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Kultur: Othello ist tot

Gert Voss beim Berliner „Torgespräch“

Was wir seit Jahren geahnt, uns aber aus Selbsterhaltung nie wirklich eingestanden haben, ist nach diesem Abend nicht mehr zu leugnen: Das Theater ist tot. Zu verdanken haben wir diese Erkenntnis Peter von Becker, Tagesspiegel-Kulturautor, und Gert Voss, dem „wohl bedeutendsten Schauspieler des europäischen Theaters“, wie ihn Monika Grütters in der Einleitung vorstellte.

Ist der Anlass auch traurig, so verläuft das „Torgespräch“ der beiden im Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor doch angenehm gut gelaunt. Man tauscht Erinnerungen aus an die Zeit, als das Theater noch lebte, und zum Beispiel Ulrich Wildgruber die nackte Eva Mattes in der legendären Zadek-Inszenierung von „Othello“ über eine Brecht-Gardine hängte – und tröstet sich an der Vorstellung, dass es ja immerhin noch das Kino gibt. Das sei, so Voss, sowieso „viel spannender als Theater“.

Othello – der andere – gibt an diesem Abend nicht nur den Lotsen durch den undurchdringlichen Anekdotendschungel der Theatergeschichte (wie Gert Voss einmal zu Claus Peymann sagte, seine künstlerische Arbeit sei Kindergarten), sondern fungiert auch als Figur, an der der Moderator beweisen möchte, woran das Theater gestorben sei: Heute würde man auf der Bühne nicht das Fremde suchen, sondern das immer schon Bekannte zeigen. Als abschreckendes Beispiel dient ihm eine Inszenierung von Stefan Pucher, in der Othello zwei Stunden lang eine Felswand aus Pappmaché rauf- und wieder herunterklettert – als sei er aus einem Werbespot für Kletterschuhe gefallen.

Im Gegensatz dazu zeigt ein Video aus George Taboris Wiener Inszenierung aus dem Jahr 1990, wie man es schafft, das Ungeheuerliche nicht zu „verzwergen“. Gert Voss war Othello, der mit großen Augen und seltsam tiefer Stimme die Verletzlichkeit, das Ferne der Figur heraufbeschwört. Er bewegt sich kaum, doch die wenigen Bewegungen haben etwas Tänzerisches, poetisch Wildes: „Ich bin jeden Tag in den Wald und habe gebrüllt. Dadurch wurde meine Stimme tiefer.“

Auf der Bühne gehe er nie von sich aus, um nicht „kleben zu bleiben wie die Fliege am Honig“. Dementsprechend spricht Gert Voss, der für die Wiener Festwochen „König Lear“ mit Luc Bondy vorbereitet, weniger gern über sich als über die Kunst und Größe anderer: über Thomas Bernhard, dessen Figuren unerschöpflich seien. Über Wildgruber, der „auf verrückte Weise immer er selbst war“. Und über Marlon Brando und dessen minimalistische Kunst, in „Der Pate“ den Kopf zu drehen: „Einfach zum Niederknien.“

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