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Papst Franziskus umarmt seinen Freund, den Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmed al-Tayyeb.

© Eissa Al Hammadi/Ministry of Presidential Affairs/dpa

Papst Franziskus und der Islam: Die verführerische Kraft der Toleranz

Papst Franziskus feiert eine große christliche Messe auf der Arabischen Halbinsel. Geht das - eine weltumspannende Gemeinschaft der Religionen? Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es gibt ein tief sitzendes Misstrauen gegen Bilder von einer vermeintlich heilen Welt. Inszenierung! Symbolismus! Versöhnungskitsch! Dieses Misstrauen umfasst auch Gesten, die von Herzen kommen. Theatralik! Maskerade! Gefühls-Exhibitionismus! Als Bundeskanzler Willy Brandt im Dezember 1970 am Ehrenmal der Helden des Warschauer Ghettos einen Kranz niederlegte, auf die Knie sank und etwa eine halbe Minute schweigend verharrte, fanden das 48 Prozent der Westdeutschen übertrieben, 41 Prozent angemessen. Kritik muss wohl sein, auch wenn Geschichte geschrieben wird.

Zum ersten Mal ist ein Papst auf die Arabische Halbinsel gereist. Dort entstand der Islam, dort befinden sich dessen heiligste Stätten, Mekka und Medina. Auf seinem Sterbebett soll der Prophet Mohammed darauf bestanden haben, dass in Arabien keine zwei Religionen nebeneinander existieren dürfen. In Saudi-Arabien ist der Bau von Kirchen deshalb streng verboten. In den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) nahm Franziskus nun an einem interreligiösen Treffen mit Vertretern des Islams, diverser christlicher Konfessionen und anderer Weltreligionen teil, darunter Buddhisten, Hindus sowie ein halbes Dutzend Rabbiner. Eine weltumspannende geistliche Gemeinschaft verpflichtete sich auf die Ideale der Toleranz und Gewaltfreiheit.

Einen Tag später hielt der Pontifex vor 130.000 Gläubigen eine Messe im Stadion von Abu Dhabi. Es war die größte christliche Messe, die jemals auf der Arabischen Halbinsel gefeiert wurde, wo der Islam in allen Ländern Staatsreligion ist. Die Feier wurde live in die gesamte islamische Welt übertragen. Fast alle arabischen Zeitungen berichteten über den Papstbesuch auf ihrer ersten Seite. Der Titel zum Artikel einer der einflussreichsten Tageszeitungen in Saudi-Arabien lautete: „Saudi-Arabien könnte auch Gastgeber eines Papstbesuches sein.“

"Wir müssen Toleranz studieren, lehren und praktizieren“

Der Premierminister und Vizepräsident der VAE, Scheich Mohammed bin Raschid Al Maktoum, sagte: „Von den Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen in unserer Region haben wir gelernt, dass sektiererische, kulturelle und religiöse Bigotterie nur die Feuer des Zorns anfacht. Wir können und werden das nicht erlauben. Wir müssen Toleranz studieren, lehren und praktizieren.“ Der Kultusminister der VAE kündigte an, zwei Kirchen in der irakischen Stadt Mossul wieder aufzubauen, die vom „Islamischen Staat“ zerstört worden waren. Das sei ein „Akt der Solidarität“.

Nur leere Versprechungen, eine Verzerrung der Realität? Auch in den VAE liegt vieles im Argen, insbesondere bei Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Doch das Land versteht sich als Zufluchtsort. Rund 13 Prozent der neun Millionen Einwohner sind Christen, die meisten davon Gastarbeiter aus Ostasien, Afrika und Europa. Sie können ihren Glauben frei praktizieren, dürfen aber weder Staatsbürger werden noch missionieren oder Kirchenglocken läuten. Im Vergleich zu Saudi-Arabien, wo selbst Weihnachtsbäume verboten sind, können die VAE trotz der autoritären Herrschaftsform als Modell gelten.

Begrüßt wurde Papst Franziskus vom Großscheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmad al Tayyeb. Die Al-Azhar-Universität ist das wichtigste Lehrzentrum des sunnitischen Islam. Der Großscheich und der Papst sind Freunde. Mit Hilfe des interreligiösen Dialogs hoffen sie, Einfluss auch auf die innerislamische Debatte nehmen zu können. Als vermittelnde Institution dient der Muslimische Ältestenrat, der 2014 gegründet wurde und dessen Vorsitzender der Kairoer Großscheich ist. Der Ältestenrat versteht sich als Gegenbewegung zu den Muslimbrüdern. Ihm gehören gemäßigte sunnitische Geistliche aus diversen islamischen Staaten und islamisch geprägten Gesellschaften an.

Das Trennende verliert den Charakter der Ausschließlichkeit

Das Ideal der Toleranz: Muslime könnten es annehmen, ohne automatisch der Orthodoxie abzuschwören oder sich die historisch-kritische Interpretation des Koran zu eigen zu machen. So würde die Toleranzidee nicht unbedingt die Grundfeste der islamischen Dogmen gefährden. Wie das gehen soll, zeigt der Papstbesuch. Wenn sich auf der Arabischen Halbinsel 700 Teilnehmer einer interreligiösen Konferenz treffen und austauschen, wenn dort eine große christliche Messe unter dem Kreuz gefeiert werden kann, dann verliert das Trennende den Charakter der Ausschließlichkeit. Dann entsteht Raum für den Gedanken einer großen geistlichen Gemeinschaft, einer weltumspannenden Ökumene.

Einen Schritt in Richtung dieses Ziels haben Papst Franziskus, Großscheich Ahmad al Tayyeb und die Führung des VAE gemacht. Die Messe im Stadion ist vorbei. Die Bilder wirken nach.

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