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Oskar Schindler

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Oskar Schindler: Der Listenreiche

Vor hundert Jahren wurde Oskar Schindler geboren: Eine Studie will klären, warum jemand zum Helfer wird

Nachdem sie Schränke durchwühlt und Schubladen aufgebrochen hatten, fanden die Einbrecher eine Geheimschatulle. Doch sie enthielt keine Dokumente, die Auskunft gaben, ob Oskar Schindler ein Spion war oder nicht. Sie enthielt Liebesbriefe – Beweise für die Untreue des Gatten, die Schindlers Ehefrau Emilie gesammelt hatte. Die brisanten Unterlagen, auf die der tschechische Geheimdienst hoffte, lagen unter einem Papierstoß auf dem Schreibtisch. Typisch Schindler: In seinem Leichtsinn hatte er vergessen, sie zu verstecken. Dass sie offen herumliegen würden, hatten die Einbrecher freilich nicht vermutet. Sie ließen den Papierstoß links liegen.

Das war 1938, Schindler war 30 Jahre alt. Er lebte im tschechischen Mährisch-Ostrau und verdiente sein Geld damit, für Hitler-Deutschland tschechische Grenzanlagen auszuspionieren. Zu dieser Tätigkeit war er nicht aus politischer Überzeugung gekommen, sondern durch eine Frauenbekanntschaft. Als es lukrativer war, sich an den Raubzügen der Nazis zu beteiligen statt für sie zu spionieren, kaufte er in Krakau jüdischen Eigentümern eine Emailwahrenfabrik zum Spottpreis ab. Der neue „Herr Direktor“ stellte vor allem Juden ein, nicht aus Mitgefühl, sondern weil sie billig waren. Und doch rettete er 1098 Menschen das Leben.

Heute vor hundert Jahren, am 28. April 1908, wurde der Mann geboren, dessen Name in der von moralischen Versagern wimmelnden NS-Geschichte den „Guten Deutschen“ symbolisiert. Doch für Oskar Schindler war damals alles ein großes Spiel – mit wechselnden Gegnern und Verbündeten, mit Deutschen, Tschechen, Nazis, Juden, ein Spiel, so viel stand für ihn fest, bei dem er gewinnen würde. Zu seinem Leben gehörten schnelle Autos, schöne Frauen, Luxusvillen. Und er bekam es alles. Schindler hatte zwar schlechte Schulzeugnisse und keine Ausbildung, aber er konnte täuschen, taktieren und andere dazu bringen, Dinge zu tun, die sie nicht wollten. Seit Steven Spielbergs Holocaust-Film „Schindlers Liste“ kennen alle den Lebemann, der zum Lebensretter wurde.

„Spieler sehen mehr Möglichkeiten als andere“, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer. Er arbeitet am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und hat mit einem Forscherteam ein neues Projekt gestartet: die erste „Helferstudie“. So wie es Untersuchungen darüber gibt, warum Menschen während der Nazizeit zu Tätern wurden, will Welzer herausfinden, wie andere zu Helfern wurden. Dazu analysiert er 4000 Fälle, die in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin dokumentiert sind. Erstes Ergebnis: Zum Helfer wird man nicht geboren. So wenig wie es den typischen Täter gab, gibt es den typischen Helfer.

Verfolgten zu helfen, verstieß in der Nazizeit gegen die Norm. Bedrohte fanden oft im „Milieu“ Unterschlupf, denn Prostituierte und Kleinkriminelle verstießen ohnehin gegen das Gesetz und waren eher bereit, jemanden aufzunehmen. Auch Schindler gab nicht viel auf Konvention. Mit 30 Jahren hatte er zwei uneheliche Kinder und als Spion sein Vaterland verraten. Andere wiederum hätten aus Obrigkeitsdenken heraus geholfen, sagt Welzer. Jene Sekretärin etwa, deren Chef eines Tages sagte: „Hier haben wir eine jüdische Frau, der müssen wir helfen.“ Die Angestellte, überzeugte Hitler-Anhängerin, tat, was man ihr sagte, und versteckte die Frau über viele Jahre.

Steven Spielberg lässt Liam Neeson auf einen Hügel in der Nähe der Emaillefabrik reiten, von wo aus er beobachtet, wie die Nazis das Krakauer Ghetto räumen. Danach ist der Film-Schindler ein anderer. Der echte Schindler hatte nicht die eine Eingebung, die ihn verwandelte. Seine Einstellung änderte sich allmählich. So widerte ihn immer mehr die zunehmende Brutalität der Nazis an, wie er sie etwa bei der Räumung des Kinderheims im Ghetto 1943 erlebt hatte. Auch schürten Freunde aus der Wehrmacht seinen Hass auf die SS, für Schindler „verlogene Heuchler und sadistische Mörder, die meine Heimat, das Sudetenland ausplünderten“. Hinzu kam, dass er sich seinen jüdischen Schulfreunden verpflichtet fühlte, mit denen er „eine herrliche Jugend verlebt“ hatte. So feierte Schindler mit dem berüchtigten Lagerkommandanten des Nachts wüste Orgien und handelte ihm am nächsten Morgen bessere Bedingungen für „seine“ Juden ab.

Dass der zuständige Kommandant ausgerechnet Amon Göth war, sei entscheidend gewesen für das Gelingen des Hilfsprojekts, sagt Welzer. Göth, der gerne zum Frühstück ein paar Juden erschoss, sei unberechenbar gewesen – und damit der ideale Gegenspieler für Schindler. „Mit Höss, dem Kommandanten von Auschwitz, hätte das nicht geklappt.“ Höss sei ein Technokrat gewesen.

Oft habe aber auch der Zufall jemanden zum Helfer gemacht, einfach weil er gefragt wurde und spontan Ja sagte. Mancher habe daraufhin aber eine regelrechte „Helferkarriere“ absolviert. Wie Schindler, der nach und nach sein gesamtes Geld in die Rettungsaktion steckte und Produktionsabläufe simulierte, nur um seine Arbeiter aus der Mordmaschinerie rauszuhalten. Er, dem es 1938 nur um Profit gegangen war, fragte sich 1945, warum er nicht noch mehr Menschen gerettet habe.

„Die Wirklichkeit ist bunt, man darf sich das nicht schematisch vorstellen“, sagt Welzer. In drei Jahren will er konkrete Ergebnisse seiner Studie vorlegen. Dass die Biografien der Helfer bislang noch nicht systematisch erforscht wurden, habe mit der Lebenslüge der Nachkriegszeit zu tun, dass man nichts gegen den Naziterror habe machen können.

Schindler störte nach 1945 diese Lüge, wieder war er Außenseiter. Aber jetzt kam er mit diesem Status nicht mehr zurecht, wirtschaftlich wie gesellschaftlich kam er nicht mehr auf die Beine. 1965 schrieb ihm ein Geschäftspartner, mit seiner Rettungsaktion habe sich Schindler bei ihm „nicht gut eingeschrieben“, weshalb er den Kontakt mit ihm abbrechen werde. Seine fulminante Auferstehung durch Hollywood erlebte Schindler nicht mehr. Er starb 1974.

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