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Dienerin vieler Herrn. Pamela Rosenberg.

© Monika Rittershaus/Berliner Philharmoniker

Pamela Rosenberg: In eurem Bunde die Dritte

Pamela Rosenberg verabschiedet sich als Intendantin der Berliner Philharmoniker. Aus manch kleinem Projekt ist ein großer Erfolg geworden. Eine Bilanz.

Das Abschiedsgeschenk wird gut einen Meter breit sein und mannshoch. Bevor Pamela Rosenbergs vierjährige Amtszeit als Intendantin der Berliner Philharmoniker am 27. Juni mit dem Waldbühnen-Konzert zu Ende geht, will sie noch ein Zeichen setzen. Dort, wo die sechsspurige Durchgangsstraße hinter dem Potsdamer Platz gen Süden abknickt, dort also, wo sich die Eingeweihten allabendlich ins Gebüsch schlagen, um in Hans Scharouns berühmten Konzertsaal zu gelangen, lässt sie eine große Übersichtstafel mit allen Gebäuden des Kulturforums aufstellen. Ein Hinweisschild aus unzerstörbarem Material, auf einem soliden Sockel. Damit die Passanten künftig erfahren, das hinter den wuchernden Hecken eine der attraktivsten Kunstmeilen der Hauptstadt beginnt. Ein Präsent, bezahlt aus dem Etat des Orchesters.

An der misslichen Situation, dass alle, die vom Potsdamer Platz kommen, die Philharmonie nur über einen Parkplatz erreichen können, wird diese Orientierungshilfe nichts ändern. Aber Pamela Rosenberg war es leid, darauf zu warten, bis der Masterplan zur Aufwertung des Kulturforums in die Tat umgesetzt wird. Bereits im Frühjahr 2006, mehrere Monate bevor sie ihren Job als Intendantin antrat, nahm sie zum ersten Mal an einer Sitzung mit Senatsbaudirektor Hans Stimmann zu dem Thema teil. Unzählige weitere Runden folgten, das Areal aber rottete weiter vor sich hin. Die Politik hatte beschlossen, dass hier fast alles erlaubt sein sollte – solange es den Staat keinen Cent kostet.

Intensiv engagierte sich Rosenberg für die Idee, an der Nordspitze des Philharmonie-Grundstücks ein zweistöckiges Empfangsgebäude zu errichten, in dem neben Kasse, Shop und Restaurant auch dringend benötigte Proberäume sowie ein kleiner Saal für Experimentelles Platz gefunden hätten. Als die Wirtschaftskrise ihren ehrgeizigen Plänen den Garaus machte, kratzte sie aus dem eigenen Etat 600 000 Euro zusammen, um wenigstens den Hintereingang des Hauses in ein ansprechendes Entree umbauen zu lassen. Ab der kommenden Saison wird nun endlich auch der große Monitor im verglasten Vorbau funktionieren, auf dem Dokumentationen zur Arbeit des Orchesters gezeigt werden.

Die inoffizielle Definition, nach der Philharmoniker-Intendanten nichts weiter sind als Hausmeister mit noblem Titel, hat sich in der kurzen Ära Rosenberg einmal mehr bewahrheitet. Wobei die 1945 in Los Angeles geborene, in Caracas aufgewachsene Amerikanerin damit deutlich besser zurechtkam als ihr Vorgänger Franz Xaver Ohnesorg. Seit sich 1882 eine Gruppe unzufriedener Musikangestellter zusammenfand, um künftig mit basisdemokratischer Verfassung auf eigenes Risiko Konzerte zu veranstalten, verteidigen die Philharmoniker ihre Privilegien mit eiserner Entschlossenheit. Sie selber – und nicht der Intendant oder die Politik – bestimmen, wer ihr Chefdirigent ist. Und sie selber entscheiden zusammen mit ihm, welche Stücke sie mit welchen Interpreten spielen wollen. Zudem wählen sie mit ihm gemeinsam ihre Kollegen aus, wenn Stellen zu besetzen sind.

Pamela Rosenberg durfte zwar bei den Probespielen zuhören, wenn es dann aber an die Bewertung der Bewerber ging, musste sie den Raum verlassen. Und sogar bei der Frage, welcher Musiker in welchen Programmen eingesetzt wird, bleibt der Intendant traditionell außen vor. Auch die Diensteinteilung klären die Philharmoniker unter sich, inklusive der heiklen Frage, wann und wie oft Aushilfen engagiert werden, weil die fest angestellten Mitglieder vielleicht gerade als Solisten oder mit ihrer Kammermusik-Formation auf Tournee gehen möchten. Als 2008 allerdings das Philharmonie-Dach brannte, war es Pamela Rosenberg, die ruck, zuck Ersatzspielstätten für das Orchester in der Waldbühne und im Hangar des Flughafens Tempelhof organisierte.

Wie weit die Selbstverwaltung der Spitzentruppe geht und wie eingeschränkt der Entscheidungsspielraum des Intendanten in diesem Gefüge ist, das erzählt einem vorher niemand so genau. Auch Pamela Rosenberg fand es erst nach und nach in ihrem Intendantinnen-Alltag heraus. Beispielsweise musste sie sich schnell von ihrer Vision verabschieden, den Gemischtwarenladen Philharmonie neu zu strukturieren. Sicher, um die beiden Säle voll auszulasten, sollte hier jeder hereingelassen werden, der die Miete bezahlen kann. Aber wäre es nicht toll, unter einem gemeinsamen Motto mit den hervorragenden Berliner Klassikakteuren zu kooperieren und die Saison thematisch zu strukturieren? Leider waren die Philharmoniker nicht so angetan von der Idee.

Also suchte sich die Intendantin andere Betätigungsfelder. Sie entsprach beispielsweise der insistent vorgetragenen Bitte eines Musikers, auf den Herrentoiletten Sichtschutzwände anbringen zu lassen. Und sie nahm die Beschwerden jener Besucher ernst, die in leidenschaftlichen Zuschriften monierten, dass die Bowle, die im Kammermusiksaal ausgeschenkt wird, immer zu warm sei. Dem Denkmalschutzamt die Erlaubnis abzuringen, in den heiligen Hallen einen neuen Kühlraum schaffen zu dürfen, das war Sisyphusarbeit.

Mühevoll mussten auch Kompromissketten geknüpft werden, bis das neue Leitsystem für die Foyers bewilligt wurde, das den Erstbesuchern mit einer roten und einer grünen Saalseite hilft, ihren Platz im verwinkeltem Gebäudekomplex zu finden. Als „Workaholic“ stellt sich Pamela Rosenberg gern solchen Herausforderungen. Immerhin führen ihre Bemühungen hier zu sichtbaren Ergebnissen. Die endlosen Stunden, die sie im Hintergrund gearbeitet hat, um es den Philharmonikern leicht zu machen, sich auf die Kunst zu konzentrieren, fallen dagegen eher unter die Rubrik „Hebammenarbeit“. Sie selber hat sich im Tagesspiegel-Interview einmal als Geburtshelferin der Kunst bezeichnet: „Man ist unsichtbar, hilft und danach ist man vergessen.“

Dennoch blickt Pamela Rosenberg nicht im Zorn zurück auf diese vier Jahre bei den Philharmonikern. Die Posten, die sie vorher innehatte, erst als Ko-Intendantin in Amsterdam und Stuttgart, dann als Chefin der San Francisco Opera, waren stressiger – allerdings auch stimulierender. Weil sie im Musiktheater mehr bewegen konnte. In Berlin ist immerhin aus manch kleinem Projekt ein großer Erfolg geworden: Die kostenlosen Lunchkonzerte, die jeden Dienstag über tausend Neugierige anlocken, waren ihre Idee. Und die Workshops mit jugendlichen Migranten in der „alla turca“-Reihe haben die Wände des hehren Kulturtempels „poröser“ gemacht, wie sie sagt. Leichte Zugänglichkeit für alle, das ist es, was sich Pamela Rosenberg für die Zukunft der Philharmonie wünscht, da denkt sie ganz amerikanisch. Daher auch die Orientierungstafel an der Potsdamer Straße zum Abschied.

Ein Ruhestand mit etwas ehrenamtlichem Engagement, wie sie ihn sich eigentlich ausgemalt hatte, erwartet die 65-Jährige jetzt allerdings nicht, wenn sie das Intendantenbüro an ihren Nachfolger Martin Hoffmann übergeben hat. Dafür war das Angebot der American Academy dann doch zu verlockend. In der Villa am Wannsee wird sie sich ab September als „Dean of Fellows and Programs“ um das geistige Wohlergehen der Stipendiaten kümmern. Ihr Job ist es, ihr eng geknüpftes Netzwerk auszureizen, um die Crème der US-Intellektuellen mit deutschen Künstlern und Wissenschaftlern zusammenzubringen und in die akademischen Zirkel der Hauptstadt auszuführen. Abends in die Philharmonie.

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