zum Hauptinhalt

Kultur: Papierflieger, Porzellanobst, Pflanzenstühle

Die Gestaltung der Wirklichkeit: Das Internationale Design Festival auf dem Flughafen Tempelhof.

„Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht.“ So lautet der erste Satz von Victor Papaneks berühmtem Buch „Design for the Real World“. Dass erwachsene Menschen „ernsthaft elektrische Haarbürsten, strassbesetzte Schuhlöffel und Nerzteppichböden für Badezimmer entwerfen “, konnte Papanek kaum fassen.

Das Buch erschien 1971. Auf der Hauptausstellung der aus dem Berliner Design Mai hervorgegangenen Internationalen Designmesse DMY sind Haarbürsten allerdings kaum sehen. Die Veranstalter melden im zehnten DMY-Jahr vielmehr Rekorde.700 Designer, 19 Hochschulen, 30 Länder sind beteiligt, das Ausstellungsareal auf vier Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof vergrößert: More is more, less is a bore.

Am Mittwochmittag, acht Stunden vor der Eröffnung, wird ein Kicker durch die Hangars geschoben und sofort in Betrieb genommen. Im Production Office sitzen hippe junge Menschen vor ihren Laptops. Der Mann vom Lessius University College im belgischen Mechelen hat ein paar Fragen, er ist eben mit seinen Studenten angekommen. Man hat ihnen gesagt, die Räume im Flughafen seien hoch, also haben sie einen Turm mitgebracht. Von dem wollen sie am Abend Papierflugzeuge werfen, die sie aus ihren Flyern basteln werden.

Die Hochschulen sind überhaupt sehr präsent, besonders die deutschen Designfakultäten, aus Wismar genauso wie aus Berlin. Die Kunsthochschule Weißensee zeigt „Alltagshelden“, die in Sozialwerkstätten produziert werden können: kleine Holzbrettchen in Form von Brotscheiben zum Beispiel. Viele suchen einen ironischen Dreh. Eine der Studentinnen aus Mechelen hat einen Sekretär mit einem Aufbau aus Filz entworfen, eine Art kleines Labyrinth für die Katze des Schreibenden. Die UdK wiederum zeigt Diplomarbeiten – und „Stil(l)leben“, eine Gemeinschaftsprojekt mit dem Porzellanhersteller. Das Besondere sieht man den erlesenen, auf den ersten Blick wie für den Porzellanladen gemachten Gefäßen nicht an: Der Clou ist hier der Arbeitsprozess. Die Studenten haben erst Stillleben fotografiert und diese dann in Gegenstände übersetzt. So wird etwa das Einkaufsnetz um eine Zitrone zur Blumenvase.

Niedrige Standmieten ab 500 Euro machen es möglich, das auch Studenten hier ausstellen können. Die Mailänder Möbelmesse wäre ungleich kostspieliger. Aber in Berlin erwartet auch keiner, dass die Scouts der italienischen Design-Hersteller die Ausstellungsstücke vom Fleck weg in ihr Programm übernehmen.

Und das Ausstellungsdesign selbst? Die „Neuköllner Macher“ haben 62 verwitterte Altbaufenster zusammengezimmert und wollen so das Neuköllner Flair aufs Flughafengelände bringen. Wie ein Fremdkörper wirkt dagegen der mattsilbern glänzende Stand von Mercedes. Der Autobauer ist DMY-Sponsor und hat sich mit dem neuesten Showcar unter die Aussteller begeben. Eine freundliche Dame erklärt, die Marke wolle eine neue Zielgruppe erschließen, den „progressive modern mainstream“. Man sieht viele Chinesen in den Hallen, Länderschwerpunkt ist in diesem Jahr China.

Am Abend bei der Eröffnung steht der Berliner Designer Werner Aisslinger im im Hangar zwei an der Bar aus gestapelten Paletten. Aisslinger hatte einst den Design Mai ins Leben gerufen hat, er schätzt, dass vielleicht 20 Prozent der hier präsentierten Designs einmal produziert werden. Er mag das DMY als Innovationspool und wegen seiner Laborqualität, wie er sagt. Es gebe keinen kommerziellen Druck.Aisslinger empfiehlt, einen Blick auf die Chinesen zu werfen.

Es handelt sich, so das DMY, um „die bislang größte Ausstellung chinesischen Designs in Deutschland“. Zunächst stößt man auf Stereotypen, auf ein Teeservice oder einen Bambusstuhl. Aber was hat es mit den in Plastik eingeschweißten Geldscheinen, Jeans und Unterhosen auf sich? Die Chinesen wollen ihr Kopisten-Image loswerden, sie laufen immer noch durch die Hangars.

Eine Halle ist dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland gewidmet, der 1969 als „Bundespreis Gute Form“ ins Leben gerufen wurde und nun einen Neuanfang mit neuen Spielregeln und weniger Geld vom Wirtschaftsministerium wagt. Nominiert sind Skier, Zahnbürsten, Nagelzangen, Kochtöpfe, Gehhilfen, viel Sanitäres – der Sieger wird im Oktober bekannt gegeben. Werner Aisslinger präsentiert sein Projekt „The chair farm“, einen Stuhl, rein pflanzlich, gewachsen in einer nach der Ernte wieder zu entfernenden Aluminiumhülle. Victor Papaneks Plädoyer endet übrigens mit der Hoffnung, dass wir Menschen vielleicht doch noch „eine Chance auf Überleben durch Design“ haben.

Flughafen Tempelhof, Columbiadamm 10. Bis 10. Juni, tgl. 10–20 Uhr, So bis 18 Uhr. Tageskarte 12 €, ermäßigt 9 €

Jens Müller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false