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Kultur: Parallele Welten

Die große Kunstverständigung: Deutsch-polnische Ausstellungen entlang der Oder

Grenze. Granizza. Die Konsonanten sind dieselben. Nur das „Z“ zischt auf Polnisch ein bisschen länger. Schärfer. Sagt uns das was? Nun, man soll sich darüber keinen Kopf machen. Die Grenzen sind gefallen, Polen gehört zur EU. Und „granizza“ ist nur eine Linie, die irgendwann auf einer Brücke über der Oder gezogen wurde. Ein virtueller Strich – zwischen Küstrin-Kietz in Deutschland und Kostrzyn in Polen. Genau an dieser Linie wird etwas geschehen. Wann ist nicht bekannt. Von einem Unfall ist die Rede, einem Zusammenstoß zwischen einem deutschen und einem polnischen Fahrzeug. Der Berliner Künstler HS Winkler hat an einer Mauer der ehemaligen Küstriner Festung ein Fernrohr aufgestellt, das auf die Grenzlinie gerichtet ist. Von diesem Posten aus wird man den neuerlichen, vom Künstler arrangierten deutsch-polnischen Zusammenprall beobachten können.

Merkwürdig nur, dass es sich um einen Beitrag zum Kostrzyner Kunst-Projekt „Dialog loci – Bastion der Kunst“ handelt, für das Christina Weiss die Schirmherrschaft übernommen hat. Dabei gibt sich die Kulturstaatsministerin derzeit alle Mühe, solche Kollisionen zu verhindern. Polens EU-Beitritt zu Ehren tingelt sie entlang der Oder von einer Vernissage zur nächsten, fördert deutsch-polnische Kunstausstellungen nach Kräften. Bei der Eröffnung der Schau „Goetzen – Ich und die anderen“ am Grenzübergang Frankfurt/Oder–Slubice, zitierte sie Karl Kraus: „Kunst ist das, was wird, nicht das, was ist.“ Nehmen wir uns ein Beispiel an der Kunst! Blicken wir nicht mehr zurück auf die Zeit, als des Nachbarn Götter als Götzen galten! In Frankfurt/Oder und Slubice haben 21 Künstler aus sieben Ländern den Zukunftsblick gewagt. Beiderseits der Oder errichteten sie 13 „Goetzen“-Häuser, drei mal drei Meter groß, von außen gleich, im Inneren individuell gestaltet. Denn durch das Individuum strahlt eher das Allgemein-Menschliche als durch das zeitversehrte Gemeinschaftsgewebe und den historisch geprägten Raum.

Aber in Küstrin/Kostrzyn, fünfzig Kilometer weiter nördlich, liegt das „gemeinsame kulturelle Erbe Europas“, an das die deutsche Kulturstaatsministerin gemahnt, sichtbar in Trümmern. „Uwaga! Achtung, Gefahr!“ warnt ein Schild am Eingang der Altstadt, die noch vor sechzig Jahren eine deutsche Altstadt war. An den losen Steinplatten, mit denen früher vermutlich Gehsteige gepflastert waren, und den verrosteten Gullydeckeln, die aussehen wie in Prenzlauer Berg, erkennt man es. Im Gewölbe jenes Tors, das immer noch Berliner Tor genannt wird, steht „Böhmerwald“ geschrieben. Und wo sich jetzt Miroslaw Filoniks „Daylightsystem“ befindet, war früher eine Straßenbahnhaltestelle. Ob die Trams damals auch so glitzerten wie Filoniks bläulich fluoreszierende Leuchtröhren? Zu gigantischen Schmetterlingen hat sie der Künstler ineinander verkeilt – ein technoides Symbol für die Vergänglichkeit, die sich drumherum offenbart: ein Ruinenfeld, von Brombeersträuchern, Clematis und Unkraut überwuchert. Dazwischen kopfsteingepflasterte Gassen, die in ein grünes Nichts führen. Für dieses Gelände wurden die Werke der Ausstellung „Dialog loci“ entworfen. Die Kunst soll hier kommunizieren mit dem Ort. Doch zunächst spricht der Ort selbst.

Ursprünglich stand hier eine slawische Siedlung. Später wurde Küstrin Residenzstadt eines brandenburgischen Markgrafen, im 16. Jahrhundert baute man sie zur Renaissance-Festung aus. Innerhalb der Befestigungsmauern wuchs die Stadt zur Hohenzollern-Burg. Im Schloss, das Julita Wojcik jetzt mit Gerüsten und Luftballons nachgezeichnet hat, musste Friedrich II. nach seinem Fluchtversuch anderthalb Monate Arrest absitzen. Nicht zufällig wurde Küstrin der Titel „Wiege des preußischen Militarismus“ zuteil. Im März 1945, als die Rote Armee vorrückte, gab Hitler Befehl, die Festung bis zum letzten Mann zu verteidigen. Nur 700 der 10000 Soldaten konnten fliehen; die Stadt sank in Schutt und Asche.

Auf solchem Boden hat die Kunst kein leichtes Spiel. Sie veranstaltet eine Schnitzeljagd mit doppeldeutigen Zeichen. Pinkleuchtende Plaketten hat Jadwiga Sawicka an Mauerreste angebracht. „Uciekaj!“ oder „Lauf weg!“ prangt auf dem grellfarbigen Grund. Ein Ratschlag etwa an die Kriegsgespenster, die hier noch spuken? Ähnlich wie Elzbieta Jablonskas „(Ein)grenzungen“ können Sawickas Warnhinweise ebenso auf den unterdrückten Fluchtwunsch der Burgverteidiger anno 1945 anspielen oder auf die polnischen Flüchtlinge, die sich im Oder-Grenzgebiet niederließen.

Was die polnischen Künstlerinnen nur andeuten, sagt die „Morgenthau“-Installation von Marek Pisarsky und Anne Peschken unverhohlen. Das Künstlerduo hat über dem Wildwuchs der Küstriner Altstadt einen Rasen auf einem Holzplateau angelegt mit Bienenhäusern am Rande. Harmlos gibt sich die Inszenierung, nur eine Neonschrift in altmodischen Lettern kehrt die Botschaft um: „Morgenthau“. Das für Deutschland gedachte De-Industrialisierungsprogramm, so Pisarsky und Peschken, sei in der Küstriner Altstadt verwirklicht worden – als es nicht mehr Deutschland war, sondern Polen.

Das neue, polnische Kostrzyn entstand nach dem Krieg weit weg vom ursprünglichen Stadtkern, hinter der Warthebrücke. Ein Grenzstädchen, das vom Mauerfall seinen Nutzen zog. Für deutsche Kunden hat man gleich nach dem Grenzübergang einen Basar eingerichtet – außerdem ein McDonalds und mehrere Bordelle. Wer nicht weiß, wo sie liegt, fährt an der geschundenen Altstadt vorbei. Deshalb hat Michael Kurzwelly das erste seiner dreißig Schilder unter dem Titel „Parallele Welten“ direkt vor dem Basar postiert. Seine Schilder könnten Verkehrszeichen sein, wären sie nicht mit Aussagen deutscher und polnischer Grenzgebietsbewohner bedruckt. Schild für Schild führen sie zum Festungsgelände – zur alten slawisch-preußisch-deutsch-polnischen Stadt Küstrin.

„Dialog loci“, bis 31. August; „Goetzen“, bis 11. Oktober.

Aureliana Sorrento

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