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Otmar Suitner mit seinem Sohn Igor Heitzmann, Regisseur eines Dokumentarfilms über seinen Vater.

© Mike Wolff

Otmar Suitner zum 100. Geburtstag: Im Westen diskreditiert, im Osten musikalische Leitfigur

Daniel Barenboims Vorgänger: Eine Erinnerung an den einstigen Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper

Mit Richard Strauss gab es noch persönliche Begegnungen. Dankbar erinnerte sich Otmar Suitner immer wieder an die Münchner "Capriccio"-Uraufführung 1942 oder daran, wie der Komponist in der "Arabella"-Generalprobe im selben Jahr in Salzburg insistierte, das vierte Horn sei zu laut.

Am Pult stand hier wie da Suitners Lehrer Clemens Krauss, der mit sparsamen Zeichen dirigierte und lehrte, wie sich mit kleinen Bewegungen große Wirkungen erzielen lassen. In den Schoß fiel der Erfolg Suitner gleichwohl nicht.

Zu Beginn sah es eher nach einer Karriere als Pianist aus

Nach Kriegsende sah es vielmehr so aus, als würde er die Laufbahn als Pianist einschlagen, als es am Innsbrucker Landestheater, an dem er sich seine ersten Sporen verdiente, nur noch Aufgaben als Korrepetitor und Liedbegleiter für ihn gab. Doch da erwies sich Krauss als ein guter Ratgeber, der an die allzu große Konkurrenz gemahnte und seinem Schützling empfahl, sich nach Deutschland als Musikdirektor zu orientieren.

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Nach ersten Engagements in Remscheid und Ludwigshafen gelang 1960 der Karrieresprung an die in langer Wagner- und Strauss-Tradition stehende Sächsische Staatskapelle Dresden, mit der sich eine Umsiedlung in die DDR verband.
Mit transparenten, unpathetischen Klangbildern profilierte sich Suitner bald zu einem gefragten Strauss- und Mozartdirigenten, der etwa auch eine Jubiläumsaufführung des "Rosenkavaliers" 50 Jahre nach der Dresdner Uraufführung am Pult der sächsischen "Wunderharfe" leitete. 1964 wechselte er an die Berliner Staatskapelle, der er über ein Vierteljahrhundert verbunden blieb.

Suitner begründete den Ruf der Staatskapelle Dresden als Schallplattenorchester

So wie Suitner im Stereo-Zeitalter mit Operngesamtaufnahmen, die auf internationalen Bestseller-Listen rangierten, den Ruf der Staatskapelle Dresden als Schallplattenorchester begründete, hätte sein 100.Geburtstag am 16. Mai für eine umfangreiche Edition seines diskografischen Vermächtnisses einen schönen Anlass geboten. Aber dazu fühlte sich offenbar kein Label berufen. Der Nachruhm des Dirigenten, dessen Nachfolger Daniel Barenboim auf eine noch längere, erfolgreich Ära zurückblicken kann, ist womöglich schon verblasst.
Zudem erschien eine Karriere im DDR-Regime schon zu Suitners Lebzeiten undankbar, wie sich in Dirk Stöves Biografie "Meine herrliche Kapelle" nachlesen lässt. Im Osten musste sich der gebürtige Tiroler mit zähen vertraglichen Verhandlungen und kulturpolitischen Zwängen herumschlagen, der Westen diskreditierte den Dirigenten, der als Österreicher alle Freiheiten genoss, mit falschen Unterstellungen als einen vermeintlichen Privilegierten, der mit einem diktatorischen Regime paktierte.

In der DDR musste er sich mit kulturpolitischen Zwängen herumschlagen

Dabei verweigerte sich Suitner erfolgreich der politischen Vereinnahmung: Die Gelder für den Nationalpreis, den ihm die DDR zweimal verlieh, ließ er der katholischen Kirche zukommen. An der Berliner Staatsoper setzte er die ersten szenischen Aufführungen von Richard Wagners "Parsifal" und Pfitzners "Palestrina" durch sowie Werke von Alban Berg und Arnold Schönberg, die in der DDR als "bürgerlich dekadent" galten, und viel beachtete Uraufführungen von Paul Dessaus Musikdramen "Puntila", "Einstein" und "Leonce und Lena". Die letzte große Aufmerksamkeit bescherte Otmar Suitner 2007 der sehr persönliche Film "Nach der Musik". Sein Sohn Igor Heitzmann gibt darin sehr intime Einblicke in das Familienleben des Künstlers mit zwei Frauen im geteilten Berlin.

Den Alltag verbrachte er im Osten, die Wochenenden im Westen

Mit seiner Ehefrau Marita und in der Staatsoper verbrachte der Dirigent bis zum Mauerfall seinen Alltag im Osten der Stadt, am Wochenende besuchte er seine Freundin Renate Heitzmann und den Sohn. Die späte Liebe hatte ihren Anfang in Bayreuth genommen, wo sie im Festspielbüro arbeitete und er 1964 mit dem "Tannhäuser" debütierte. In einem Interview, das Vater und Sohn anlässlich der Kinopremiere gaben, waren noch andere interessante Details zu erfahren: Dass Suitner das Filmemachen als eine noch brotlosere Kunst erachtete als die Musik. Fast zeigte er sich enttäuscht, dass der Sohn, der doch so gut Klavier spielt, nicht den Beruf des Pianisten ergreifen wollte, den er selbst einst hinter dem des Dirigenten zurückstellte. Und der Sohn ließ keinen Zweifel daran, dass sein Talent aus seiner Sicht für den Beruf des Berufmusikers nicht ausgereicht hätte.

Den Mauerfall sah er in Tokio im Fernsehen

Der Film steht auch im Zentrum einer musikalisch umrahmten Hommage am 23. Mai (19 Uhr im Apollosaal), mit der die Berliner Staatsoper an den einstigen Generalmusikdirektor anlässlich des 100. Geburtstags am 16. Mai erinnert. Suitners Abschied von der Berliner Staatskapelle fiel mit dem Fall der Mauer, den er in Tokio am Fernseher verfolgte, zusammen, dies allerdings weniger aus politischen Gründen als im Zuge seiner Parkinson-Erkrankung.
Über seinen Nachfolger Barenboim sprach Suitner in höchsten Tönen als einem "großartigen Talent mit einer starken Persönlichkeit".
Ein letztes Mal kehrte Otmar Suitner 2007 für den Film ans Pult der Berliner Staatskapelle zurück, mit der "Libelle" von Johann Strauß, damit ihn sein Sohn einmal beim Dirigieren erleben können sollte. Es sollte das letzte Mal sein. Am 8. Januar 2010 starb er im Alter von 88 Jahren in Berlin.

Kirsten Liese

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