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Kultur: Pack schlägt sich

Romeo und Julia im Krieg: „Das Leben ist ein Wunder“ von Emir Kusturica

Ein Esel steht auf den Gleisen. Wartet geduldig auf den Zug, lässt sich nicht vertreiben. Das Tier ist liebeskrank. Schwer suizidgefährdet! Dumm nur, dass so schnell kein Zug kommt, schließlich ist die Strecke zwischen Bosnien und Serbien erst im Bau: die Völkerverbindung ein Projekt, eine Vision.

Ganz schön gemein. Was dem Eisenbahningenieur Luka (Slavko Stimac), den es aus der serbischen Heimat in ein Bergdorf verschlagen hat, der Traum vom jugoslawischen Frieden, bedeutete für den Esel die Erfüllung der Todessehnsucht. So ist das bei Emir Kusturica, da ist er stur, geradezu eselsstörrisch: Mitten im Leben sind seine Bilder vom Tod umfangen, der Mensch ist des Menschen Bestie, das Tier aber hat eine romantische Seele. Und so ist es auch in „Das Leben ist ein Wunder“: noch ein Kriegsmelodram des Regie-Berserkers aus dem Balkan, noch ein anarcho-fantastisches, ekstatisches Stück Kino voller gefährlicher Bären, Kissen zerreißender Hunde, terroristischer Gänse, marodierender Kriegsgewinnler, balgender und ballender Männer. Ja, es ist ein Wunder: Von Chaos umgeben, schlüpft ein flaumweiches Küken aus dem Ei, und die Taube fällt – traumatisiert? schlafend? – mir nichts, dir nichts vom Dach.

Das Kino des Emir Kusturica ist Klang und Krach, Gefühl und Härte, Tempo und Traum. Einmal mehr vagabundieren Blaskapellen durch die Lande, Lukas hysterisch-verwirrte Gattin Jadranka schmettert vor der Haustür Koloraturen, Frauen sind überhaupt entweder reif für die Klinik oder sexy Weiber, die mit einem kräftigen Schlag aufs Hinterteil gewürdigt werden. Alles rennt und rast, das Fußballspiel im Nebel endet in wüster Rauferei, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Es war einmal in Jugoslawien. Kleine Intrigen erhalten die Dorfgemeinschaft, während der lustige Postbote auf der Draisine spazieren fährt, Autos auf Zugrädern durch die Gegend kutschieren und die Mafia sich ihre Koks-Lines auf die Schienen legt. Mit dem Krieg kommen die Züge. Die Grenze verläuft quer durch den Tunnel, Lukas Sohn muss an die Front und wird von bosnischen Rebellen einkassiert, die Tiere schrecken auf, mit ihnen auch der Tagträumer Luka.

Eigentlich kann man sich an Kusturicas Panoptikum nicht satt sehen: an der wütenden Zärtlichkeit, die er für seine irren Typen hegt, an den aberwitzigen Fahrzeugen, Fehden und Festen, all den Kollisionen zwischen Mensch und Kreatur. Aber ob Bärenhetzjagd oder Torwart-Schikane oder Bürgermeister-Kleinkrieg: Das ganze Tohuwabohu gerät ihm diesmal zur Nummernrevue. Kusturica beschwört die eigene Kraftmeierei, weil seine Fantasie schwächelt: Szenen reißen ab, erschöpfen sich im Selbstzitat oder in der simplen Allegorie. Sein Jugoslawien-Albtraum „Underground“ war abgründiger, „Time of the Gypsies“ wundersamer, „Schwarze Katze, weißer Kater“ verrückter.

Selbst die Liebe ist keine Poesie, sondern herbstlaubbunter Naturkitsch. Romeo und Julia auf dem Balkan: Luka, der serbische Gutmensch, verfällt seiner muslimischen Geisel, der blonden Krankenschwester Sabaha (Natasa Solak), und das Bett mit den beiden fliegt in den Himmel hinein. Das Ende: Die Kriegsgefangenenen, der Sohn und die Geliebte, werden vor laufenden TV-Kameras ausgetauscht. Luka weint – und rülpst ins Mikro.

Am Anfang war der alte Tischler mit Holzsarg über den Hügel gekommen und hatte geschrien: „Ich kann das nicht mehr.“ Eine Fellini-Szene. In „Amarcord“ sitzt ein Alter auf dem Baum und schreit: „Ich will eine Frau.“ Ich kann das nicht mehr: Kusturica war mal fellinesker. Nach den Dreharbeiten hat der Regisseur sich vor Ort in Westserbien übrigens sein eigenes Dorf gebaut. Der „New York Times“ sagte er: „Ich habe die Demokratie satt. In einer Demokratie wählen die Leute den Bürgermeister. Ich will einen Ort, wo ich die Bürger wähle.“ Kusturicas politische Streitlust ist oft auch nur Pose.

In Berlin im Filmkunst 66, FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kino in der Kulturbrauerei, Passage

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