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Feldspieler. Bille Behr, Stefan Behr und Martin Thoms (v. l.) von Theater Anu.

© Thilo Rückeis

"Ovids Traum" in Berlin: Theater Anu auf dem Tempelhofer Feld

Bäume statt Bühne: Seit 15 Jahren spielt Theater Anu auf Plätzen und in Wäldern. Selbstverständlich darf auch das Tempelhofer Feld nicht fehlen, wo sie im August erstmalig spielen werden. Damit führen sie eine alte Tradition fort. Ein Freilufttreffen.

Diese drei wissen, was sie können und was nicht. Oder besser, was ihre Kunst kann und will. Mitten aufs Rollfeld, in diese undefinierte Leere, unter diesen allzu hohen Himmel trauen sie sich nicht. Fürs Foto schon, kein Problem, aber nicht zum Spielen. Da würden wir ja verschwinden, sagt Bille Behr, die Regisseurin. Und Martin Thoms, als Szenograf quasi Technikdirektor und Raumausstatter von Theater Anu, setzt hinzu: „Um einen Ort zu verstehen, ihn wortwörtlich zu begreifen, muss man mit einer Ecke anfangen.“ Das gelte gerade für so ein riesiges Areal wie das Tempelhofer Feld, wo die Berliner Truppe jetzt zum ersten Mal spielt. Und so ganz mickrig fällt die Ecke, die Grün Berlin ihnen zugewiesen hat, dann doch nicht aus: 300 mal 200 Meter, schätzt Thoms und holt weit mit den Armen aus. Sie liegt unweit des Eingangs Columbiadamm, nebenan ist die Freiluftgaststätte Luftgarten. Rollfeld und Flughafen sind zu sehen. Schon deswegen sei das hier eine ganz andere Atmosphäre als im Barockgarten des Schlosses Bruchsal, wo sie im August spielen, sagt Stefan Behr, der künstlerische Leiter. Das Zwitschern der Vögel und die Sommerbrise an diesem Vormittag mal ausgenommen.

Inszenierung von „Ovids Traum – Im Garten der Wandlungen“ auf dem Tempelhofer Feld

Behr ist Theaterpädagoge und Regisseur und hat das damals noch in Heppenheim ansässige freie Theater vor 15 Jahren mitgegründet. Die Schauspielerin und Literaturwissenschaftlerin Bille Behr, seine Ehefrau, kam 2004 dazu. Und Martin Thoms, der den Studiengang Figurenspiel an der Schauspielschule Ernst Busch absolviert hat, ist seit 2007 dabei. Sie leiten die noch aus einigen Mitarbeitern und rund 25 jeweils für die Produktionen angeheuerten Schauspielern, Musikern und Tänzern bestehende Truppe.

In der auf dem Tempelhofer Feld gezeigten Inszenierung „Ovids Traum – Im Garten der Wandlungen“, die mehr einer Tanztheatercollage als einem Dreiakter ähnelt, sind sechs Tänzerinnen und ein Tänzer zu sehen. Sie bespielen mit ihren sieben bis 14 Minuten langen Geschichten sieben Stationen auf dem Spielfeld. Und zwar zweieinhalb Stunden lang in einem endlosen Loop. „Mosaikdramaturgie“, nennt Bille Behr das.

Und weil die Natur- und Menschwerdungsmythen, die die Theatermacher sich vom antiken römischen Dichter ausleihen, mit Lampen, Fackeln und 300 mit Kerzen bestückten Schuhen beleuchtet gleich viel besser aussehen, verlegen sie ihre selbst erschaffene Welt in die Dunkelheit. Die ist der Stille zwar verwandt, aber trotzdem nicht stumm: In den Bäumen hängen miteinander versponnene Kokons aus Kokosseilen und Stoff. Darin stecken Boxen, aus denen Wort-, Klang- und Musikcollagen raunen.

Theater draußen gibt es seit der Antike

Trotz üppig ausgestatteter Produktionen wie etwa einer Jahrmarktswelt namens „Moraland“, mit der sie durch Deutschland touren, ist die Stille, ist die Reduzierung der Effekte bei Theater Anu Programm. Sie wollen der Grobheit der Welt mit feinsinnigen künstlerischen Mitteln etwas entgegensetzen, sagen sie. Überwältigungsstrategien, auf die Freiluftspektakel wie 2009 „Riesen in Berlin“ der Gruppe Royal de Luxe setzen, sind nicht so ihres. Die im selben Jahr zum 20. Jahrestag des Mauerfalls auf Dächern zwischen Wilhelmstraße und Potsdamer Platz gezeigte Produktion „Engelland“ von Theater Anu fiel ungleich verhaltener aus. Ihre Zuschauer nennen sie Besucher, ihre Akteure Spieler, das Genre „Poetisches Theater im öffentlichen Raum“ oder lieber noch „Theater der Begegnung“.

Stefan Behr, der vor ein paar Jahren den Bundesverband Theater im öffentlichen Raum mitgegründet hat, kann zur Wirkungs- und Aufführungsgeschichte in langen klugen Vorträgen dozieren. Theater draußen ist ja keine neue Idee, das gibt es seit der Antike. Das findet sich bei Max Reinhardt, der den „Sommernachtstraum“ im Wald inszenierte und 1920 den „Jedermann“ in Salzburg auf den Domplatz verlegte. Das wurde in den Sechzigern und Siebzigern für Agitprop-Zwecke genutzt, in den Achtzigern dann von La Fura del Baus oder Teatro Nucleo weiterentwickelt und von unzähligen freien Gruppen in Deutschland entdeckt. Da liegt aber auch die Ursache des Imageproblems. Das Großartige an dieser häufig bei freiem Eintritt dargebotenen Theaterform sei, dass jeder und oftmals gerade keine geübten Theatergänger kämen, um es zu sehen, sagt Stefan Behr.

„Aber weil auf der Straße jeder alles machen kann, ist auch viel Schrott dabei.“ Deswegen wollen sicher auch so viele aus Furcht vor dilettantischen Gauklern Reißaus nehmen, wenn sie das Wort Straßentheater hören? Der Mann, der selbst eins der 30 deutschen Straßentheaterfestivals leitet, lacht. „Klar, die erwarten keulenschwingende Faxenmacher“. Zirzensische Darbietungen dieser Art – gegen die ja, wo’s hinpasst, nichts zu sagen ist – bietet Theater Anu auf dem Tempelhofer Feld nicht. Außerdem wird bei den Profis Eintritt erhoben. „Wir sind keine Hutleute, sondern bezahlen unsere Spieler besser als manche andere freie Gruppe“, sagt Bille Behr.

Sowohl für sie als auch für ihren Mann und Martin Thoms, der die in der DDR so nicht existente Szene nach der Wende für sich entdeckte, kommt zukünftig nur noch diese Theaterform infrage. Weil es immer neue Orte zu erobern gilt. Weil die Distanz zwischen Schauspielern und Publikum schwindet. Weil es keine Bühne gibt. „Den tradierten, schwarzen Raum mag ich nicht“, sagt Stefan Behr, „das ist ein Unort.“ Er bevorzuge gewachsene natürliche oder urbane Strukturen als Aufführungsfläche. So wie Tempelhof, diese zu Projektionen aller Art einladende Spielwiese.

Tempelhofer Feld, Haupteingang Columbiadamm, bis 28. Juli, 22 Uhr

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