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Im Licht des Geistes. Pankaj Mishra im Gewandhaus Leipzig.

© Hendrik Schmidt/dpa

Pankaj Mishra bei der Leipziger Buchmesse: Ex oriente lux

Die Eröffnungrede des indischen Publizisten Pankaj Mishra zur Leipziger Buchmesse.

Von Gregor Dotzauer

Das Licht des Geistes, daran hatte Hegel keinen Zweifel, ging in Asien auf. Mit ihm entstand das „Bewusstsein von einem Allgemeinen und damit die Weltgeschichte“. Die asiatische Kultur, befand er allerdings im gleichen Atemzug, sei „in sich brütend geblieben“. Der Einzelne habe „in seiner Individualität noch gar keinen Wert“, denn in der „Identität des Geistes mit der Natur“ sei keine wahre Freiheit möglich. Die moderne Welt begann für ihn erst mit Europa.

Der indische Publizist Pankaj Mishra erkannte in seiner beim Festakt zur Buchmesseneröffnung im Leipziger Gewandhaus gehaltenen Dankesrede zum Buchpreis für Europäische Verständigung die Ideologie einer „Herrenrasse“, die „bis heute ein erstaunliches Maß an Legitimation genießt“. Doch es ging ihm nicht darum, die Hierarchien dieses Überlegenheitsdenkens umzustoßen. Wenn sein Buch „Aus den Ruinen des Empires“ mit dem Untertitel „Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens“ etwas auszeichnet, dann ist es der Versuch, gegen den westlichen Imperialismus keinen schlichten Antiimperialismus zu setzen, sondern ein antihierarchisches Denken der laufenden Querverbindungen zu installieren.

Mishras Laudator, der deutsch-bulgarische Schriftsteller Ilija Trojanow, versuchte dies im buddhistischen Bild des „Netzes von Indra“ zu fassen, demzufolge der Götterkönig Indra ein Netz besaß, dessen Knotenpunkte aus Edelsteinen bestehen, von denen jeder einzelne alle anderen reflektiert. Es geht also nicht um eine grundsätzliche Ablehnung westlicher Werte, sondern um „die vielfältigen Konfluenzen“, in denen Asien „materialistische, sozialdarwinistische, liberale, universalistische und andere europäische Denkrichtungen“ rezipierte.

Trojanow und Mishra sind das beste Beispiel für das Zusammenfließen solch unterschiedlicher Traditionen. Die Verdrängung des Anderen, ohne die sich das Eigene nur vermeintlich besser ergreifen lässt, ist ihr Anliegen. Insbesondere Mishra klagte über die Leugnung des islamischen Anteils an der Entstehung der europäischen Kultur. Er verwies auf José Ortega y Gasset und Miguel de Unamuno, die sich gerade als Spaniens größte Denker einer seltsamen Arabophobie schuldig machten.

Das kann nicht jedem schmecken, ist aber ebenso fern von der Glorifizierung des Verkannten wie von der Aufforderung zur europäischen Selbstgeißelung. „Dieses Buch“, so Trojanow, „hält Europa, vor allem dem dominanten Westeuropa, einen Spiegel vor, in dem dieses das eigene Konterfei mit Erschrecken als manipulative, ausbeuterische und gelegentlich genozidale Fratze wiedererkennt.“ Was nicht heißt, dass sich nicht auch Asien völkermörderische Verirrungen vor Augen halten sollte.

Mishra wiederum erklärte, wie deutsche Denker von Herder bis zum Romantiker Friedrich Schlegel, dem Vater der deutschen Indologie, „eine von griechisch-römischen und christlich-jüdischen Traditionen unabhängige deutsche Identität begründen“ wollten. „Die pantheistisch geprägten indischen Religionen wirkten anziehend auf Deutsche, die die spirituelle Einheit der Welt postulierten und die vorherrschende französische Kultur der Aufklärung zu kritisieren versuchten.“ Die bittere Wendung dieser Faszination folgte im 20. Jahrhundert. Die deutsche Indologie „mit ihrer obsessiven Fixierung auf rassische Ursprünge“ wurde „zur Komplizin des verbrecherischen Projekts des Nationalsozialismus“.

Das ist nicht neu – und doch alles andere als geläufig, geschweige denn in seinem Erkenntniswert den Bedürfnissen des 21. Jahrhunderts angepasst. Es ist, sagt Mishra, eine „Einladung an Asiaten und Europäer, über die Ghettos nationalistischer und imperialer Geschichte hinaus zu denken“. Dabei muss man sich wohl auch mit einer philosophischen Bescheidenheit anfreunden, die der französische Anthropologe Philippe Descola „relativen Universalismus“ nennt. Wenn er soweit führt, dass Pankaj Mishra seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, auch durch die Lektüre von Hermann Broch und Robert Musil entwickelte und die Krisenhaftigkeit seines Nationalstaats erst durch Max Weber, Georg Simmel und die Frankfurter Schule verstehen lernt, ist das schon eine Menge.

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