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Anti-illusionistisch: Katie Mitchells Inszenierung von „Orlando“

© Stephen Cummiskey

„Orlando“ an der Schaubühne: Das Lächeln der Langhaar- Queen

Vorläuferin aktueller Gendertheorien: Katie Mitchell inszeniert Virginia Woolfs „Orlando“ an der Schaubühne als Haudrauf-Komödie.

Viel Gewitzteres als „Orlando“ kann dem Theater, in dem ja gerade verstärkt über Geschlechter-Stereotype nachgedacht wird, eigentlich kaum passieren: Ein adliger Pumphosen-Teenager, der im England des 16. Jahrhunderts hoch bei Königin Elisabeth I. im Kurs steht, macht sich auf den Weg durch stolze dreieinhalb Jahrhunderte. Dabei wird er zwar nur zwanzig Jahre älter, erwacht aber aus einem Tiefschlaf zwischen den Epochen irgendwann als Frau: Eine Tatsache, die er beziehungsweise sie wohltuend unaufgeregt zur Kenntnis nimmt.

Was sich fortan ändert, ist durchaus Orlandos Leben, nicht aber ihre Identität als Mensch und Subjekt. Zeitgemäß gesprochen, handelt es sich um eine Art belletristisch praktizierende Vorläuferin aktueller Gendertheorien, die die Kategorie Geschlecht ja auch als soziale Konstruktion in den Blick nehmen.

Und weil einem, so als Zuschauerin, spontan gleich mehrere aktuelle Bühnen- Emanzipationsversuche einfallen, die gegen Woolfs 1928 erschienenen Roman erschreckend alt aussehen, muss man Regisseurin Katie Mitchell für ihre Stoffwahl in der Schaubühne zunächst wirklich dankbar sein. Als bekennende Feministin beschäftigt sie sich nicht zum ersten Mal mit Geschlechterzuschreibungen.

Mitchell setzt diesmal ganz auf Komik

An der Schaubühne hatte sie 2015 „Hamlet“ aus Sicht von dessen dramatisch vernachlässigter Geliebter rekonstruiert: Ein Tränendrüsendrücker-Abend, der die zähe Tristesse von Ophelias Warteschleifen-Existenz eins zu eins aufs Publikum übertrug.

[wieder 7., 8. und 11.–13. September]

Insofern überrascht es schon, dass Mitchell diesmal ganz auf Komik setzt. Und keine uneingeschränkt gute. Jenny König hüpft als Orlando mit permanentem Augenzwinkern durch Epochen und Geschlechterklischees. Sie wirft sich mit Grandezza in den schwarzen Spitzenbody, mutiert vom milchbubihaften Oberlippenbärtchenträger zur selbstbewussten Langhaar- Queen und tut das, was die Regisseurin für sie vorgesehen hat, mit Bravour. Der begehrliche Blick des Herrn Orlando auf die schön stereotypenfern zum Ordinären neigende russische Gräfin Sasha (Isabelle Redfern) sitzt bei König genauso perfekt wie Frau Orlandos Abwehr alberner männlicher Werbungsattacken.

Ständiges Figuren- und Identitäten-Switching

Close-ups sind ja zentral in Mitchells Theater: Wie fast immer bei der britischen Regisseurin ist die Bühne ein Filmset, wo Kameraleute und Ankleiderinnen die Schauspielerinnen und Schauspieler umwuseln, die ihrerseits ständig in Höchstgeschwindigkeit von einer Bühnenecke und einer Jacke in die nächste springen. Dieses betont anti-illusionistische Bildproduktionsgewerbe fügt sich auf der Leinwand zum scheinbaren opulenten Ganzen. An einem Abend, der von (Geschlechter-)Konstruktion handelt, liegt diese Methode natürlich besonders nahe. Wie die Idee, Schauspielerinnen mit Männer- und Schauspieler mit Frauenrollen zu betrauen. Ständige Figuren- und Identitäten-Switching ist Programm.

Schade nur, dass das, was dann letztlich konstruiert wird, arg im Plakativen bleibt. Woolfs Text – betont pointiert eingelesen von Cathleen Gawlich – ist von souveränem Humor, den man bei diesem Sujet auf Bühnen oft schmerzlich vermisst. Mitchells Inszenierung tendiert dagegen zur Haudrauf-Komödie mit besonders altbackenen Geschlechterklischees: Männer sind dumpfe Frauenverachter-Karikaturen oder, bei weiblicher Zurückweisung, beleidigte Leberwürstchen. Da ist der Abend doch wieder in schlechtester alter Bühnengesellschaft.

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