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Skulpturen von Stefan Rinck und Andreas Blank vor Lithographien von Otto Piene.

© Schlachthaus.fresh&fine

Otto Piene in der Galerie Schlachthaus.fresh&fine: Wenn Monster auf Gottheiten treffen

Hommage zum 90. Geburtstag: Das letzte Werk von Otto Piene bringt die Galerie Schlachthaus.fresh&fine mit Lyrik und Skulptur zusammen.

Als der Zero-Gründer und Lichtkünstler Otto Piene 2014 einen Tag nach seiner Ausstellungseröffnung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin verstarb, war das für viele ein Schock. Wenige Wochen zuvor hatte der 86-Jährige noch ein vor Energie und Lebenskraft sprühendes Werk vollendet, eine Mappe mit elf Lithografien, kombiniert mit Gedichten des französisch-spanischen Lyrikers und Dramatikers Fernando Arrabal, die derzeit in der Charlottenburger Galerie Schlachthaus.fresh&fine zu sehen ist.

Der Dichter mit dem bizarren, surrealen Humor und der Pionier des Lichts hatten sich kurz vorher in Paris kennen- und schätzen gelernt. Offenbar hatten sie sich auch aneinander entzündet. So war Pienes letzte Arbeit ein Gemeinschaftswerk, wie so viele seiner Sky-Art-Events und Himmelsskulpturen zuvor. Arrabal schrieb zehn Gedichte unter dem Titel „Die Nächte des Heliogabalus“, die Piene spontan interpretierte und direkt auf die Platte zeichnete. Piene fand einfache Formen voller Kraft und Symbolik, die das Innerste berühren und gleichzeitig alle wichtigen Elemente seines künstlerischen Schaffens umfassen. Zu sehen sind ein Regenbogen, eine schwebende Gestalt auf dem Wasser, funkelnde Feuerblumen in Schwarz und Orange. Der Zyklus wirkt wie eine farbtrunkene Hommage an das Mysterium des Lebens, mit all seinen Ambivalenzen, paradiesischen Zuständen und Abgründen. „Die Spiegel säubern“ heißt eines der Gedichte oder „Gute Nacht, Zukunft“, sie sind Arrabals Versuch, Pienes grenzenlose, himmelsstürmende Kunst in Worte zu fassen. Und auch Piene, der seine Kunst stets als Friedenszeichen sah, begibt sich in dieser Kooperation auf neues Terrain, mischt das Heitere mit dem Dunklen. Eines der Blätter, für Piene eher untypisch, zeigt einen hohläugigen Totenkopf auf rotem Grund. Man kommt nicht umhin, das im Nachhinein als Vorahnung seines baldigen Abschieds zu deuten.

Das Leichte und das Schwere kreuzen sich in dieser Schau

Die elf Blätter samt den Gedichten Arrabals werden von Skulpturen der Berliner Bildhauer Stefan Rinck und Andreas Blank flankiert, die eine direkte Reaktion auf Pienes Zeichnungen und Arrabals Verse darstellen. Dieses gelungene Nebeneinander gibt der Schau erst recht eine surreale Note und führt hinein in das überzeitliche Reich des Heliogabalus. Heliogabalus war ein römischer Kaiser, ein „Anarchist auf dem Thron“, ein Herrscher, der das Herrschen nicht mochte und doch so schrecklich wütete, dass er im vierten Jahr seiner Regentschaft umgebracht wurde. Stefan Rinck hat als Interpretation dieses gefallenen Helden einen Griffin aus gelbrotem Sandstein geformt, einen Vogelkörper mit Löwenlocken, der sich mit einem Skorpionstachel am Schwanz selbst vergiftet. Von Andreas Blank ist unter anderem ein Koffer zu sehen, auf dem ein ordentlich zusammengefaltetes Kinderhemd liegt, erst spät sieht man, dass Koffer und Hemd aus hartem Marmor und Basaltstein geformt sind, ein Symbol für den genormten Menschen. „Bin ich versteinert angesichts des Ungeheuers“, lautet die Gedichtzeile, die Blank inspirierte.

Das Leichte und das Schwere kreuzen sich in dieser Schau, grimmige Monster und mythologische Gottheiten treffen aufeinander, das Erdige und die Spiritualität. Die in Berlin bestens vernetzte Ausstellungsmacherin Constanze Kleiner und der Autor und Kurator Stephan von Wiese sehen ihre neue Galerie mit dem abstrusen Namen Schlachthaus. fresh&fine als experimentellen Raum, um Künstler zusammenzubringen, sie quasi ineinanderfallen lassen als Motor für Neues. Das ist in dieser Schau schon mal gut gelungen.

Schlachthaus.fresh&fine, Budapester Str. 10B; bis 30. 6., Di–Fr 14–19

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