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Kultur: "Palast der Projekte": Schneckenhaus Utopie

Reisen und Kreativität scheinen bei dem 1933 im ukrainischen Dnjepropetrovsk geborenen Ilya Jossifovitsch Kabakov gleich uferlos. Seit er 1987 die Sowjetunion erstmals verlassen durfte, verging kein Jahr, in dem er nicht in Japan, den USA oder Europa ausstellte.

Reisen und Kreativität scheinen bei dem 1933 im ukrainischen Dnjepropetrovsk geborenen Ilya Jossifovitsch Kabakov gleich uferlos. Seit er 1987 die Sowjetunion erstmals verlassen durfte, verging kein Jahr, in dem er nicht in Japan, den USA oder Europa ausstellte. Allein 16 Kabakov-Installationen stehen zwischen Kiel und Singen. Sein Haus und Atelier, anderthalb Autostunden von New York, wird Kabakov demnächst wohl besonders häufig in Richtung Ruhrgebiet verlassen. In Essen wird gerade die stillgelegte Kokerei Zollverein zu einem zentralen Kabakov-Ort. Wo zu Montanhochzeiten 1000 Kokereiarbeiter 5000 Tonnen Koks pro Tag produzierten, entsteht das Dauerdomizil für seine bislang umfangreichste Installation "Palace of Projects", die vor dem Ankauf durch Nordrhein-Westfalen in London, New York und Madrid gezeigt wurde. Seit gestern ist sie der Öffentlichkeit zugänglich.

Der "Palast der Projekte" ist aber nicht nur eine weitere Kunst-statt-Kohle-Attraktion im Strukturwandelgebiet, sondern ein Auftakt: Ebenfalls auf der Zeche Zollverein wird Kabakov ein Archiv für sein zeichnerisches und druckgrafisches Werk einrichten, als "Denkmal der verlorenen Zivilisation" tituliert - als einen Kunstspeicher, der auf die "gesamtkunstwerkische" Inszenierung, weniger auf ein historisiertes Lebenswerk setzt. Schließlich gilt Kabakov auch die Archivierung von Ideen als künstlerische Aufgabe. So bleibt er auf der Linie seiner bisherigen Schaffenskarriere. Zunächst avancierte der studierte Grafiker vom Illustrator zum Kopf des Moskauer Konzeptualismus. Sein Dachatelier war ein Zentrum der inoffiziellen Sowjet-Kunstszene. Werkfokus schon damals: die Stellungnahme zur gesellschaftlichen Utopie. In seinen Arbeiten verbanden sich Kunst und Literatur. Kabakov ironisierte das totalitäre System, indem er Gegenstände und Texte aus der Alltagssprache verknüpfte, was er nach seiner Ausreise überwiegend in Form von Installationen fortführte.

Sichtbar wurden stets die zugigen Hinterhöfe der Utopie. Ein dreigleidriges Archiv-Ensemble soll diesen Ansatz nun nach Epochen gliedern - Kindheit und Familie in der Sowjetunion (40er bis 60er Jahre), Kunsterziehung und Kunstleben in Moskau (50er Jahre bis 1987) sowie Arbeit im Westen (Modelle, Skizzen und Zeichnungen der Installationen). Der Bezug auf die Sowjetunion wird den Schwerpunkt ausmachen, nüchtern, ironisierend und um Allgemeingültigkeit bemüht. Das als Standort vorgesehene Magazingebäude auf der "weißen Seite" der Kokerei scheint dafür ideal. Das Archiv des stets in Energieverläufen denkenden Künstlers entsteht dort, wo die auf der "schwarzen Seite" anfallenden Nebenprodukte weiterverarbeitet wurden. Blicke aufs Energetische prägen auch den "Palace of Projects" im benachbarten Salzlager: eine Stahlbetonhalle aus den 50er Jahren mit Satteldach, hölzernem Dachstuhl und sich nach oben verjüngenden Stützpfeilern an den Längsseiten, deren Betonfassaden gerade asymmetrisch ausgebaut werden, damit der Palace im Salzlager frei steht.

Die spiralig begehbare, mit hellem Tuch bespannte Holzarchitektur versammelt 65 Einzelkunstwerke zu einer Galerie aus Texten und Bildern, die das Jahrhundert der (gesellschaftlichen, technischen, psycholgischen) Großutopien auf deren Gemeinsamkeit - das Scheitern - bezieht. Eindrücke, an denen man sich schneckenhausförmig nach oben bewegt, bis eine Wendeltreppe inmitten dieser Zusammenballung von Symbolik zur Fallhöhe wird. Das Ganze ist konzipiert im "Gesamtkunstwerk"-Geist des 19. und pointiert als Kommentar-Parcours für das 21. Jahrhundert zeitlos-gegenwärtig. Labyrinthisch, absurd, erheiternd ernst. Zugleich wirkt es sakral, was wiederum ins Kathedralische des Kokerei-Ensembles passt. Dass Kabakov die Anlage für Weiteres nutzen will - etwa eine "vertikale Oper" -, läßt noch einiges für Essen erwarten.

Udo Feist

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