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Kultur: Palmingers Püree

Das Maxim Gorki Theater Berlin spielt Gorki

Wer ist Jacques Palminger? Das Internet sagt, dass Palminger eigentlich den prosaischen Namen Heiner Ebber trägt und als solcher 1964 geboren wurde. Palminger war Schlagzeuger der Punkband „Dackelblut“ und ist Mitglied des Hamburger Künstlertrios „Studio Braun“. Außerdem ist er überzeugter Pneumatiker und Obstmystiker. Jacques Palminger sitzt also im Studio des Maxim-Gorki-Theaters am Resopaltisch und soll offiziell die sogenannte Lernwerkstatt eröffnen, ein verwirrendes theatralisches Forschungsprojekt, bei dem mit diversen Künstlerkollektiven auch Erfahrungen zum Thema Biografien ausgetauscht werden sollen. Denn, so will es das Programmheft: „Bevor wir mit Begriffen wie Utopie oder Vision jonglieren, sollten wir Erfahrungen austauschen: Wo waren wir stehen geblieben? Und wie haben wir bisher überhaupt gelebt? Was geht?“

Auch Jacques Palminger versteht nur Bahnhof, bringt sein Unverständnis aber in altväterlicher Pose und mit infantiler Technikbegeisterung unterhaltsam auf den Punkt: „Und wenn ihr euch bei diesem Projekt fühlt wie Zeiss-Objektive bei der Darmspiegelung! Nicht verzagen! Einfach weitermachen.“ Und damit ist eine Woche nach der offiziellen Eröffnung des Maxim-Gorki-Theaters auch dessen „Diskurstrakt“ eingeweiht.

Identitätsfindung ist schwierig, dauert lang und beginnt mit Nachahmung. Meister des Theaterlebensgefühls ist noch immer Frank Castorf, und als freundschaftliche Hommage und sympathisch ratlose Anlehnung an den Nachbarn gestaltet sich der Abend: Ein Double des Volksbühnenhauskünstlers Jonathan Meese tollt über die Bühne. Und Kartoffeln, die in Form des Kartoffelsalats Castorfs erste Arbeiten begleiteten, werden auch in Peter Kastenmüllers Inszenierung verarbeitet. Allerdings zu Püree, den Cristin König als verbitterte Wissenschaftlergattin Helena den anderen Akteuren am Ende geräuschvoll auf die Teller klatscht.

In Gorkis „Kinder der Sonne“ aus dem Jahr 1905 redet ein halbes Dutzend Privilegierter im Haus des Chemikers Protassow über die Zukunft. Über die Zukunft des Menschen allgemein und die gewünschte Zukunft jedes Einzelnen. Denn der Tierarzt Tschepournoi (Peter René Lüdicke) ist in die kranke, idealistisch versponnene Lisa (Hanna Eichel) verliebt, die romantisch verklärte Masochistin Melanie (mit wunderbar beschränkter Prollpoesie: Anja Schneider) in Protassow (Robert Kuchenbuch), der nur Augen für die Wissenschaft hat, so dass sich seine Frau Helena zwangsläufig dem Künstler Wagin (Simon Brusis beängstigend glaubwürdig mit Meese-Perücke) zuwenden muss. Keiner kommt zum anderen, draußen herrscht derweil die Cholera. Das thesenhafte Stück wird zu Recht wenig gespielt. Die Dialoge neigen zu Wiederholungen, den Figuren haftet etwas Konturloses an, und in die Gesprächssituationen hat Gorki Monologe eingeschnitten, in denen unmotiviert ins Nichts gesprochen wird.

Peter Kastenmüller nimmt das Stück insoweit ernst, als er das Ausfransende, Indie-Breite-Gehende unterstreicht. Er interpretiert nicht, sondern illustriert in hingetuschten, zu Klamauk und Kindertheater neigenden Skizzen. Die Figuren artikulieren übertrieben wie Kleinkinder, die sprechen lernen, und halten gleichbleibend ironische Distanz zum Text. Künstler Wagin ist Fotograf und bekommt seine obligatorische Gib’s-mirBaby-Szene. Lena, von Hanna Eichel als trotzig naive Brillenschlange verniedlicht, darf auch mal Bomberjacke und Springerstiefel tragen. Zwischendurch wird von allen getanzt, in Paaren parallel geknutscht oder in Formationsschritten über den raumlangen Besprechungstisch gestiefelt. Die Musikbegleitung von Udo Jürgens bis Trance funktioniert prächtig.

Hier soll Theater nicht Kunst, sondern Gesprächsangebot sein. Entsprechend wird jeder Improvisationseinfall mit großem Hallo begrüßt. Hauptsache, es geht schnell. In wenigen Tagen bringt Kastenmüller ein Stück von Maxim Biller raus und Ende des Monats „Berliner Verhältnisse“ von Raul Zelik. Ruckzucktheater ist lustig. Substanz wäre auch nicht schlecht.

Wieder am 11., 23., 25. und 30.10.

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