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Oscar-Nominierungen: Starke Konkurrenten, starke Themen

Wenn es nach Google geht, dann brauchen sich die Oscar-Fans die Nacht zum Montag nicht um die Ohren zu schlagen. Doch hat Google recht? Die Nominierungen in diesem Jahr bieten starke Themen und eine Vielfalt wie selten zuvor.

Wenn es nach Google geht, dann brauchen sich die Oscar-Fans die Nacht zum Montag nicht um die Ohren zu schlagen. Die Entscheidung steht nämlich schon fest – ausgewertet aus den weltweiten Suchanfragen der letzten 90 Tage – und bringt einen eindeutigen Sieger: „The Wolf of Wall Street“ wird bester Film, und weil’s so schön ist, kriegt Regisseur Martin Scorsese seinen zweiten Regie-Oscar (nach „Departed“, 2007) und Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio bei seiner vierten Nominierung endlich den ersten überhaupt. Der Film wurde bei Google mehr als doppelt so viel gesucht wie Hauptkonkurrent „American Hustle“, und die Vorsprünge von Scorsese und Leonardo DiCaprio gegenüber den Mitbewerbern sind sogar noch größer.

Bevor nun aber Jubel ausbricht unter den Fans dieses herausragenden, allerdings nur in fünf Kategorien nominierten Films und Spott angesichts der je zehnmal nominierten Flop-Favoriten „American Hustle“ und „Gravity“, sei auf die abweichenden Ergebnisse von Exponential Interactive Datenanalysen verwiesen. Für das Unternehmen, das täglich zwei Milliarden User-Daten analysiert, zählt als Kriterium für Oscar-Glanz nicht das globale Google-Plebiszit, sondern das Profil des statistisch typischen Oscar-Academy-Mitglieds: Es ist überwiegend über 50 Jahre alt, weiß, männlich, mag Sportwagen, hochwertige Kleidung und exotische Reiseziele. Und wird sich, da ist sich die Firma angesichts der ausgewerteten Daten von tausenden Websurfern mit diesen Merkmalen sicher, für den neunmal nominierten „12 Years a Slave“ entscheiden. Die Nominierungsfavoriten „American Hustle“ und „Gravity“ folgen auf den nächsten Plätzen.

Man könnte nun durchaus weiter mit derlei Prognosen entsprechend Kalifornisch Roulette spielen – und etwa zwecks Erschütterung jedweder Gewissheiten daran erinnern, dass letztes Jahr der mit zwölf Nominierungen hochfavorisierte „Lincoln“ magere zwei Oscars holte, einen weniger als „Argo“; der verwandelte auch nur ein Drittel seiner Nominierungen in Oscars, aber immerhin war die Toptrophäe „Best Picture“ dabei. Tatsächlich ist das Niveau diesmal deutlich besser und bei aller Verschiedenartigkeit der behandelten Themen – vom Historiendrama zur Science Fiction, vom sensiblen Provinzfamilienporträt zur schmissigen Gaunerkomödie – beglückend homogen. Motto: Möge der bessere unter neun wirklich guten Filmen gewinnen.

Was in diesem Jahr besonders auffällt: Es gibt ein ernsthaftes und sehr selbstkritisches Selbstvergewisserungsbemühen in den Filmen, bohrend fragen sie nach Werten, die die Gesellschaft zusammenhalten – wobei es gleichgültig ist, ob die Regisseure sich bei ihrer Suche des Düsterdramas, der Komödie oder gar der schrillen Farce bedienen.

Börsianer umgarnt Cop: Leonardo DiCaprio in "Wolf of Wall Street".
Börsianer umgarnt Cop: Leonardo DiCaprio in "Wolf of Wall Street".

© Universal

Hinzu kommt das Bedürfnis, die gewählten Stoffe zumindest vom Ausgangspunkt her in verbürgter Realität zu verankern und ihnen somit eine gewisse Relevanz zu verleihen. Allein sechs der nominierten Filme schmücken sich mit dem Zusatz „based on a true story“. Der mag zwar oft – und zu Recht – belächelt werden, aber die Filme dieses Oscar-Jahrgangs halten dem meist bloß bedeutungsheischenden Werbeetikett locker stand. Nur die beiden Science-Fiction-Titel „Gravity“ und „Her“ sind, naturgemäß, von dieser Wirklichkeitsverortung ausgenommen – und der zauberhaft erfundene, aber wohl chancenarme „Nebraska“ von Alexander Payne.

Immerhin steht „Nebraska“, gewiss am verspieltesten, für ein Leitmotiv dieser Oscar-Filme, das man, schön klassisch links, „kapitalismuskritisch“ nennen darf. Geld regiert die – zumindest westliche – Welt, und die bucklichte Familie, die in „Nebraska“ am vermeintlichen Millionengewinn des Woody Grant zu partizipieren sucht, benimmt sich nicht substanziell anders als die Raffkes in der furiosen Komödie „American Hustle“ oder der von Leonardo DiCaprio souverän suggestiv verkörperte Oberraffke Jordan Belfort in „The Wolf of Wall Street“. Gibt es daneben noch Werte, auf die man sich zwar nicht mit bestem Gewissen, aber wenigstens in gemeinschaftlicher Ungemütlichkeit verständigen kann? Gut, da wäre die Familie („Philomena“), oder auch die Zweierbeziehung („Her“). Beide Lebensentwürfe aber stehen hier, in zeitgemäß scharfer Fokussierung, eher defekt da, narbenreiches Trostfinale nicht ausgeschlossen.

Nur drei der oscarnominierten Filme bedienen einen amerikanischen Mythos – den des Underdogs, der sich tapfer gegen übermächtig erscheinende Widerstände behauptet. Im Kreise der Konkurrenten wirken sie geradezu altmodisch. Steve McQueens grausames Geschichtsepos „12 Years a Slave“, lange Zeit als Top-Favorit gehandelt, stillt eher einen historischen Nachholbedarf, als dass es kinematografisch nach vorne weist. Und so sehr die Story um den zeitweise in die Versklavung zurückgefallenen freien Schwarzen berührt, so wirkt sie schon heute als vor allem respektabler Beitrag zur amerikanischen Großgemeinschaftskunde, der über sein gewähltes starkes Thema hinaus nirgendwo ins Risiko geht. Alfonso Cuaróns „Gravity“ lässt nicht einen guten Schwarzen gegen böse Weiße antreten, setzt aber, dramaturgisch ähnlich glatt, eine tapfere Astronautin gegen den Rest des Weltalls. Da ist der überwiegend unsentimental inszenierte Überlebenskampf eines Aidskranken, der in „Dallas Buyers Club“ auch dem Wohl anderer Infizierter dient, deutlich spannender und bewegender geraten.

Andererseits überzeugt „Gravity“, der monumentale Solitär unter den Konkurrenten, durch computergenerierte, aber keineswegs künstlich anmutende Schauwerte. So haben alle neun Bewerber um den „besten Film“, von der FünfMillionen-Dollar-Produktion „Dallas Buyers Club“ bis zu den 100-Millionen-Spektakeln „Gravity“ und „The Wolf of Wall Street“ ihre Meriten. Und das erste Happy End schon lange vor der bevorstehenden Oscar-Nacht erreicht: Ihre Produktionskosten haben die meisten von ihnen im nach wie vor vitalen Kino-Einspiel bereits um ein Vielfaches eingefahren. Für den Sieger darf es dann, erfahrungsgemäß, noch ein bisschen mehr sein.

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