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Kultur: Ortstermine

Eine Berliner Diskussion über Erinnerungskulturen.

Nationen haben kein Gedächtnis, sagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann – sie machen sich eines. Dabei bedienen sie sich vielfältiger Symbole und Zeichen wie Straßennamen oder Texten in Schulbüchern und Orten wie Denkmälern oder Gedenkstätten. Um Orte vor allem ging es bei der viel zu kurz geratenen Diskussion „Erinnerungskulturen: Von der Gegenwärtigkeit der Vergangenheit“. Sie fand im Rahmen der Lateinamerika-Konferenz im Berliner Haus der Kulturen der Welt statt. Akteure aus Politik, Wirtschaft und Kultur sprachen über Entwicklungen und gesellschaftlichen Wandel in Deutschland und Lateinamerika, selbst Bundesaußenminister Westerwelle zeigte sich.

Drei Vertreterinnen von Orten aus drei Ländern waren eingeladen, die an ganz unterschiedlichen Stationen ihres Weges stehen. Margarita Vannini ist Historikerin an der Universität von Managua in Nicaragua, Margarita Romero leitet die Gedenkstätte Villa Grimaldi in Santiago de Chile, wo unter Pinochet mehr als 4500 politische Gefangene festgehalten und gefoltert wurden. Elke Gryglewski schließlich arbeitet in der Berliner Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, wo im Januar vor siebzig Jahren Spitzenbeamte von Reichsministerien und der SS den Völkermord an den europäischen Juden planten.

Wie geht die jeweilige Gesellschaft mit den Spuren autoritärer Regime um? Und wie hält sie die Erinnerung an das Geschehen unter den Nachgeborenen wach? Weil kollektives Gedächtnis auf Auswahl beruht, wird um diese meist gestritten, auch um die Orte, an denen erinnert wird. Schon in den sechziger Jahren, sagt Gryglewski, wollte ein Auschwitz-Überlebender das Haus der Wannsee-Konferenz zur Gedenkstätte machen. Der Berliner Senat gab das Gebäude damals jedoch nicht frei – zu viele Entscheidungsträger waren selber noch in die NS-Vergangenheit verstrickt.

In Chile, wo die Diktatur seit rund zwanzig Jahren vorbei ist, wird die zivilgesellschaftliche Initiative der Villa Grimaldi erst seit kurzem staatlich mitfinanziert. Und in Nicaragua, sagt Vannini, das sich seit mehr als dreißig Jahren in einem Wechselbad der politischen Systeme befindet, „ist Erinnerung ein Schlachtfeld“. Gedenkstätten würden alle paar Jahre je nach politischer Windrichtung auf- und abgebaut: Von Somoza zu den Sandinisten über rechtspopulistische und neokonservative Regierungen und zurück. Sie sorge sich, klagt Vannini, dass ihre Studenten auch deshalb kaum etwas über die eigene Vergangenheit wüssten. Patricia Hecht

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