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Kultur: Paare, Trabanten

Der transatlantische Dialog läuft nach dem Irak-Krieg wieder auf Hochtouren. Amerikaner und Europäer debattieren in Berlin über den Brückenbau und bewegen sich wieder aufeinander zu. Ihr gemeinsames Projekt: die Demokratisierung der arabisch-islamischen Welt

Irgendwann fiel jemandem das passende Bild ein. „Es ist, wie wenn man morgens aufwacht, den Partner erblickt und schockiert feststellt: Das ist nicht mehr die Person, die ich geheiratet habe.“ Im Zwischenmenschlichen endet derlei häufig mit Scheidung – eine Vokabel, die der amerikanische Publizist Ralph Peters auch für das transatlantische Verhältnis benutzt. Im strategisch-intellektuellen Milieu findet allerdings eher das Gegenteil statt: Der Dialog läuft auf Hochtouren. Transatlantische Reparaturteams geben sich in diesen Tagen in Berlin die Klinke in die Hand. Gerade hat der German Marshall Fund mit dem Bundestag debattiert, wie nach dem Irak-Krieg die Kluft zwischen Deutschland und den USA überbrückt werden kann. Zuvor hatte das American Institute for Contemporary German Studies in Berlin sein 20-jähriges Bestehen gefeiert. Das American Jewish Committee lädt zur Diskussion anti-amerikanischer Stereotypen in den deutschen Medien; Ron Asmus, Bill Clintons Staatssekretär für die Nato-Osterweiterung, trifft sich mit deutschen Parteichefs und Politikberatern, und kommende Woche reist Richard Perle, der Zuchtmeister der Falken in der Bush-Regierung, nach Berlin. Schließlich wird auch noch die Atlantik-Brücke ihre Konferenz abhalten, die ausloten möchte, was alle beschäftigt: Finden wir wieder zusammen? Warum – und wozu?

Der Demokrat Asmus hat die präziseste Handreichung. Anders als Robert Kagan, der Autor von „Macht und Ohnmacht. Amerika gegen Europa in der neuen Weltordnung“ und Verfechter der These, dass Europäer und Amerikaner auf verschiedenen Planeten leben, sieht Asmus lediglich eine „Aufgaben-Lücke“. Historisch gesehen habe es zweimal mit dem gemeinsamen Projekt geklappt, erst im Kalten Krieg, dann mit der Vereinigung Europas und der Stabilisierung der neuen Demokratien im Osten des Kontinent. Beide Male habe Westeuropa im Schulterschluss mit den USA das nahezu Unmögliche erreicht.

Als drittes Projekt und Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte nennt Asmus die Demokratisierung der arabisch-islamischen Welt. Gemeinsam, mit allen Mitteln: Entwicklungshilfe und Beratung, Kulturaustausch und Druck, Diplomatie und Militär. Fünf Punkte hat Asmus auf seiner Liste. Der Aufbau eines demokratischen Irak müsse gelingen, der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern gelöst, Iran angegangen, die schwierigen Freunde Ägypten und Saudi-Arabien reformiert und schließlich eine regionale Sicherheitsarchitektur entworfen werden, die neuen Demokratien eine langfristige Stabilität garantiere. Asmus räumt gerne ein, dass man derlei als idealistische Träumerei abtun kann.

Für Amerika ist Europa ein gelöstes Problem: Der Kontinent, der im 20. Jahrhundert Kriege exportierte, ist befriedet. Europa selbst steckt freilich noch mittendrin in der Detailarbeit. Bleibt der Alten Welt da genügend Kraft, um neben dem Vollzug der EU-Erweiterung auch noch ganze Weltregionen zu befrieden? Kann sie das – und will sie?

Die Alternative zum gemeinsamen Projekt lautet wohl europäische Irrelevanz; oder es droht der nächste Groß-Krach. Zum Beispiel über den Iran. Robert Kimmitt, vor 10 Jahren US-Botschafter in Deutschland und heute Spitzenmanager bei Time-Warner, sieht die „ernste Möglichkeit einer Kollision“. Bei Saddam Hussein waren sich Bush und Schröder zumindest in einem einig: Der Mann ist ein Schuft, ein globaler Paria. Beim Iran aber liegen Welten zwischen der amerikanischen und der europäischen Wahrnehmung. Während für Washington Teheran gleichbedeutend ist mit der unheiligen Allianz aus Massenvernichtungswaffen, Menschenrechtsverletzungen, aktiver Proliferation und ebenso aktiver Hilfe für Terroristen, sieht Europa in Iran das potenziell modernste Land der Region, in dem Wahlen stattfinden und die Reformer gute Chancen haben, den radikalen Mullahs Stück für Stück ihre Macht zu entreißen.

Einen transatlantischen Dialog über den Iran halten die Europa wohlgesonnenen Amerikaner deshalb für dringend nötig. Doch Europa fürchtet eine weitere Demonstration der Hybris eines George W. Bush, noch ehe in Afghanistan oder Irak wirklich Frieden herrscht. Woher rührt Amerikas Aktionismus?

Volker Rühe, Ex-Verteidigungsminister, und Karl Kaiser, Chef der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sind sich einig: Amerika ist nicht nur die unkontrollierte Supermacht auf dem Zenit ihrer geschichtlichen Entwicklung. Amerika wird ebenso durch seine am 11. September offenbar gewordene Verwundbarkeit und seine Abhängigkeiten und Verflechtungen definiert. Daraus folgt sein Wunsch, den Nahen Osten neu zu ordnen – nicht aus der Machtfülle. Letztere ermöglicht es den Amerikanern zwar, solche Ordnungspolitik zu betreiben. Der Antrieb dafür aber heißt Angst.

Es gibt in Westeuropa die Tendenz, diesem so unerwartet anti-isolationistischen Amerika ein Korrektiv an die Seite zu stellen. Eben Europa – genauer: Kerneuropa, die EU-Gründer, die Irak-Kriegs-Kritiker. Robert Kagan hat für Versuche, einen eigenständigen Kanon europäischer Werte zu definieren, nur Spott übrig. „Sowas kann nur in Europa passieren: Dass ernst genommen wird, was Habermas oder Derrida schreiben“, meint Kagan. Und wenn Gerhard Schröder auffallend häufig betont, dass Europas Ideal der sozialen Teilhabe doch Amerikas Hang zu Konfrontation und Unilateralismus ausbalanciere, dann glaubt Kagan, der Kanzler wolle mitten in der Reformdebatte nur ablenken: davon nämlich, dass Deutschland täglich amerikanischer werde. Unruhiger, unsicherer, offener, schnelllebiger.

Rühe meint, dass die atlantische Trennung tiefer gehe als der amerikanische „Ärger über die eine oder andere europäische Regierung“. Hier trifft er sich mit Kagan, der Europa vor der Personalisierung des Streits mit Washington warnt. Kaum etwas hänge von der Person Bush ab. Amerika befinde sich auf einem „ziemlich geraden Kurs“, an dem eine Abwahl Bushs 2004 nichts ändern würde. Dem pflichtet Asmus bei. Die vier führenden demokratischen Präsidentschaftsbewerber haben alle sein Projekt des großangelegten Nahost-Umbaus unterschrieben.

Warum gab es eigentlich nie eine transatlantische Konferenz über die Lehren, die aus dem Balkan-Engagement für den Wiederaufbau des Irak zu ziehen sind? Warum gelingt es den Thinktanks in Washington nicht, mit Europäern zusammenzuarbeiten, die Transformations-Lehren aus Osteuropa auf die islamische Welt übertragen? Warum klagen umgekehrt etliche deutsche Institutionen, sie bekämen kaum mehr amerikanische Gäste für den Dialog über den Atlantik hinweg? Vergangene Woche fanden sie immerhin statt, die deutsch-amerikanischen Gespräche. Doch sie erschöpften sich in der Debatte über das Fehlen eines wahren Dialogs. Und über die Notwendigkeit, ihn endlich zu führen.

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