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Der zerstörte große Torbogen an der Prachtstraße von Palmyra.

© dpa

Palmyra: Müssen wir Assad jetzt dankbar sein?

Ein unlösbares Dilemma: Der IS ist vertrieben, das Assad-Regime triumphiert. Der Kriegsverbrecher von Damaskus schützt die Kultur – und in Europa wird an der Rekonstruktion Palmyras gearbeitet.

Zwei Meldungen, die es kaum oder gar nicht auf unseren Aufmerksamkeitsschirm geschafft haben: Am 6. März sterben bei der Explosion einer Tanklastzugbombe in Irak 60 Menschen, 70 werden verletzt. Der IS-Anschlag trifft einen Checkpoint in der Nähe der antiken Stätten von Babylon, die bei der Besatzung durch US-Truppen Schaden genommen hatten. Wenige Tage später stürmen libanesische Soldaten einen IS-Stützpunkt bei Baalbek, sechs Kämpfer sterben. Die römischen Ruinen von Baalbek sind ohne Vergleich. Nur Palmyra besitzt, auf ganz andere Art, eine ähnliche Aura und Größe. Immer wieder, jetzt auch in Libyen, geraten antike Ruinen und kulturtouristische Pilgerstätten unter Beschuss. Das geht nie ohne menschliche Opfer ab. Wer auf Kultur zielt, tötet.

Palmyra, die Oase in der syrischen Wüste, ist zum Sinnbild des Kriegs gegen den Islamischen Staat und seinen Terror geworden. Hier haben fanatische Mörder Menschen hingerichtet und ihre Leichen ausgestellt, grausame Videos gedreht – vor der Kulisse der Antiken, die in Teilen ebenso demonstrativ zerstört wurden.

Angeblich hält sich der Schaden in Grenzen, ist der Verlust nach den zehn Monaten IS nicht so schlimm wie befürchtet. Das ist die Meldung vom Osterwochenende, sie ging um die Welt: Palmyra befreit! Truppen des Diktators Assad haben mit Unterstützung durch die russische Luftwaffe den IS aus Palmyra vertrieben. Eine guteNachricht. Und schrecklich zugleich: Der Kriegsverbrecher Assad steht nun als Bewahrer von Kultur und Geschichte da. Und Putin, dem Usurpator der Krim, soll man vielleicht auch noch zu Dank verpflichtet sein? Hat der russische Präsident in Syrien nicht auch zivile Ziele bombardieren lassen, um Assad zu helfen?

Eine moralische Falle: Wie umgehen mit Assad, der jetzt Kultur rettet?

Beide Seiten, die Islamisten wie das Regime in Damaskus, benutzen das antike Palmyra als kulturelle und emotionale Waffe. Das zerstörte und das gerettete Palmyra bewegt gleichermaßen. Die Ruinen dienen der Propaganda. Der IS feiert auf Schutt und Asche, Assads Leute versprechen den Wiederaufbau. Der IS hinterlässt Sprengfallen auf dem archäologischen Gelände, Assad stellt eine moralische Falle: Wie jetzt umgehen mit ihm und seinen Gräueltaten, da er doch Kultur hat und sich zivilisiert gibt?

Es stimmt ja: Bilderstürmer sind Assads Beamte nicht. Sie folgen der westlichen Museumskultur, arbeiteten vor dem Krieg mit internationalen Wissenschaftlern und Institutionen zusammen. Den 82-jährigen Khaled al-Asaad, ehemals Chefarchäologe von Palmyra, haben IS-Mitglieder bestialisch ermordet, weil er über die antike Geschichte des Ortes und seine Artefakte wachte. Und es stimmt auch: Im modernen Teil von Palmyra, in Tadmor, unterhielt das Assad-Regime bis vor einigen Jahren ein höllisches Gefängnis, dort wurden Oppositionelle systematisch gefoltert und ermordet.

Das befreite Palmyra befindet sich wieder in der Hand des Diktators, der Fassbomben auf seine Städte wirft. In Aleppo liegt die Altstadt in Trümmern, leiden und sterben zehntausende Menschen. Die jüngsten Bilder aus Palmyra zeigen Widersprüchliches. Die Säulen der großen Kolonnade erscheinen fast in alter Pracht, das Theater wirkt unbeschädigt, das Museum allerdings verwüstet. Hier hat der IS Gericht gehalten. Allerdings hatten die Archäologen die wertvollsten Stücke aus dem Haus zuvor in Sicherheit gebracht.

Schon lange waren die schönsten Grabbüsten aus Palmyra im Nationalmuseum von Damaskus ausgestellt. Der antike Totenkult von Palmyra spiegelt sich im Kult um die Stadt heute. Wie die fein gearbeiteten steinernen Köpfe der Vornehmen von Palmyra aus der Zeit vor 2000 Jahren, so schauen uns heute die Bilder aus Palmyra an. Memento mori.

Es besteht trotz der militärischen Niederlage des IS kein Grund, erleichtert zu sein. Aleppo ist die Ruine des 21. Jahrhunderts. Die zerstörten großen Tempel von Baal und Baalschamin sind auf den frischen Fotos aus Palmyra kaum oder überhaupt nicht zu finden, sie stehen nicht mehr. Hier hat der Islamische Staat am heftigsten zugeschlagen. Das wusste man schon von Satelliten-Aufnahmen von Ende August 2015.

Vom Baal-Tempel gibt es nur noch eine Wand. In diesem Gebäude hatten sich Kulturen und Religionen geradezu gestapelt über die Jahrhunderte. Herrliche Verzierungen zeigten Trauben und Palmwedel in Stein. Baal oder Bel – das war auch die Verbindung zu viel älteren Epochen, die man heidnisch nennt, bis zurück ins monumentale Babylon. Aus Baal wurde Zeus. „Palmyra war anders als alle anderen Städte des (römischen) Imperiums. Ob die palmyrenische Kunst primitive, orientalische, hybride oder hellenistische Züge trägt, ob sich die Notabeln griechisch oder arabisch kleiden, ob aramäisch, arabisch oder griechisch und bei wichtigen Anlässen sogar lateinisch gesprochen wird – man spürt immer einen Hauch von Freiheit, von Nonkonformismus, von Multikultur“, schreibt Paul Veyne in seiner jetzt bei C. H. Beck erschienenen Monografie „Palmyra – Requiem für eine Stadt“.

Es ist einzigartiges Ensemble – die Gebäudeteile aus römischer Zeit, die arabische Festung, die Grabtürme, die schwer gelitten haben unter dem IS. Ob die Stadt, ob Syrien je wieder offen sein wird für Besucher? Das Besondere besteht darin, dass die antiken Ruinen ihr eigener Maßstab sind. Sie stehen frei unter dem Himmel, im Wüstensand, nahe bei der Oase mit ihrem Wald von Palmen.

Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat die „kämpferische Rekonstruktion“ Palmyras gefordert (Tagesspiegel vom 27. März). Das ist technisch offenbar kein Problem. Die zerstörten Stätten sind ausführlich dokumentiert. In Italien und England arbeiten Wissenschaftler an revolutionären 3D-Druckverfahren. Roger Michel, Gründer des Oxford Institute for Digital Archaeology, kündigt an, einen mit dieser Technik hergestellten Bogen aus dem zerstörten Baal-Tempel am 19. April auf dem Trafalgar Square in London zu enthüllen. Im „Guardian“ erklärt Michel: „Ich will dem Islamischen Staat zeigen, dass wir alles exakt wiederherstellen können, das er zerstört, wieder und wieder können wir das tun. Wir werden mit dieser Technik dem IS die Macht nehmen.“

Das konnten auch schon die Römer, die ihre Statuen schufen nach griechischen Vorbildern, die selbst nach einem bestimmten Bild gefertigt waren. Es ist keine Frage von Original und Fälschung, vielmehr von handwerklich-künstlerischem Talent. Man braucht Gefühl für Material und Mythos, auch um einen 3D-Drucker zu programmieren.

Die Maschine aus Oxford ist 12 Meter hoch. Für die zerstörten Buddha-Statuen von Bamyan, Opfer der Taliban, reicht das wohl noch nicht aus. Aber auch ihre Zeit wird kommen, die klaffenden Höhlen im Berg werden sich wieder füllen. Das Problem ist nur: Auch Dschihadisten werden ständig neu produziert, in Afghanistan, Pakistan, Belgien, Frankreich, Deutschland. Gegen ihre Technik des Rekrutierens und Seelenverbiegens ist noch kein Mittel gefunden.

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