zeit“, dass die USA bisher wenig Zeit damit verbringen, mit Exilirakern die Zukunft von deren Land zu diskutieren. Erst jetzt hat sich die Haltung etwas geändert: „Angesichts der geringen internationalen Hilfe hat die Regierung offenbar erkannt, dass sie es sich nicht leisten kann, auch noch die Unterstützung der irakischen Opposition zu verlieren.“

Nachkrieg damals, Nachkrieg heute: Die Ziele sind dieselben geblieben, die Stile nicht. Doch brauchen wird der Nachkriegs-Irak die Amerikaner: als die Engagiertesten und die Reichsten. Es ginge also darum, der Washingtoner Elite von heute etwas von dem Geist des Washington von damals zu vermitteln – in modernisierter Form. Das könnten, wieder, nur die Sozialwissenschaftler und die Exilanten.

Im Chaos erster Nachkriegsmonate ist Durchgreifen unerlässlich. Daher rührt die Skepsis von Colin Powell oder Donald Rumsfeld, mit zögerlichen, zerstrittenen Partnern debattieren zu müssen wie in Bosnien. Zeit ist nicht zu verlieren, auch das empfahl man damals: Sofort, mitten im ersten Schock, muss die Neuordnung einsetzen. Und: Behutsamer Umgang mit den „Patienten“ war empfohlen worden, sonst seien sie renitent.

Vieles lief dennoch schief. Bei der Entnazifizierung erwies es sich als schwierig, den Filz von Machern und Mitläufern zu durchschauen. Die zuerst zu 70 bis 80 Prozent entlassenen Volksschullehrer musste man schon Ende 1945 dann doch wieder einstellen – es gab zu wenige andere. Aber die Sozialwissenschaft Amerikas hatte zentral dazu beigetragen, dass es in Deutschland wie in Japan nicht zu illegalen Racheaktionen und zu übergroßer Belastung der Bevölkerung kam, und dass im Lauf der Jahre ein echter Wandel stattfand.

Autoritäre Regimes funktionieren noch immer nach den von Brickner analysierten Prinzipien. Rhetorische Volten der Paranoia, wie Brickner sie nennt, sind überall zu hören. Der ägyptische Sänger Shabaan Abdel Rahim landete nicht nur in Kairo, sondern in der gesamten arabischen Welt mit seinem Song „Ich hasse Israel“ einen Hit.

Solche Phänomene gilt es, mit dem besseren wissenschaftlichen Instrumentarium von heute, und jenseits des Ressentiments, zu erfassen. Erst recht, wenn es darum geht, auch schwer wiegende Mentalitätsunterschiede zu überwinden. Dazu gehört als Minimum, wovon der britische Ausbilder spricht: den Anderen ohne Sonnenbrille in die Augen zu sehen. Und sich selbst.

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