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Kultur: Papagei Cyanospitta spixii: Boy meets Girl

In seinem kleinen Käfig im Zoo von Bahia sitzt seit 20 Jahren ein kleiner blauer Ara, allein. Nicht immer ganz allein.

In seinem kleinen Käfig im Zoo von Bahia sitzt seit 20 Jahren ein kleiner blauer Ara, allein. Nicht immer ganz allein. Ab und an trifft sich das Männchen der Papageienart Cyanospitta spixii, von welcher es auf dem Erdenrund nur 66 Tierpark-Exemplare gibt, mit einer Papageiendame anderer, gewöhnlicher Herkunft. Bei diesen Kontakten vollzieht der Spixii zwar willig die von ihm erwartete Kopulation, aber: Gefiederte Folgen des Aktes bleiben seit 20 Jahren aus. Ansonsten badet er wohl, schüttelt sich, frisst Obst und krächzt nach der munteren Art aller Papageien, sofern sie noch nicht ausgestopft sind. Nur wie es drinnen aussieht in seinem kleinen Papageienherz, das weiß nicht mal der Vogelpfleger im Zoo von Bahia.

In seinem kleinen Büro irgendwo im riesigen Brasilien sorgt sich der Biologe Francisco de Assis Neo. Seit fünf Monaten hat sein Forscherteam keinen freilebenden kleinen blauen Ara mehr gesichtet. Wie nur, fragt der Wissenschaftler, sollen die weltweit 66 überlebenden Zoo-Aras auf ihre Freilassung zur Rettung der Spezies vorbereitet werden, wenn in freier Natur gar keine Spixii mehr existieren, deren Lebensweise wir studieren können? Missvergnügt blättert Dr. Neo in aktuellen Fachmagazinen, die ihm versprechen, das Genom des Cyanospitta spixii werde bald entschlüsselt, dann könne man das Vöglein nachbauen oder seine Unfruchtbarkeit korrigieren. Nein, Dr. Neo will weder den Neo-Spixii noch mag er hinnehmen, dass der seltenste Papagei des Universums ausgestorben sein soll. Da kommt ihm ein verzweifelt menschlicher Hoffnungsgedanke: In dieser Jahreszeit baut der Ara sein Nest und ist sehr scheu - vielleicht kann er zu einem späteren, günstigeren Zeitpunkt doch noch wieder aufgespürt werden!

In seinem großen Büro in der hochmodernen Stadt Brasilia starrt der Umweltminister aus dem Fenster. Kürzlich erst hat Brasiliens Spixii-Gesellschaft mit seiner Billigung fünf Spixii-Weibchen aus philippinischer Käfighaltung importiert: Nicht etwa, um mit Hilfe kleiner blauer Ara-Frauen den Zeugungsmuffel im Zoo von Bahia doch noch zur Reproduktion zu animieren, sondern um frische Spixii-Mädels in Bahias Wildnis auszusetzen. Wenn es nun aber daselbst keine Spixii-Jungs mehr gibt? Der Minister seufzt. Vor ihm liegt die Liste der ausgestorbenen / vom Aussterben bedrohten Arten, auf die er nun den kleinen blauen Ara setzen wird. Er schaut zum Horizont der aus dem Urland gestampften Hauptstadt: wo täglich hunderte Hektar von Papageienwald gerodet werden; wo jüngst der letzte kleine Menschenstamm entdeckt wurde mit wahrscheinlich sehr interessanten Chromosomen. Öko-Minister in Brasilien, welch harter Job. Manchmal träumt der Minister davon, als blauer Ara davonzuflattern; manchmal sieht er sich gar als ausgestopften Spixii auf dem eigenen Schreibtisch hocken ...

In seinem kleinen Nest auf einem hohen Baum im Urwald von Bahia sitzt ein scheuer kleiner blauer Ara. Wenn er fern Motorsägen hört, träumt er manchmal, als ausgestopfter Umweltminister im Geäst zu hocken und "Ausgestorben, ausgestorben" zu krächzen. Dann erwacht er, hält den kleinen blauen Flügel über die Augen und blinzelt in Richtung Philippinen.

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